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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 11
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Chronik / Neue Bücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0584

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CHRONIK

PANTOMIME UND DEKORATIVE KUNST

VON

ERNST SCHUR

dem
wird,
und

ie Pantomime ist der höchste und
reinste Ausdruck eines Stils
der Bühnen- und Schauspiel-
kunst. Sie kann nur entstehen,
wo die Schauspielkunst sich
zu einer Leidenschaftlichkeit
erhebt, die uns eigentlich
fremd ist. Nur ein im tiefsten
Grunde theatralisches Volk,

die Geste so sehr Ausdruck der Empfindung
dass sie unmittelbarer spricht als das Wort

mehr enthüllen kann als eine Auseinander-

setzung, vermag, als den Gipfel seiner Gebärdenkunst,
die Pantomime zu schaffen. Sie ist ihm notwendig. Auf
dem Gebiet der Mimik ist sie Das, was die Phrase in
der Redekunst bedeutet. Die Phrase ist aber nur bei
den wirklich rhetorisch veranlagten Völkern erträglich.
Anderswo ist sie falsch, sentimental, roh. Sie hat ihren
Stil, ihre Schönheit, und ihre Steigerung ist die Geste,
die Geste, die allein dominiert. Diese beruht auf einer
Kunst und Kultur des Körperlichen.

Daher dürfte es für uns schwer sein, eine Panto-
mime zu schaffen. Unsere ganze Kultur ist daraufhin
nicht angelegt. Das aber ist das Entscheidende. Denn die

Pantomime, das heisst eine bestimmte Kunstform schafft
nicht der Einzelne; sie ist da, sie liegt im Volkswesen
begründet, sie ist eine Steigerung des ganzen Daseins,
eine stilisierte Form der Existenz. Andernfalls dürfte
sie nur ein artistisches Experiment bleiben. Es könnte
auch dies noch reizen. Aber dann müsste die Pan-
tomime aus einer ganz reifen, ebenso differenzierten
wie leidenschaftlichen Schauspielkunst hervorwachsen
und für sie nur eine natürliche Steigerung bedeuten,
eine Auslösung drängender Kräfte. Eine solche Panto-
mime liefe auch nicht Gefahr im künstlich Literarischen
zu versanden. Instinktiv würde sie aus dem Vorrat der
Geschehnisse das Passende auswählen und käme so im
Inhalt wie in der Darstellung zu einer Einheit, zu dem
Stil, den sie verlangt, in die Region, in der sie einzig
leben kann.

Vielleicht aber könnte man sich von einer anderen
Seite dem Problem nähern. Körper und Geste sind im
Raum. Sie verlangen also, was die Pantomime anlangt,
die Eingliederung nach raumkünstlerischen Gesichts-
punkten. Daher steht neben dem Schauspieler, viel-
leicht sogar über ihm, der dekorativ schaffende Künstler.
Wenn wir eine Gestalt ausdrucksvoll im Raum stehen
sehen, so giebt uns das Schönheit genug, da auch

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