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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 6
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Elias, Julius: Victor Hugo, der Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0321

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VICTOR HUGO, DER ZEICHNER

VON

JULIUS ELIAS

m alten Paris kenne ich kaum etwas
Schöneres als die „Place des Vosges",
mit ihren backsteinernen, zwei-
farbig durchbrochenen Fronten,
den Hartsteinecken und den
Schieferdächern. Manchesmal bin
ich dorthin gewandert: im Silberglanz, der halb-
kühlen, halbwarmen Frühlings- oder flerbstvor-
mittage. Da erblickt man wie durch einen Schleier
die Vergangenheit: gleich einem lebendig gewor-
denen Gobelin ist dieser aus einem architektonischen
Meistergedanken herausgewachsene Rondellplatz,
wo einst die grausige Hochburg der Valois, das
„Hotel des Tournelles" stand. Durch die hohen,
rechteckigen Fenster dieser ragenden Häusergruppe
sahen Könige und Höflinge und galante Damen
den letzten Turnieren versinkender Ritterschaft
zu, während sich in den hochgewölbten fortlaufen-
den Arkaden das Volk drängte. Hier wurde Hein-
rich II. vom Schotten Montgommery mit zerspal-
renem Schädel in den Sand gesetzt und war doch
nur zu lustigem Spiel in die Schranken geritten.
In früheren Jahrhunderten hiess der Platz „Place
Royale"; er war das Herz der grossen Stadt Paris,
der Mittelpunkt ihrer sozialen Triebkraft. Nun
giebt es dort nur ein Idyll: die Turnierstätte ist eine
Gartenanlage, wo Kinder spielen; in den Bogen-
gängen, wo kleine Händler und Handwerker ihre

bescheidenen Gewölbe und Werkstätten errichtet
haben, die flanierende, zögernde Geschäftigkeit des
Faubourg. Die Gegend hat sich sozusagen gut kon-
serviert und ist von jenem gewaltsamen Industria-
lismus verschont geblieben, der andere Glanzstätten
altfränkischer Architektur den Künstlern nahm, um
sie den Kaufleuten auszuliefern, wie Mansarts ver-
schandeltes Meisterwerk, die „Place Louis XIV."
oder „des Victoires".

Auf der „Place Royale", im Hause Nummer
sechs, wohnte eine lange Zeit seines Lebens Victor
Hugo (1831—1848); hier beschloss er seine
Dramatik, hier begrub er seinen Royalismus. Dem
romantischen Mann und Dichter das geschichtliche
Milieu, das seine titanische Einbildungskraft jeden
Tag aufs neue nährte. Hinaus zog der Republikaner,
der sich mit Wort und Feder in den Kampf der
Zeit stürzte. In dem Hause aber wurde eine Kinder-
schule eingerichtet, die mit dem Beginn des neuen
Jahrhunderts dem „Victor Hugo - Museum"
weichen musste. Dieses Museum ist das erhabenste
und kulturell bedeutendste Denkmal, das je ein
Volk seinem Dichter geschaffen hat. Eine Versinn-
bildlichung, eine Verkörperung Dessen, was man
„Manen" nennt: das Haus sozusagen, vom Boden
bis zur Kellerhöhle, führt die Existenz des Dichters
und der begleitenden Mitwelt weiter. Dieses Haus
ist ein einziges geschichtliches Dokument: es ist

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