Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0105
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5. Heft
DOI Artikel:Kohlrausch, Robert: Die Geschichte eines Bildes
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MODERNE KUNST.
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noch nicht, wie sie sich den Schlüssel verschafft hatte, — und Hess mich Arbeit giebt es ja auch keine wahre Kunst. Dazu war er von Haus aus
sehen, was darin verborgen war. Ich fuhr fast zurück vor dem Anblick. wenig vermögend, und wie schwer es ist, von blossen Pöesieen zu leben,
Ausgebreitet lag darin ein weisses, weibliches Nachtgewand, mit Blut davon weiss auch heute noch manch einer ein trauriges Lied zu singen,
besudelt; darauf die Totenmaske eines energischen Frauenkopfes mit Bei dieser Lage der Dinge war es für ihn kein Glück, dass er sich ver-
eigentümlich starrem Ausdruck, und daneben ein Dolch, die Klinge gleich- liebte und verheiratete. Seine Frau war eine Hamburgerin von Geburt,
falls mit Blut befleckt. Ich war so bestürzt und ergriffen, dass ich nicht Charlotte Willhöft war ihr Mädchenname. Jetzt musste Stieglitz der
sprechen, nicht fragen mochte, und als sich ein fernes Geräusch im eigentlichen freien Dichterlaufbahn entsagen und sich nach einer Stellung
Hause vernehmen Hess, da floh ich zurück in mein Zimmer. Das Ein- umsehen, die ihn und seine Frau ernährte. Der Pegasus musste ins
dringen in dies geheimnisvolle Heiligtum des Todes und des Schmerzes Joch! Der Dichter wurde zum Schulmeister, nebenbei noch Kustos an
erschien mir so verbrecherisch, dass ich meinte, der Bewohner des der Königlichen Bibliothek in Berlin. Da führte er denn sein Leben, das
Zimmers müsste jeden Augenblick hereintreten und mich von dem furcht- er gern den Musen ganz gewidmet hätte, in einem ewigen Kreislaufe
Paul Mey erh eim. Sommcrnachtstraum.
baren Schauspiel hinwegweisen." — Der Erzähler schöpfte tief Atem; täglicher Pflichten. Es gehört immer eine grosse Begabung und ein starkes
seine Gattin, die ihm zur Seite sass, legte wortlos besänftigend ihre Wollen dazu, um neben bürgerlicher Berufsarbeit noch mit voller Seele
Hand auf seinen Arm. Er beruhigte sie mit einem Lächeln; diese Begeben- der Kunst zu dienen. Bei Stieglitz kam zu den äusseren Schwierigkeiten
heiten lagen weit, weit hinter ihm, sie erschütterten ihn heute nicht mehr ein ungebändigter Ehrgeiz hinzu, um sein Dasein zu erschweren. Er ver-
wie damals, wenn auch für einen Augenblick seine Künstlerseele die sie zehrte sich, wie es auch Grössere vor ihm und nach ihm gethan haben,
bewegende Stunde wieder zu durchleben gemeint hatte. in stets unbezwinglichcr Sehnsucht, ein ganz gewaltiges, unvergängliches
„Später habe ich dann auch das Schicksal dieses Mannes erfahren", Dichterwerk zu schaffen. Goethe, der ihn als jungen Studenten gekannt,
sagte er, die Erzählung neu beginnend, „und zwar aus seinem eigenen hatte ihn in der Hoffnung bestärkt, indem er ein ungewöhnliches Talent
Munde. Es war eine furchtbare Tragödie, deren Mittelpunkt er gebildet in ihm erblickte. Auch seine Braut glaubte, seitdem sie diese Meinung
hatte. Er und seine Frau; sie war die eigentliche Heldin des Trauerspiels, des grossen Dichters über ihren Verlobten kannte, unerschütterlich an seinen
heldenhafter und stärker leider, als er selbst. Wie ich schon gesagt zukünftigen Ruhm. Aber wenn er die Arbeit begann, dann versagte die
habe, war Stieglitz Dichter, aber keiner von den grossen, gottgesandten, Kraft, er warf die Feder hin und versank in melancholische Grübeleien,
die sich die Welt unterjochen. Wollen und Können haben bei ihm, wie Dabei gab er aber nicht seiner eigenen Unzulänglichkeit die Schuld, sondern
bei so manchem anempfindenden Talent, im Streit gelegen, auch die er haderte, wie es schwache Menschen zu thun pflegen, mit dem Schicksal
rechte Energie zur Arbeit hat ihm wohl gefehlt. Denn ohne strenge und suchte den Grund für das Scheitern seiner ehrgeizigen Versuche in
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noch nicht, wie sie sich den Schlüssel verschafft hatte, — und Hess mich Arbeit giebt es ja auch keine wahre Kunst. Dazu war er von Haus aus
sehen, was darin verborgen war. Ich fuhr fast zurück vor dem Anblick. wenig vermögend, und wie schwer es ist, von blossen Pöesieen zu leben,
Ausgebreitet lag darin ein weisses, weibliches Nachtgewand, mit Blut davon weiss auch heute noch manch einer ein trauriges Lied zu singen,
besudelt; darauf die Totenmaske eines energischen Frauenkopfes mit Bei dieser Lage der Dinge war es für ihn kein Glück, dass er sich ver-
eigentümlich starrem Ausdruck, und daneben ein Dolch, die Klinge gleich- liebte und verheiratete. Seine Frau war eine Hamburgerin von Geburt,
falls mit Blut befleckt. Ich war so bestürzt und ergriffen, dass ich nicht Charlotte Willhöft war ihr Mädchenname. Jetzt musste Stieglitz der
sprechen, nicht fragen mochte, und als sich ein fernes Geräusch im eigentlichen freien Dichterlaufbahn entsagen und sich nach einer Stellung
Hause vernehmen Hess, da floh ich zurück in mein Zimmer. Das Ein- umsehen, die ihn und seine Frau ernährte. Der Pegasus musste ins
dringen in dies geheimnisvolle Heiligtum des Todes und des Schmerzes Joch! Der Dichter wurde zum Schulmeister, nebenbei noch Kustos an
erschien mir so verbrecherisch, dass ich meinte, der Bewohner des der Königlichen Bibliothek in Berlin. Da führte er denn sein Leben, das
Zimmers müsste jeden Augenblick hereintreten und mich von dem furcht- er gern den Musen ganz gewidmet hätte, in einem ewigen Kreislaufe
Paul Mey erh eim. Sommcrnachtstraum.
baren Schauspiel hinwegweisen." — Der Erzähler schöpfte tief Atem; täglicher Pflichten. Es gehört immer eine grosse Begabung und ein starkes
seine Gattin, die ihm zur Seite sass, legte wortlos besänftigend ihre Wollen dazu, um neben bürgerlicher Berufsarbeit noch mit voller Seele
Hand auf seinen Arm. Er beruhigte sie mit einem Lächeln; diese Begeben- der Kunst zu dienen. Bei Stieglitz kam zu den äusseren Schwierigkeiten
heiten lagen weit, weit hinter ihm, sie erschütterten ihn heute nicht mehr ein ungebändigter Ehrgeiz hinzu, um sein Dasein zu erschweren. Er ver-
wie damals, wenn auch für einen Augenblick seine Künstlerseele die sie zehrte sich, wie es auch Grössere vor ihm und nach ihm gethan haben,
bewegende Stunde wieder zu durchleben gemeint hatte. in stets unbezwinglichcr Sehnsucht, ein ganz gewaltiges, unvergängliches
„Später habe ich dann auch das Schicksal dieses Mannes erfahren", Dichterwerk zu schaffen. Goethe, der ihn als jungen Studenten gekannt,
sagte er, die Erzählung neu beginnend, „und zwar aus seinem eigenen hatte ihn in der Hoffnung bestärkt, indem er ein ungewöhnliches Talent
Munde. Es war eine furchtbare Tragödie, deren Mittelpunkt er gebildet in ihm erblickte. Auch seine Braut glaubte, seitdem sie diese Meinung
hatte. Er und seine Frau; sie war die eigentliche Heldin des Trauerspiels, des grossen Dichters über ihren Verlobten kannte, unerschütterlich an seinen
heldenhafter und stärker leider, als er selbst. Wie ich schon gesagt zukünftigen Ruhm. Aber wenn er die Arbeit begann, dann versagte die
habe, war Stieglitz Dichter, aber keiner von den grossen, gottgesandten, Kraft, er warf die Feder hin und versank in melancholische Grübeleien,
die sich die Welt unterjochen. Wollen und Können haben bei ihm, wie Dabei gab er aber nicht seiner eigenen Unzulänglichkeit die Schuld, sondern
bei so manchem anempfindenden Talent, im Streit gelegen, auch die er haderte, wie es schwache Menschen zu thun pflegen, mit dem Schicksal
rechte Energie zur Arbeit hat ihm wohl gefehlt. Denn ohne strenge und suchte den Grund für das Scheitern seiner ehrgeizigen Versuche in