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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 3
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Baudelaire, Charles: Briefe
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0172

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BRIEFE

VON

CHARLES BAUDELAIRE

An Theophile Thore.

Werter Herr.

Ich weiss nicht, ob Sie sich meiner und unserer
einstmaligen Diskussionen noch erinnern. Die vielen
Jahre sind so schnell vergangen!. . . . Ich lese sehr
eifrig, was Sie schreiben, und ich möchte Ihnen für
das mir bereitete Vergnügen danken, dass Sie meinen
Freund Manet in Schutz, nahmen und ihm ein wenig
Gerechtigkeit widerfahren Hessen. Nur sind einige
Kleinigkeiten in den Anschauungen, die Sie äussern,
zu berichtigen.

Herr Manet, den man für verrückt und verbohrt
hält, ist nur ein sehr biederer, sehr einfacher Mensch,
der sein Möglichstes thut, um vernünftig zu sein, der
aber unglücklicher Weise von Geburt an im Rufeines
Romantikers steht.

Das Wort „Abklatsch" ist nicht richtig. Herr
Manet hat Goya nie gesehen; ebensowenig Greco; Herr
Manet hat niemals die Galerie Pourtal'es gesehen. Das
scheint Ihnen unglaublich, aber es ist wahr.

Ich habe selbst mit Erstaunen diese geheimnisvolle
UebereinStimmung bewundert.

Zur Zeit, da wir uns noch an dem wunderbaren
spanischen Museum erfreuen durften, das die stupide

Aus dem demnächst bei J. C. C. Bruns in Minden er-
scheinenden^Bande: Baudelaire: Briefe. 1841 —1866. Einzig
autorisierte Übertragung von Auguste Foerster.

französische Republik, in ihrem widersinnigen Respekt
vor dem Eigentum, den Prinzen von Orleans, zurück-
gegeben hat, war Herr Manet noch ein Kind und diente
auf einem Schiff. Man hat ihm soviel von seinen Nach-
ahmungen Goyas gesprochen, dass er jetzt Goya zu
sehen trachtet.

Es ist wahr, dass er irgendwo Velasquez gesehen
hat. — Sie bezweifeln, was ich sage? Sie zweifeln,
dass solche erstaunliche Formparallelismen in der Natur
vorkommen können? Nun — mich beschuldigt man,
Edgar Poe nachzuahmen !

Wissen Sie, weshalb ich so eifrig Poe übersetzt
habe: Weil er mir ähnlich war. Als ich das erste
Mal ein Buch von ihm aufschlug, sah ich mit Entsetzen
und Entzücken nicht bloss Vorwürfe, die ich geträumt,
sondern Sätze, die ich gedacht, und die er zwanzig
Jahre vorher geschrieben hatte.

Et nunc erudimini, vos qui judicatis /. . . Zürnen
Sie nicht, sondern bewahren Sie mir in einem Winkel
Ihres Geistes ein gutes Andenken. Wann immer Sie
Manet einen Dienst zu erweisen trachten, werde ich
Ihnen danken. Ich trage dieses Gekritzel zu Herrn
B'erardi, damit es Ihnen zugestellt wird.

Ich werde den Mut oder vielmehr den absoluten
Cynismus meines Wunsches haben. Zitieren Sie meinen
Brief, oder einige Zeilen daraus; ich habe Ihnen die
reine Wahrheit gesagt.

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