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Minst, Karl Josef [Übers.]
Lorscher Codex: deutsch ; Urkundenbuch der ehemaligen Fürstabtei Lorsch (Band 1): Chronicon. Urkunden Nrn. 1 - 166, mit Vermerken, welche die Geschichte des Klosters von 764 - 1175 und mit Nachträgen bis 1181 berichten — Lorsch, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.20231#0060
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das genannte Kloster aus kleinen und mäßigen Anfängen zu einer gewaltigen Macht heran-
wuchs, reich an Vermögen, reich an Ruhm. Er begann daher, das Kloster als Eigentum zu
beanspruchen. Die Streitfrage wurde vor den königlichen Hof gebracht. Die Abgesandten
beider Parteien wurden verhört und dann nach dem fränkischen Recht entschieden, daß
Gundeland der rechtmäßige Besitzer sei, da ihm das Kloster von seinem Bruder übergeben
worden war, ohne daß von irgendeiner Seite Einspruch erhoben worden wäre. Heimerich
könne es nicht zurückverlangen, weil sein Vater und dessen Mutter einwandfrei ver-
brieften, daß sie es durch Urkunde geschenkt hätten. Heimerich verzichtete demgemäß
endgültig auf das Kloster, und Gundeland erhielt vom König eine Gerichtsurkunde mit
folgendem Inhalt:

URKUNDE 3 (Reg. 742)

Gerichtliches Urteil Karls des Großen

Gegeben von Karl, dem Erlauchten, von Gottes Gnaden König der Franken (März 772).
In der Pfalz von Haristellium (Herstal oder Heristal bei Lüttich) erschien vor uns der ver-
ehrungswürdige Gundeland, Abt des Klosters Lorsch, wo der Leib des heiligen Märtyrers
Nazarj^i/ruht, und trug vor, daß ein gewisser Mensch namens Heimerich Verleumdungen
über das genannte Kloster ausstreue. Er behaupte, daß sein Vater Cancor ihn mit diesem
Kloster belehnt habe. Gundeland selbst war anwesend und bestritt die Klage in allen
Punkten. Er wies darauf hin, daß Williswinda, Heimerichs Großmutter, und Cancor,
LIeimerichs Vater, das Kloster seinem Bruder, dem Herrn und Erzbischof Rudgang ge-
schenkt beziehungsweise verschrieben hätten. Die bezügliche Schenkungsurkunde wurde
uns vorgelegt und verlesen. Darauf bekannte Heimerich vor uns, daß er die früher von
ihm in dieser Sache gegen das oben genannte Kloster verbreiteten Verleumdungen nicht
mehr wiederholen werde und erklärte bei unserem Gerichsstab, daß die Angelegenheit
erledigt sei. Demzufolge haben wir geruht, zum Urteil zu schreiten, zugleich mit unseren
getreuen Grafen Hagino, Rothland, Wierling und Frodegar und mit unseren Dienst-
mannen Theoderich, Berthaid, Albwin, Frodbert und Gunthmar. Es soll daher derselbe
Abt (das Kloster) jederzeit gerichtlich geschützt und unbestritten besitzen, und es sei die
Klage für die Zukunft aufgehoben. Eine weitere Klageführung in der gleichen Sache
soll für die Zukunft beiden Parteien untersagt sein.

VERMERK 4

Wenn man beim Lesen in diesen Urkundenabschriften ungebildete Ausdrucksweise
oder sprachliche Fehler findet, möge man das nicht uns ankreiden, sondern die Originale
vergleichen. Man wird darin, genau genommen, zahlreiche Wortfehler wenn nicht Begriffs-
fehler finden. Eine Richtigstellung dieser durch hohes Alter ehrfurchtgebietenden Schrift
vornehmen — das wollen wir nicht und dürfen wir nicht. Es ist ungewiß, worauf diese
Fehler zurückzuführen sind, ob auf die Unerfahrenheit der Schreiber oder auf Stil und
Sprachgebrauch der damals geschriebenen Gesetze, oder am ehesten auf die Eigenart der
fränkischen Sprache, welche damals die herrschende war, oder auf eine Mundart der-
selben. Das bezeugen die salischen und ripuarischen Gesetze, welche auf diese Weise aus
Latein und Deutsch und ausgesprochenen Seltenheiten gemischt sind und in abgehackten
Redewendungen oder Verlegenheitslösungen, in Weitschweifigkeiten oder Verdrehungen
 
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