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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 1
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Corinth, Lovis: Rudolf Wilkes Nachlass
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0072

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RUDOLF WILKES NACHLASS

VON

LOVIS CORINTH

er Hyperion-Verlag von Hans
von Weber hat durch die Her-
ausgabe eines Prachtwerkes die
Kunstwelt Deutschlands zu
grossem Dank verpflichtet. Das
in grösstem Format ausgeführte
Buch besteht etwa aus fünfzig
Blättern, die einseitig in schön-
ster Faksimil-Reproduktion aus-
gestattete Zeichnungen und Entwürfe aus dem Nach-
lass des genialen, uns durch den Tod so früh entrissenen
Simplizissimus-Zeichners Rudolf Wilke zeigen. Was er
seinen Freunden war und was er der Welt bedeutete,
hat sein kongenialer Genosse der dichterischen Fakultät,
Ludwig Thoma, in einem Vorwort auf dem ersten Blatt
niedergeschrieben: „Hochgewachsen, schlank, von einer
Kraft, über die ungezählte Geschichten verbreitet wer-
den, eine rassige männliche Erscheinung. In dem schönen
Gesicht sassen ein paar Augen, die man nicht wieder
vergisst." So ist er auch mir die wenigen Male, wo ich
mit ihm zusammenkam, in Erinnerung geblieben. Der
Hyperion Verlag hat den Mut gehabt, diese scheinbar
nur die Künstler interessierenden bewundernswerten
Skizzen, diese oft nur durch einige Serielle in günstigen
Augenblicken gewissermassen stenographierten Ent-
würfe auch dem grösseren Publikum vor Augen zuführen.
Wir finden hier die Anfänge von Wilkes später aus-
geführten lebensvollen Zeichnungen für das berühmt
gewordene Simplizissimus-Witzblatt. Wir können in
diesen Blättern beobachten, wie sorgfältig er Bourgeois-
Möbel studiert hat: einen Regulator, Vasen mit Glas-
stürzen, Spiegel, Pfeifen usw. Wir können hier eine

„Sonntagnachmittagsgeschichte" in ihrem ersten Ent-
stehen kennen lernen. Die Figur dazu scheint der be-
rühmte SchifFskapitän zu sein, der im Trifolium mit
seinem Steuermann und seiner Frau in einer Serie von
launenhaften Zeichnungen eine so humorvolle Rolle
spielt. Hier sehen wir, wie Wilke die Hände in den
verschiedensten Stellungen beim Erzählen ausprobiert
hat. Interessant ist, wie er wieder und wieder ein
Schema für den Ausdruck der Bewegungen in Händen,
Köpfen und Gestalten sucht. Aber auch von anderer
Seite lernen wir diesen sprühenden, lebensvollen Künst-
ler kennen: nämlich, wie er das Studium der Landschaft
auf das Ernsthafteste verfolgt. Eine bayerische Gast-
wirtschaft auf dem Lande mit angelehnter Kirche; eine
Mühle, von Gebäuden und flachen Feldern umgeben;
Flussufer und Häusserreihen am Hafenplatz. Alles
streng nach der Natur gezeichnet und mit Farbstiften
leicht überkoloriert. Mit wenigen Buntstiften hin-
gekritzelt, sehen wir eine skizzierte Bettlerschar, wie
man sie vor den Kirchenportalen in süddeutschen Dör-
fern vorfindet, charakteristische Striche zu Porträtköpfen
und anderes.

Die Art der Reproduktion, die jede Bleistift- und
Kohlenstrich Nuance bringt, die jeden gewischten, ge-
tuschten und kolorierten Ton in seinem Charakter zeigt,
ist über alles Lob erhaben.

So können wir uns freuen, dass durch diese Ver-
öffentlichung seines Nachlasses unserm reichbegabten,
wahrhaft genialen — weil all sein Thun aus dem Herzen
stammte — Kollegen ein ehrendes Denkmal entstanden
ist, das über unser Zeitalter hinaus von seiner Künstler-
schaft zeugen wird.

RUDOLF WILKE, CARNAVAL FRANQAIS

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