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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0236
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ALBERT MARQET, DIE DÄCHER

AUSG. IM PARISER IIERCSTSALON

HERBSTSALON

VON

JULIUS ELIAS

Die Einrichtung des Herbstsalons, der in sein sieben-
tes Lebensjahr getreten ist, wäre einigermassen
aus der Fasson geraten, hätte sich nicht ein beherzter
Taktiker mit so liebenswürdiger wie gebieterischer
Miene ordnend dem Prass Derer entgegengestellt, dieEin-
lass begehrten. Seit Jahr und Tag ist es Sorge der leitenden
Männer, eine rein künstlerische Unternehmung, deren
Grundwesen in einer scharfen Siebung der „unab-
hängigen" Produktion, in der Auswahl des Besten be-
stehen sollte, langsam dem Niveau der Ausstellungs-
gelegenheit zusinken zu sehen. Der Maler Manguin,
ein Freund reinlicher Scheidung, trennte kurzerhand
die Gerechten von den Ungerechten oder weniger
Gerechten, das „Grand Palais" aber in zwei gleich-
massige Hälften. Das Licht ist zwar überall gut
und der Raum von gleichem Werte, doch künst-
lerisch haben nun wir Sonnenseite und Schattenseite.
Hier ist das petit art untergebracht, das angenehm Be-
deutungslose, das sehr modern thut, doch schon wieder
nichtsanders als akademisierende Geschicklichkeit ist, die
Gesellschaft der Mitläufer und Rahmabschöpfer, der
kleinen Monets, Pissarros, Renoirs oder der Cezannes

und van Goghs im Taschenformat; die hartnäckigen
geometrischen Denker und die gelehrten „cubistes",
d. h. die Linearfexe der methodischen Entstellung.
Kurz: der Heereshaufen der freiwilligen und unfrei-
willigen Mietlinge, untermischt mit FalstafFscher Sol-
dateska. Kann schliesslich geduldet werden, sollte aber
nicht sein.

Und dort die Kerntruppe: die Kunst der Zeit und
der Zukunft. Unsere Hoffnung und unsere Liebe. Eine
Gruppe, von einem starken Gedanken zusammengehalten
und zu gefasster Wirkung geführt, Es ist die Evolution
Cezannes, der Einfluss seiner synthetisch-dekorativen
Kraft, die nach langen Zeiten der leichten und leicht-
fertigen Analyse, des oberflächlichen Charmes die fran-
zösische Begabung sich auf sich selbst besinnen und ein
neues, gesunderes Verhältnis zur Natur suchen Hess. Die
Führung übernahmmehr mit seinemKopfe alsmit seinem
Schaffen Henri Matisse, der ein beredter Prediger in
der Wüste der Monetnacheiferung gewesen ist. Seine
eigenen Arbeiten freilich konnten dem Nachwuchs, der
ihm lauschte, wenig geben: denn seine besten Produkte
schleppten die impressionistische Eierschale zu sichtbar
mit. Reizend sind seine ganz nach gutem alten Impres-
sionistenrezeptgemachtenStilleben von Blumen,und voll
Geschmack; glücklicherweise fehlte seinem „Salon" dies-
mal Dekoratives: denn hier findet er durchaus nicht Das,
was er lehrt: die Einheit von zeichnerischer Konstruktion

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