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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Corinth, Lovis: Schmidt-Reute
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0235

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Fleischteile mir, um
daran seinen Hörern
die Lage der verschie-
denen Muskeln ad
oculos zu demonstrie-
ren. Wie er für seine
Freunde und Bekann-
ten ein treuerund lie-
ber Kamerad war, in
seiner natürlichen
Derbheit reich an Hu-
mor, so liebten und
verehrten ihn auch
seine Schüler. Lange
Zeit hörte und sah ich
nichts von ihm; nur
wenn ich zufällig mit
irgend einem seiner
Schüler bekannt wür-
devollen diese seinen
künstlerischen Wert
hervor und schwärm-
ten, dass er Kartons im
Atelier stehen habe,
die nicht ihresglei-
chen auf der Weh
hätten. Man konnte
d iesen Lobeserhebun-
gen ein gut Teil Be-
wunderung des Schü-
lers vor dem Lehrer
zurechnen, jedenfalls
war mir gewiss, dass

er sein natürliches Talent für Farbe nicht mehr pflegte
und durch sein Lehrfach in andre Bahnen gedrängt ward.
Weder im Kunstverein unter den Arkaden, wo jeder
Münchener Maler eine Woche lang seine Werke dem
Publikum zu zeigen pflegte, noch in den grossen Aus-
stellungen des Glaspalastes oder der Secession war je
etwas von Schmidts Hand zu sehen, nur als Lehrer
wurde sein Ruf so bedeutend, dass er mit Fehr zu-
sammen an die Kunstschule in Karlsruhe berufen wurde.
Hier hat er dann Jahre hindurch seine Lehrthätigkeit
weiter fortgeführt, bis ihm Krankheit noch verhältnis-
mässig jung ein Ziel setzte.

Als er nun vor etwa zwei Jahren bei lebendigem
Leibe für die Welt tot war, hat man zuerst in München
seine nachgelassenen Werke ausgestellt und voriges

LUDW. SCIIMIDT-REUTK, C1I1USTU!

Jahr auch hier am
Lehrter Bahnhof.Hier
sah ich nun die Kar-
tons, die seine Schüler
als unvergleichlich be-
zeichnet hatten. Die
beliebten Muskelmo-
tive: Kain und Abel,
Ringer u. s. w. Wie
er die Schüler lehrte,
so zeigt sich dieselbe
Art auch in diesen Ar-
beiten. Oft ist der
nackte Mensch aus
Rechtecken zusam-
mengefügt und auf-
gebaut, dann wieder
sind die charakteristi-
schen Punkte im Akt
mit sichtbaren senk-
rechten, wagrechten
und schrägen Linien
verbunden. Meistens
sind dann gleichmäs-
sige Farbflächen über
die Figuren gebreitet,
so dass die Bilder da-
durch den dekorati-
ven Freskencharakter
erhalten haben. Eine
kalte Kunst aber doch
Kunst. Um so bewun-
derungswürdiger, als
er doch das Alles, was er getrost hätte zeigen können undwas
jede Nachbarschaft ausgehalten hätte, für sich ganz allein
geschaffen hatte. Man soll nicht von einem zu Ende ge-
führten Leben sagen: wäre das und dieses eingetreten,
so wäre es besser; aber dennoch möchte ich behaupten,
dass aus Schmidt-Reute ein grösserer Künstler geworden
wäre, wenn er die Scheu vor dem Ausstellen seiner
Werke überwunden hätte, denn in der Öffentlichkeit
kann man an den eignen ausgestellten Arbeiten lernen,
wie man weitere Fortschritte zu machen hat. Aber
auch in dieser gewollten Lebensführung ist das Gött-
liche unverkennbar und desto rührender, da er für
sich allein rang und kämpfte. Er ist — was nicht von
allen die Kunst Ausübenden gerühmt werden kann —
ein wahrer Künstler gewesen.

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