Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

DOI Heft:
5. Heft
DOI Artikel:
Pretzell, Alfred: Kunstschaffen
DOI Artikel:
Kohlrausch, Robert: Die Geschichte eines Bildes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0104
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
74

unstschaffen.

-- [Nachdruck verboten.]

^edanken ringen nach Gestaltung Die Knospe wahrt in zarter Hülle Und dann ein tiefbeglückt' Entstehen

"Wie Knospen streben zur Entfaltung, Der Farben Pracht, des Duftes Fülle, Ein Werde-Kuss aus lichten Höhen —

Das Herz durchströmt ein mächtig Sehnen, Bereitet schon, um zu ertragen Und dann kein Zweifeln mehr, kein Zagen,

Noch ist's nicht Wissen, nur ein Wähnen, Des Lichtes Glanz, und aufzuschlagen Ein jähes unbedachtes Wagen,

Ein traumhaft süsses Wonneleben, Das Blumenaug' empor zur Sonne, Glorreicher Sieg nach ernstem Ringen,

Ein tiefgeheimnisvolles Weben; Ihr zu erblüh'n in keuscher Wonne; Nach hartem Kampf ein kühn Gelingen:

Hso entringt in heissen Schmerzen
Sich das Gebild dem Künstlerherzen! Alfred Pretzen.

--^-

Hie fieschichte eines Hildes.

Von Robert Kohlrausch.

[Nachdruck verboten.]

"k s war ein Sommertag, gegen Abend. Wir sassen in einem der gute Preise gezahlt. Das Bild, von dem ich erzählen will, ist im Besitz

wenig zahlreichen Malerateliers der Industriestadt Hannover, in der Nachkommen meines Vetters.

der Künstlerwerkstatt des Professors Friedrich Kaulbach. Es war Es ist ein Karton, und er gehörte zu den zahlreichen Werken, zu

nur ein kleiner Kreis vertrauter Freunde des Hauses; dieses der Kunst denen mein Vetter den Stoff und die Gestalten sich aus Goethes Dichtungen

geweihten Hauses, das — ein Geschenk des letzten Königs von Hannover— holte. Auch dieser Karton ist immer unter seinem Namen gegangen, in

im Doppelfrieden eines geräuschlosen Stadtteils und eines schönen, stillen Wahrheit aber habe ich selbst als damaliger Schüler meines Vetters ihn

Gartens behaglich und würdig dasteht. grösstenteils ausgeführt. Er stellt den Faust in seinem Studierzimmer

Eben hatte die Dämmerung sich leise hereingeschlichen und fing nun vor, und für dies Bildnis des mystischen Doktors hatte ich mir als

an, von den fernen Winkeln des grossen Raumes her gemächlich an Modell einen Mann gewählt, dessen Aeusseres und dessen Schicksal mich

ihren feinen Schleiern zu weben, mit denen sie Formen und Farben langsam in gleicher Weise fesselten. Er hiess Heinrich Stieglitz und war ein

umhüllte. Noch aber hatte sie den Farbenzauber auf dem mächtigen Dichter, um dessen Werke die Mitwelt sich wenig, die Nachwelt sich gar

Lebenswerk des Künstlers nicht ertötet, das durch Schönheit und Grösse nicht gekümmert hat. Sein Kopf passte mir ganz für den Faust; der

die ganze Umgebung beherrschte: auf dem nun bald vollendeten Riesen- Mann war Jude von Geburt, aber sein Gesicht war edel gebildet und

bilde, das Shakespeares Julia in dem Augenblick zeigt, in dem die Eltern dabei von dem düsteren, schmerzlichen Ausdruck, den ich für den

die leblose Tochter finden, während Paris, der aufgedrungene Verlobte, mit grübelnden Forscher gebrauchte. Und sein Schicksal —"
Gästen und Musikanten zu der furchtbar gestörten Hochzeit heranzieht. Er brach ab und versank, vor sich hinblickend, in tiefes Nachsinnen.

Wir aber blickten diesmal nicht auf das herrliche Werk. Unsere Die Vergangenheit schien vor ihm aufzusteigen und ihre Gestalten wieder
Augen ruhten auf dem gegenüber aufgestellten Porträt eines schönen, an ihm vorbeizuführen. Endlich erhob er den Kopf und brach das
jungen Offiziers, dessen Blicke die unseren melancholisch zu erwidern bedrückende Schweigen, das den Raum aufs neue erfüllt hatte,
schienen. Doppelt melancholisch unter dem beginnenden Einfluss der „Ganz eigentümlich und ergreifend war die Art, wie ich zuerst einen
webenden Dämmerung und unter der Nachwirkung einer traurigen Er- Blick in das Leben dieses Mannes that. Ich kannte ihn damals noch
Zählung, die wir soeben aus dem Munde des Künstlers gehört hatten. nicht, obwohl er mein Landsmann war und aus Arolsen stammte, wie ich
Nicht nach dem Leben war dieses Bild gemalt worden, der Offizier war tot. selbst; aber der Zufall hatte ihn in dasselbe Haus geführt, in dem ich
Der blühende Mann ruhte in seinem Grabe vor der Zeit, seine leuchtenden wohnte, seine Zimmer lagen neben den meinigen. Oft sprach auch meine
und doch zugleich so schwermütigen Augen waren geschlossen für immer. Wirtin von dem wunderlichen, schwermütigen Fremden, der sie mit
Eine tragische Katastrophe hatte das junge Dasein zertrümmert und geendet. einem sonderbaren Grausen zu erfüllen schien. Schon die Ausstattung
Unter dem Druck des ergreifenden Berichtes waren wir verstummt; seines Wohnzimmers sollte ganz absonderlich sein, und da sein Gesicht
keiner wollte das erste Wort sprechen, um die feierliche Stille, die das bei den flüchtigen Begegnungen im Hause mich lebhaft interessiert hatte,
Schweigen des Todes nachzuahmen schien, zu zerstören. Da begann so wurde ich allmählich sehr neugierig, etwas Näheres über ihn zu
Kaulbach selbst wieder zu reden,--die Stimme noch ein wenig stärker erfahren. Darum widerstand ich auch nicht, als eines Tages die Wirtin
dämpfend, als es auch sonst seine Art war. zu mir ins Zimmer kam und mir in geheimnisvoller Art mitteilte, dass
„Ja, ja, wir Maler sehen in manches Menschens'chicksal hinein und mein Nachbar verreist sei, und dass ich seine Wohnung anschauen könne,
werden Zeuge von mancher Komödie und Tragödie des Lebens. Die wenn ich Lust dazu hätte. Wir gingen hinüber und traten in das Wohn-
Erinnerung daran kettet sich in der Regel an eins von unseren Werken, und zimmer des Dichters; die Fenster waren verhangen, und das Auge
wenn wir es nach Jahren einmal wiedersehen, dann lebt die ganze heitere musste sich an das Dämmerlicht erst gewöhnen. Als ich dann wieder
oder traurige Begebenheit neu in uns auf. Gegen die eigene Schöpfung deutlicher sehen konnte, zeigte sich's, dass in der That allerlei Wunder-
wird der Künstler ja zumeist sehr gleichgültig, sobald sie vollendet ist; sames in dem Zimmer zu erblicken war. Ueberall, an den Wänden,
aber wenn solch' eine Erinnerung mit hineingemalt ist, dann betrachtet über den Thüren, an den Möbeln sah ich ein goldenes, geheimnisvolles
man das Werk auch in späterer Zeit mit immer frischer, innerer Bewegung. Blitzen; es schien, als wären kabbalistische Zeichen dort eingegraben.

Er räusperte sich leise und liess den schönen, grauen Bart durch die Näher herantretend aber erkannte ich, dass die goldenen Zeichen deutlich

Finger gleiten. Dann hub er wieder an: „Ein derartiges Bild, das mir lesbare Buchstaben waren, und dass sie alle ein und denselben Spruch

eine Geschichte erzählt, hat auch lange Zeit in dem neuerdings auf- wiederholten: ,Wir werden uns dereinst wiedersehen, — freier, gelöster.'

geflogenen Kaulbach-Museum in München gehangen, das viele Werke Rings um sich herum begegnete man dieser halb unheimlichen, halb trost-

meines Vetters Wilhelm von Kaulbach aufbewahrte. Jetzt ist er ja nicht vollen Verheissung; sie schien den ganzen Raum bis in die äussersten

mehr in Mode, und so sind die Sachen zum Teil verkauft, zum Teil den Winkel hinein anzufüllen. Während ich aber noch dastand und die stets

Hinterbliebenen übergeben worden. Am meisten Respekt vor dem wiederholten Worte las, fühlte ich, wie die Wirtin mich am Arm ergriff

berühmten Namen haben noch die Amerikaner gezeigt, sie haben sich und mich leise hinüberzog zu der einen Wand, wo ein Schreibsekretär

eine hübsche Zahl von den Bildern übers Wasser kommen lassen und aufgestellt war. In ihm öffnete sie eine Schublade — ich weiss heute
 
Annotationen