KENNERSCHAFT, KUNSTHISTORIE UND ÄSTHETIK
VON
MAX J. FRIEDLÄNDER
Den Ruhm der Kennerschaft erwirbt sich —,
wer vor Gemälden mit sicherem Ton und so,
dass ihm geglaubt wird, entscheidet: Rembrandt
oder Rubens oder irgend ein Maler sei der Autor.
Von dem Bilde weiss er nicht mehr als —, was
er sieht. Er kennt den Maler aus anderen Werken,
kennt seinen Stil und urteilt: dieses Kunstwerk
kann nicht anders entstanden sein als aus der
individuellen, mir bekannten Schöpferkraft jenes
Meisters. Der Kenner hat sich also vor anderen
Bildern einen Maassstab geformt, eine Vorstellung
gebildet von den Möglichkeiten einer Persönlich-
keit. Er vergleicht das Bild mit Erinnerungsbildern.
Da dem Eigentümer eines Kunstwerks viel daran
gelegen ist, dass über den Autor kein Zweifel sei,
und diese Sicherheit nicht anders als durch autori-
tativen Ausspruch gewonnen werden kann, steht
die Kennerschaft in Ansehen.
Die Kennerschaft wird von mehr als einer Seite
misstrauisch betrachtet. Wegen der Unkontrollier-
barkeit scheint dem Urteil die Zuverlässigkeit zu
fehlen. Und wirklich liegt die Gefahr der Charla-
tanerie nahe. Der Kenner muss ein starker Charakter
sein. Sonst wird er öfters dazu kommen, eine
Sicherheit zu heucheln, die er nicht erlangt hat, und
seine Autorität missbrauchen, um seine Autorität
zu stärken. Unwissenschaftlich sieht die Kenner-
schaft überdies aus, weil ihrer Leistung die Arbeits-
mühe mangelt, der Gelehrtenfieiss, aus dem der
Wert des Ergebnisses zu ermessen wäre. Die
Schnelligkeit der Urteilsfindung macht einen
taschenspielerischen Eindruck.
Dieser und jener Missachtung haben die Kenner,
die stets beflissen waren, als Gelehrte für voll ge-
nommen zu werden, sich erwehrt, indem sie
zum Schein „gründliche" Untersuchung anstellten,
und sich um die Beweisbarkeit ihrer Urteile viel
(und vergeblich) bemühten.
Seit man in wissenschaftlichem Geist und mit
enthusiastischer Empfindung Kunstwerke betrachtet,
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VON
MAX J. FRIEDLÄNDER
Den Ruhm der Kennerschaft erwirbt sich —,
wer vor Gemälden mit sicherem Ton und so,
dass ihm geglaubt wird, entscheidet: Rembrandt
oder Rubens oder irgend ein Maler sei der Autor.
Von dem Bilde weiss er nicht mehr als —, was
er sieht. Er kennt den Maler aus anderen Werken,
kennt seinen Stil und urteilt: dieses Kunstwerk
kann nicht anders entstanden sein als aus der
individuellen, mir bekannten Schöpferkraft jenes
Meisters. Der Kenner hat sich also vor anderen
Bildern einen Maassstab geformt, eine Vorstellung
gebildet von den Möglichkeiten einer Persönlich-
keit. Er vergleicht das Bild mit Erinnerungsbildern.
Da dem Eigentümer eines Kunstwerks viel daran
gelegen ist, dass über den Autor kein Zweifel sei,
und diese Sicherheit nicht anders als durch autori-
tativen Ausspruch gewonnen werden kann, steht
die Kennerschaft in Ansehen.
Die Kennerschaft wird von mehr als einer Seite
misstrauisch betrachtet. Wegen der Unkontrollier-
barkeit scheint dem Urteil die Zuverlässigkeit zu
fehlen. Und wirklich liegt die Gefahr der Charla-
tanerie nahe. Der Kenner muss ein starker Charakter
sein. Sonst wird er öfters dazu kommen, eine
Sicherheit zu heucheln, die er nicht erlangt hat, und
seine Autorität missbrauchen, um seine Autorität
zu stärken. Unwissenschaftlich sieht die Kenner-
schaft überdies aus, weil ihrer Leistung die Arbeits-
mühe mangelt, der Gelehrtenfieiss, aus dem der
Wert des Ergebnisses zu ermessen wäre. Die
Schnelligkeit der Urteilsfindung macht einen
taschenspielerischen Eindruck.
Dieser und jener Missachtung haben die Kenner,
die stets beflissen waren, als Gelehrte für voll ge-
nommen zu werden, sich erwehrt, indem sie
zum Schein „gründliche" Untersuchung anstellten,
und sich um die Beweisbarkeit ihrer Urteile viel
(und vergeblich) bemühten.
Seit man in wissenschaftlichem Geist und mit
enthusiastischer Empfindung Kunstwerke betrachtet,
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