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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 12
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Heise, Carl Georg: Vom Abbild zum Sinnbild
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Waldemar George: Grossmann-Ausstellung in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0508
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VOM ABBILD ZUM SINNBILD

Die in sämtlichen Räumen des Staedel-Neubaus in Frank-
furt a. M. unter dem Titel „Vom Abbild zum Sinnbild"
gezeigte Übersicht über Grundlagen und Entwicklung der
modernen Malerei, ein Werk Fritz Wicherts, war zweifellos
die bedeutendste Ausstellung unseres dürren deutschen
Kunst-Sommers. Konnte der zunächst abschreckende Titel
die Befürchtung erwecken, als sollte hier erfüllt werden,
was ein Kritiker der „Frankfurter Zeitung" vor kurzem ernst-
lich gefordert hat: es müsse „das unkontrollierbare Quali-
tätsurteil, das sich stets am puren Geschmackswert orien-
tiert", verwandelt werden in „eine durchdachte Entscheidung
über das Wichtigste", so ist demgegenüber festzustellen, daß
erfreulicheiweise das lebendige, ganz und gar vom rein
persönlichen Geschmack des Auswählenden bestimmte Ge-
samtbild von jeder sterilen Programmatik weit entfernt war.
Gerade das war das Ungewöhnliche und das Bestimmende:
daß von Manet über Cezanne und van Gogh, Corinth und
Liebermann, Kodier und Münch, Matisse und Picasso, Nolde
und Marc bis zu Klee und den Abstrakten alle nicht in
vorderster Reihe stehenden Maler fehlten und dafür jeder
der Gewählten mit etwa sechs bis zwölf Meisterwerken von
erlesener Schönheit zur Schau gestellt werden konnte. Ge-
wiß forderte die Ausstellung heraus zu Betrachtungen über
den Ablauf der Richtungen und über die Grenzen der Malerei,
vor allem auch zu fruchtbaren Vergleichen zwischen fran-
zösischer und deutscher Kunst, aber sie oktroyierte keine
Schulmeinung, lieferte nur großzügig und objektiv das Ma-

terial zu freier Urteilsbildung. Solche Ausstellungen täten
hin und wieder jeder Großstadt not, und könnte etwa ein
Viertel davon durch die Provinz reisen, es stünde besser
um die Grundlagen der Verständigung über die Kunst unserer
Zeit. Besonders glücklich war die Zusammenordnung von
Münch und Gauguin in einem Saal, sehr zugunsten des
Norwegers. Die Vertretung Rödlers erschien ungerechtfertigt
reichlich. Ein gleich großer Saal mit Werken Kokoschkas
erwies des Malers europäisches Format. Selten wohl haben
die deutschen Expressionisten einer so mannigfaltigen und
gut gewählten Picasso-Kollektion gegenüber gestanden und
an so hohem Maßstab ihren vergleichsweise einheitlichen
und kräftigen Stil, ihre vollblütige Farbensinnlichkeit dar-
tun können. Auch Rouault läßt sich nicht gegen Nolde aus-
spielen. Matisse, mit vier hervorragenden Stücken vertreten,
wirkte seltsam unfranzösisch. Trat Ilofer hinter Beckmann
zurück, so lag das an der Auswahl und an der ungerechten
Dosierung: zwei zu sieben. Ein Raum mit Gemälden und
Aquarellen von Klee machte dessen souveräne Überlegen-
heit über den „gefühllosen Gestaltungsdilettantismus" der
meisten Abstrakten kenntlich.

Endlich verdient es angemerkt zu werden, wie sehr die
etwa sechzig Werke aus dem Bestand der Frankfurter Galerie
das hohe Niveau der Ausstellung bestimmten, wie sehr sie,
von den Impressionisten bis zu Matisse und Beckmann,
Zeugnis ablegten für die vorbildliche Sicherheit, mit der hier
auch die Kunst der Gegenwart gesammelt wird. Heise

GROSSMANN-AUSSTELLUNG IN PARIS

VON

WALDEMAR GEORGE

Rudolf Großmann gehört zu der nach Frankreich orien-
tierten Generation deutscher Künstler, die zehn Jahre
vor dem Krieg das berühmte Cafe du Dome gegründet
hat. Diesen Dome-Malern gebührt das Verdienst, zwischen
Paris und Deutschland eine Verbindung, eine künstlerische
Atmosphäre gegenseitigen Austausches geschaffen zu haben.
Die Deutschen bildeten den Hauptbestand der Akademie
Matisse.

Unter ihnen ist Großmann der einzige, der Optimismus
und einen Elan von guter Laune besitzt.

Hervorgegangen aus einer rein großstädtischen Zivilisation,
dem Leben und dem Reisen zugetan, überstand sein Tem-
perament das Drama des Krieges und der Kunstinflation.
Seine Ironie und Lebensfreude waren stärker und aktiver
als alle Störungen. Ich führe Großmanns Sensibilität und
seine Art von Intelligenz auf seinen rheinischen Ursprung

Anmerkung der Redaktion: Die Ausstellung fand statt bei
Madame Castel in der Avenue Messine.

zurück. Obgleich er in Berlin lebt, bleibt er Badener. In
ihm zeigt sich die spielerische, launische Seite der deut-
schen dualistischen Anlage, die aus Widersprüchen besteht.

Die Farbe der „Fauves" hat ihm den Weg gewiesen, sich
gegen alle Formeln und Rezepte zu behaupten. Diese Farbe
bildet das Gewebe seiner Bilder. Aber sie ist nicht das
wesentliche. Obwohl Großmann sich dagegen wehrt: er hat
eine Harmonie erzielt von Kunst und Leben, von Inuen-
und Außenwelt.

Als Radierer und Zeichner ist Großmann einer der fein-
sten Satitiker unserer Tage. Sein Strich ist rassiger, freier,
gelöster als der von George Grosz, sein Humor ist aristo-
kratischer. Er ist oft anzüglich und parodiert Schwächen
der Zeitgenossen; seine Zeichnungen haben etwas von der
Grazie und Leichtigkeit eines Pascin — seine Linie ist
weich und schmiegsam. Diese Zeichnung ist die Handschrift
eines klaren, wenn auch paradoxen Geistes, der alle Ein-
drücke umformt und aufs neue schafft.

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