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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 10
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Wilde, Richard: Leistikow als Kunstkritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0525

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WALTER LEISTIKOW, ZEICHNUNG

LEISTIKOW ALS KUNSTKRITIKER

VON

RICHARD WILDE

s war im Jahre 189$ an einem November-
abend. Ich kam aus der Urania nach Hause
und fand an meinem Tische einen Bekann-
ren. Einen blutjungen Burschen, noch jünger,
als ich, der damals im Anfang der Zwan-
ziger stand.

Er hätte mir „etwas Wichtiges" mitzuteilen, aber
erst sollte ich ruhig Abendbrot essen. Natürlich tat ich
das nicht, denn so wichtig das Essen auch ist, „etwas
Wichtiges" ist sicher noch wichtiger. Ich nötigre also
meinen Bekannten, und er liess sich nicht lange nötigen
— ihm brannte seine Neuigkeit ja selbst auf der Zunge.
Allein, er sprach kein Wort, setzte nur ein ungemein
verschmitztes Lächeln auf, versenkte die Rechte in seine
linke Brusttasche und holte ein paar Blatt Papier heraus,
die er mit triumphierender Miene vor mich hinlegte.

Leere Blätter. Nur oben, auf dem ersten, stand in
grossen, fetten Lettern: „Berliner Kunst- und Theater-
Zeitung", und darunter — nicht ganz so protzig, aber
immer noch lesbar genug: „Redigiert von Richard Wilde".
Ausserdem gab es noch zwei, drei Kapitelüberschriften:
„Aus Berlins Kunstsälen" und ähnliches.

Ich war sehr sprachlos. Zunächst. Dann wurde ich
umso gesprächiger und sprudelte Fragen über Fragen.
Mein erster Eindruck war selbstverständlich dieses „Re-
digiert von Richard Wilde", gewesen, das mich mit
unbändigem Stolz erfüllte und meinem Ehrgeiz schmei-

£s ist ein Jahr, seit Walter Leistikow uns, allzufrüh, ge-
storben ist. Die hier abgedruckten Erinnerungsblätter sind
besonders geeignet, seine menschliche und künstlerische Art
dem Gedächtnis frisch und lebendig wieder einmal vor Augen
zu führen. D. Red.

chelte. Ausserdem wollte ich aber das Wie, Wo und
Warum wissen.

Ich erfuhr alles. Mein Jüngling, der Sohn eines
kleinen Zeitungsverlegers in einem Vororte, hatte plötz-
lich — wie das so kommt — eine Idee aufgegriffen, die
sein Vater einmal vor Jahren gehabt hatte. Die Idee
der „Berliner Kunst- und Theater-Zeitung". Intelligent
war der Knabe, also sicherte er sich einen Geldmann.
Denn bei ihm und bei mir war damals Geld das wenigste.
Den Mammonisren hatte er in der Person eines ebenso
braven, wie durch Bildung nicht belasteten Mannes ge-
funden, der sich des Besitzes einer nicht unbedeutenden
Druckerei erfreute. Dieser Herr schwur ihm Gefolg-
schaft. Einst nämlich hatte er mit der Jugend gute Er-
fahrungen gemacht: da waren zwei flaumbärtige Knaben
zu ihm gekommen und hatten ihm die Begründung einer
Sportzeitung angetragen. Er war darauf eingegangen,
und das Blatt hatte fabelhaft reüssiert.

Also, der Kapitalist hatte Vertrauen. Warum sollte
ich's da nicht haben, zumal die Sache mich nichts weiter
kostete, als meine Arbeitskraft. Am nächsten Tage schon
erschien ich mit meinem Bekannten in der Druckerei,
und der Vertrag kam zustande.

Ich wollte etwas wirklich Gediegenes bieten, und so
besuchte ich alle gerade in Berlin lebenden Schriftsteller
von Ruf und lud sie ein, mich mit Beiträgen zu erfreuen.
Ich schickte Briefe in alle Welt und an alle Welt; ich
liess schöne Briefbogen und Kuverts drucken, und ich
liess die unterschiedlichsten Gummisrempel anfertigen.
Auf einen von ihnen war ich besonders stolz. Er lautete:
„Berliner Kunst- und Theaterzeitung. Der Chef-

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