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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 8
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Chronik
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Scheffler, Karl: Deutsche Romantik 1931
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0363
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CHRONIK

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In dem Rechtsstreit des Architekten Moritz Ernst Lesser
gegen den Eigentümer des Eden-Hotels, der einen Auf-
und Anbau durch fremde Hand hatte vornehmen lassen,
ist ein Urteilsspruch gefällt worden, der das Interesse der
Allgemeinheit beansprucht. Es ist für Recht erkannt worden,
daß es unzulässig sei, das Bauwerk eines Architekten, sofern
ihm künstlerischer Wert zugebilligt wird, durch einen anderen
Baukünstler in seinem ursprünglichen Bestände verändern
zu lassen. Es wird dem Bauherrn die freie Verfügung über
sein Eigentum also entzogen, und es wird ihm untersagt,
etwaigem Wandel seiner künstlerischen Anschauungen zu
einem späteren Zeitpunkt durch Berufung eines ihm nun
genehmeren Architekten zu folgen. Er darf sein Haus zwar
verkaufen oder abreißen, er darf es aber nicht nach eigenem
Belieben umbauen lassen-

Der gesunde Kern, der in dem Gedanken eines solchen
Kunstschutzes nicht verkannt werden soll, wird zum Wider-
sinn, wenn der Schutz der individuellen Leistung als Hinder-
nis von Fortschritt und Entwicklung sich auswirkt. Gewiß
wird es nicht leicht sein, zwischen den Rechten des Künst-
lers, auf denen ein Teil seiner wirtschaftlichen Existenz
beruht, und dem Rechte der Allgemeinheit, das in diesem
Falle nichts anderes ist als das Recht der Kunst selbst, den
Weg der Mitte zu finden. Aber gerade die Entwicklung der
neuen Baukunst, die selbst nicht so sehr Schöpfung einzelner
als das gemeinsame Werk vieler einander gegenseitig stüt-
zender Kräfte ist, zeigt deutlich die Krisis des übersteigerten
Individualismus in der Kunst, der früher oder später auch
die Rechtsprechung Rechnung zu tragen genötigt sein wird.

*

Am 26. Oktober 1925 war im Hotel Drouot ein Bild
Henri Rousseaus, „Die schlafende Zigeunerin" zu dem Auf-
sehen erregenden Preise von 520000 fr versteigert worden.
W7ie in eingeweihten Kreisen bald bekannt wurde, war das
Bild in der Tat nicht verkauft und der Preis keineswegs
bezahlt worden. An diesen Fall hat sich nun ein interessan-
ter Prozeß geknüpft. Bekanntlich billigt das französische
Gesetz seit dem Dezember 1920 dem Künstler oder seinen
Nachkommen innerhalb einer bestimmten Schutzfrist einen
Anteil an dem Erlös öffentlich versteigerter Werke seiner
Hand zu. Dieses Recht wurde von der Tochter Rousseaus
geltend gemacht, von dem Verkäufer jedoch verweigert,
mit der Begründung, das Bild sei in der Auktion zurück-
gezogen worden. Das Pariser Gericht hat nun entschieden,
daß der schuldige Anteil den Erben auszuzahlen sei, da ein
Bild nur dann als rechtmäßig zurückgezogen anzusehen sei,
wenn dies in der Versteigerung unzweideutig zum Ausdruck
gebracht worden sei. Es mußten neben der Abgabe an die
Erbin auch sämtliche Gebühren und Steuern für den Verkauf
nachträglich entrichtet werden. Trotz des Einwandes von
seiten der Verteidigung, daß die strikte Anwendung des
Gesetzes das französische Auktionswesen zu schädigen ge-
eignet sei, fällte das Gericht sein Urteil unter ausdrück-
lichem Hinweis auf die Gefahren für die Moral des Handels,
die sich aus den üblichen Verschleierungspraktiken ergeben.

*

Unsere Erörterung gewisser Mißstände des Auktionswesens
(in Heft IV) haben in interessierten Kreisen einen starken
Widerhall gefunden. Die D.A.Z. gibt in Nr. 120 vom 16. 3. 31
eine Zuschrift aus Kunsthändlerkreisen wieder, die sich un-
seren Standpunkt im wesentlichen zu eigen macht, nur darin
widerspricht, daß sie die Forderung aufstellt, es solle jedes
Kunstwerk mit seinem Limit ausgerufen werden. Wenn wir
für niedrigere Ausrufspreise eintraten, so geschah es selbst-
verständlich nicht, um den Mißbrauch des künstlichen Trei-
bens der Preise gutzuheißen, sondern um nicht die anregende
Wirkung erster Gebote zu unterbinden. Beträgt das Limit
etwa 1000 Mark, und wird mit 600 Mark ausgerufen, so läßt
sich im Eifer des Bietens ein Käufer, der vielleicht nur
800 Mark anzulegen gedachte, verleiten, seinen Satz zu über-
schreiten, während er sich bei einem Ausrufspreis von 1000 M.
vermutlich an dem Angebot gar nicht beteiligt hätte. Die Atmo-
sphäre des Auktionssaales auszunützen, wird man billigerweise
den Versteigerer nicht hindern dürfen. —r.

DEUTSCHE ROMANTIK 1931

Der sechzigjährige Paul Schultze-Naumburg, der sich vor
1900 als Maler nicht zu besonderer Geltung bringen
konnte, der dann von der Welle der kunstgewerblichen Be-
wegung in die Höhe gehoben wurde, sich Verdienste und
Verdienst erwarb, indem er (ursprünglich „welsche") Bau-
formen des achtzehnten Jahrhunderts harmlos bourgeoisierte
und der so das Kunststück fertig brachte, als Amateurarchi-
tekt fortschrittlich zu scheinen, während er de facto reak-
tionär war, dieser enthusiastische Opportunist hat nun den
späten Ehrgeiz entwickelt, in der nationalistischen Bewegung
als ein Reichskunstwart hervorzutreten. Als ein praeceptor
germaniae. Er regiert die Weimarer Staatliche Kunsthoch-
schule, nachdem diese „gesäubert" worden ist, er hat bei-
fälligzugesehen, wie aus dem Weimarer Museum alle Kunst-
werke entfernt wurden, die er für undeutsch hält und er
durchpilgert Deutschland — von der Donau bis zum Belt —,
um in Lichtvorträgen zu zeigen, wie herrlich deutsch-nordisch
die Kunst im Mittelalter war und wie verdorben „ostisch"
und „mongoloid" sie jetzt ist. Am liebsten zeigt dieser ewige
Gymnasiast Skulpturen des dreizehnten Jahrhunderts aus
Bamberg und Straßburg. Ohne zu verraten — oder zu wis-
sen —, daß diese Kunstwerke mehr europäisch als deutsch
sind, daß sie unmittelbar mit den Skulpturen in Reims und
Chartres zusammenhängen, also mit der Kunst des „Erb-
feindes". Solchen klassischen Werken stellt er dann proble-
matische Gebilde der neuesten Kunst tendenzvoll gegenüber
und gibt sie dem Gelächter preis. Anspruchsloser kann man,
was den Ehrgeiz der Leistung betrifft, nicht sein. Diesem
kunstpolitischen Infantilismus gegenüber waren einst Ver-
treter des deutschen Gemüts wie Avenarius oder gar wie
Langbehn geradezu Götter.

Gegen diese patriotischen Flachheiten zu kämpfen, lohnt
sich kaum, so laut sie auch hinausgeschrien werden. Es han-
delt sich um eine Oberflächenerscheinung, die sehr bald
wieder verschwinden wird. Interessant ist etwas anderes. Es
ist die innere Verwandtschaft dieser Gesinnungsromantik mit
 
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