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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 12
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Servaes, Franz: Ein Streifzug durch die Wiener Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0599

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KARL SCHADE, DAS HAUS AM WALDE

EIN STREIFZUG DURCH DIE WIENER MALEREI

VON

FRANZ SERVAES

Geschmack nicht dasHüchste in der Kunstbegabung;
aber es ist just Das, was man, wo es fehlt, am
empfindlichsten vermisst. Und bei Deutschen —
wir wissen es — pAegt diese Ingredienz des
öftern zu fehlen. Wenn sie bei den Wienern
vorhanden ist, rührt es vielleicht daher, dass sie
slawisch-madjarische Mischdeutsche sind, mit einer
lange wirkenden Tradition von romanischen Län-
dern her.

Auch die Art der gegenwärtigen Wiener
Malerei wird vom Geschmack bestimmt, weit mehr
als etwa vom Temperament, oder von der Natur-
gewalt, oder vom Persönlichkeitsdrang, oder von
der Pinselvirtuosität. Wer wenig kann, der sucht
mindestens seine Sache nett zu machen, oder
„fesch", wie der ortsübliche Ausdruck lautet. Wer
viel kann, auch der fühlt sich seinem Geschmacks-

liens Stellung im Gesamtbilde
|deutscher Kunst wird nicht an
'erster Stelle durch seine Malerei
bestimmt. Weit eher sind es
Architektur und Kunstgewerbe, die ihm, nun schon
seit fast zwei Jahrhunderten, etappenweise einen ge-
wissen Vorrang sichern. Wien ist in einigen Haupt-
zügen die bestangelegte deutsche Stadt, in der man
zugleich am behaglichsten wohnt. Die ästhetische
Lebenskunst ist's, was den Wiener auszeichnet und
was ihm jene besondere Eigenschaft verleiht, die
man übereingekommen ist Geschmack zu nennen.
Durch den Geschmack wird Wiens Verhältnis zu
allen bildenden Künsten fort und fort geregelt —
ein wechselnder, ein gewiss auch diskutabler Ge-
schmack, aber eine ganz unbestreitbare Kraft des
öffentlichen Formgewissens. Unzweifelhaft ist der

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