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LNeggendorfer-Blälter, Illünchen
Alexis suchte fie zu beschwichtigen.
„Du siehst doch, doß das Blatt ganz vergilbt ist. Ls sind
verse, die ich machte, als ich noch keine Ahnung von Dir hattel"
„Warum hast Du sie dann jetzt wieder hervorgeholt? Du
hast eben, wie ich hereinkam, an die andre gedachtl Darum
warst Du so verträumt; gesteh es nur — in Gedanken hast
Du mich betrogen — gesteh es, gesteh esl"
Er zuckte unwillig die Schultern.
„Sei doch nicht kindisch! Die verse fielen mir zufällig in
die lfände. Ich dachte mehr an die Ieit, da ich sie schrieb, als
an die, der sie galten!"
„Also doch! Du dachtest an siel Ich wußte es ja, daß
Du mich nicht mehr liebst. Ich merkte es schon lange, — da-
rum willst Du mir auch den kfut nicht kaufen, — o, es ist
schmählich — schmählichl"
Aufschluchzend stürmte fie hinaus.
Alexis seufzte tief. Lr wußte wohl, seine Frau war schnell
versöhnt, er brauchte ihr nur inbezug auf den bfut ihren lvillen
zu lassen. Zögernd öffnete er das verborgene Fach, das seine
Aasse enthielt, und seine 5tirn umwölkte stch noch mehr. Nein,
es war nichts Ueberflüssiges da, — schlimmer als das, es war
nicht einmal das Nötige da.
Seine Frau mußte auf den Lsut verzichten.
Lr bückte sich und hob das Gedicht auf, das die Lrregte
im Zorn von sich geworfen.
Freilich, die schöne Stimmung von vorhin wollte nicht
wiederkommen, wenn cr auch die Zeilen noch mehrmals durch-
las. Aber er sah, daß das Poem nicht schlecht war. Ls konnte
sogar für recht gut gelten, und eigentlich war es schade, daß
es so unbeachtet verloren gehen sollte.
Sorgfältig schrieb er es ab, steckte es in ein Auvert und
adressierte es an eine bekannte Redaktion.
Dann ging er hinaus, um sich endlich nach dem Ulittag-
brot zu erkundigen.
Schon nach wenigen Tagen erhielt er von der Redaktion
ein Belegexemxlar mit den gedruckten versen, zugleich das
Lsonorar — zwanzig Mark.
Das letztere legte er achtlos auf seinen Schreibtisch. lvas
war ihm in diesem Fall das Geldl lvas ihm eine fast kindische
Freude bereitete, war sein gedrucktes Liebeslied. Ia, er
wunderte sich selbst, daß er sich so sehr darüber sreute, viel
mehr, als übcr seine bewunderten Feuilletons.
jöiimnelschreiende Anclerecbtiqkeit.
Äin Ahnungsloser.
— „Möcht' wissen, was der Schiffskapitän hatl So oft
er mich sieht, fragt er mich, ob ich ihm nicht schon einmal
auf Borneo oder Sumatra begegnet seil"
lviedcr zogen seine Gcdankeu zu der Iugendgeliebtcn.
lvenn er jetzt gewußt hätte, wo sie weilte, er hätte ihr das
Gedicht geschickt, das cr ihr einst auf einsamer lfeide bei
Mondenschein mit dem Pathos des Sechzehnjährigen deklamierte.
Sie würde dann wohl auch wieder seiner gedenkcn, ihre
und seine Gedanken würdeu sich irgeudwo im unendlichen
lveltenraum treffen, ihre Seelen würden sich grüßcn. — — —
Als er am Abend von einem Ausgang zurückkehrte, trat
ihm im Salon seiue Frau mit strahlenden Augen entgegcn.
Auf dem Aopf trug sie einen lfut, den er noch nie gcschen, —
etwas Duftiges, von zarten Farbeu Durchwobenes.
„Nun,"rief diekleineFrau erwartungsvoll, „wiegefällt er Dir?"
„Der lfut?" fragte Alexis, — „in der Tat, er
steht Dir ausgezeichnet, aber woher?" — —
Da schlang sie ihm die Arme um den lfals und
flüsterte ihm ins Ghr:
„Sei nicht böse; dort auf Dcinem Schreibtisch
lagen zwanzig Mark. Ich dachte, weil Du das Geld
so herumliegen ließest, müßtest Du welches übrig
haben. Darum nahm ich das Goldstllck und kaufte
mir dcn lfut; nun sind wir aber auch wicder gut
zusammen, gelt?"
Sie blickte ihm rcizend-schelmisch in die Augen.
Alexis aber schlug cin Lachen an, cin scltsam
höhnischcs Lachen.
Ltwas betreten sragte sie:
„lvas hast Du? lvarum lachst Du so?"
Lr aber crwidcrte:
„Frage nicht, fordere kciuc Lrkiärung für dics
kachen, mein lserz, Du würdest cs doch nicht verstchen."
— „5ixt, Ferdl, unsereiner hat die j?lag' mit die Rüben und 'm Araut,
und nacha kimmt so a Kerl, malt s' ab und verkaust s'!"
verantwortlicher Redakteur: Ferdinand Schreiber jr. Druck von I. F. Schreiber. beide in Lßlingen bci Stuttgart
In Mesterreich-Ungarn für lferausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I.
Vcrlag von I. F. Schrriber in Wiinchen und EHlingrn.
LNeggendorfer-Blälter, Illünchen
Alexis suchte fie zu beschwichtigen.
„Du siehst doch, doß das Blatt ganz vergilbt ist. Ls sind
verse, die ich machte, als ich noch keine Ahnung von Dir hattel"
„Warum hast Du sie dann jetzt wieder hervorgeholt? Du
hast eben, wie ich hereinkam, an die andre gedachtl Darum
warst Du so verträumt; gesteh es nur — in Gedanken hast
Du mich betrogen — gesteh es, gesteh esl"
Er zuckte unwillig die Schultern.
„Sei doch nicht kindisch! Die verse fielen mir zufällig in
die lfände. Ich dachte mehr an die Ieit, da ich sie schrieb, als
an die, der sie galten!"
„Also doch! Du dachtest an siel Ich wußte es ja, daß
Du mich nicht mehr liebst. Ich merkte es schon lange, — da-
rum willst Du mir auch den kfut nicht kaufen, — o, es ist
schmählich — schmählichl"
Aufschluchzend stürmte fie hinaus.
Alexis seufzte tief. Lr wußte wohl, seine Frau war schnell
versöhnt, er brauchte ihr nur inbezug auf den bfut ihren lvillen
zu lassen. Zögernd öffnete er das verborgene Fach, das seine
Aasse enthielt, und seine 5tirn umwölkte stch noch mehr. Nein,
es war nichts Ueberflüssiges da, — schlimmer als das, es war
nicht einmal das Nötige da.
Seine Frau mußte auf den Lsut verzichten.
Lr bückte sich und hob das Gedicht auf, das die Lrregte
im Zorn von sich geworfen.
Freilich, die schöne Stimmung von vorhin wollte nicht
wiederkommen, wenn cr auch die Zeilen noch mehrmals durch-
las. Aber er sah, daß das Poem nicht schlecht war. Ls konnte
sogar für recht gut gelten, und eigentlich war es schade, daß
es so unbeachtet verloren gehen sollte.
Sorgfältig schrieb er es ab, steckte es in ein Auvert und
adressierte es an eine bekannte Redaktion.
Dann ging er hinaus, um sich endlich nach dem Ulittag-
brot zu erkundigen.
Schon nach wenigen Tagen erhielt er von der Redaktion
ein Belegexemxlar mit den gedruckten versen, zugleich das
Lsonorar — zwanzig Mark.
Das letztere legte er achtlos auf seinen Schreibtisch. lvas
war ihm in diesem Fall das Geldl lvas ihm eine fast kindische
Freude bereitete, war sein gedrucktes Liebeslied. Ia, er
wunderte sich selbst, daß er sich so sehr darüber sreute, viel
mehr, als übcr seine bewunderten Feuilletons.
jöiimnelschreiende Anclerecbtiqkeit.
Äin Ahnungsloser.
— „Möcht' wissen, was der Schiffskapitän hatl So oft
er mich sieht, fragt er mich, ob ich ihm nicht schon einmal
auf Borneo oder Sumatra begegnet seil"
lviedcr zogen seine Gcdankeu zu der Iugendgeliebtcn.
lvenn er jetzt gewußt hätte, wo sie weilte, er hätte ihr das
Gedicht geschickt, das cr ihr einst auf einsamer lfeide bei
Mondenschein mit dem Pathos des Sechzehnjährigen deklamierte.
Sie würde dann wohl auch wieder seiner gedenkcn, ihre
und seine Gedanken würdeu sich irgeudwo im unendlichen
lveltenraum treffen, ihre Seelen würden sich grüßcn. — — —
Als er am Abend von einem Ausgang zurückkehrte, trat
ihm im Salon seiue Frau mit strahlenden Augen entgegcn.
Auf dem Aopf trug sie einen lfut, den er noch nie gcschen, —
etwas Duftiges, von zarten Farbeu Durchwobenes.
„Nun,"rief diekleineFrau erwartungsvoll, „wiegefällt er Dir?"
„Der lfut?" fragte Alexis, — „in der Tat, er
steht Dir ausgezeichnet, aber woher?" — —
Da schlang sie ihm die Arme um den lfals und
flüsterte ihm ins Ghr:
„Sei nicht böse; dort auf Dcinem Schreibtisch
lagen zwanzig Mark. Ich dachte, weil Du das Geld
so herumliegen ließest, müßtest Du welches übrig
haben. Darum nahm ich das Goldstllck und kaufte
mir dcn lfut; nun sind wir aber auch wicder gut
zusammen, gelt?"
Sie blickte ihm rcizend-schelmisch in die Augen.
Alexis aber schlug cin Lachen an, cin scltsam
höhnischcs Lachen.
Ltwas betreten sragte sie:
„lvas hast Du? lvarum lachst Du so?"
Lr aber crwidcrte:
„Frage nicht, fordere kciuc Lrkiärung für dics
kachen, mein lserz, Du würdest cs doch nicht verstchen."
— „5ixt, Ferdl, unsereiner hat die j?lag' mit die Rüben und 'm Araut,
und nacha kimmt so a Kerl, malt s' ab und verkaust s'!"
verantwortlicher Redakteur: Ferdinand Schreiber jr. Druck von I. F. Schreiber. beide in Lßlingen bci Stuttgart
In Mesterreich-Ungarn für lferausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I.
Vcrlag von I. F. Schrriber in Wiinchen und EHlingrn.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Himmelschreiende Ungerechtigkeit; Ein Ahnungsloser
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: - "Sixt, Ferdl, unsereiner hat die Plag' mit die Rüben und 'm Kraut, und nacha kimmt so a Kerl, malt s' ab und verkauft s'!" // - "Möcht' wissen, was der Schiffskapitän hat: So oft er mich sieht, fragt er mich, ob ich ihm nicht schon einmal auf Borneo oder Sumatra begegnet sei!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1905
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 62.1905, Nr. 762, S. 60
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg