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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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18. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0448

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Muhammeclaner, setzen sie sich über Koran und strenge
Sitte hinweg und erregen bei den ernsthaften An-
hängern des Propheten durch ihre sinnbethörenden
Tänze bewunderndes Entzücken. Ihre Specialität ist
ein Tanz, bei welchem die Füsse fast gar nicht in Be-
wegung gesetzt werden, während der ganze Körper in
höchster Geschmeidigkeit sich schlangenartig dreht und
windet. Die beste derartige Tänzerin sah ich aber nicht
in den grossen Singspielhallen, welche für den Besuch
der Europäer berechnet sind, sondern tief im Gassen-
gewirr des Araberviertels in einem kleinen Cafe. Zwei
Musikanten, die auf merkwürdigen Instrumenten einen
höchst unharmonischen Lärm vollführten, stellten das
Orchester vor; mit weitgeöffneten Augen starrten die
beturbanten Gäste auf das liebliche Wesen, dessen
enganliegendes hellblaues Gewand mit klirrenden
Schmuckketten behangen war; und in der That ent-
faltete die Tänzerin eine entzückende Grazie in allen
Bewegungen. Ihre Züge waren von klassischer Regel-
mässigkeit, die Gesichtsfarbe ziemlich hell, so wie man
es bei Kreolen findet, und ihre grossen dunklen Augen
voll schwärmerischen Feuers. Plötzlich hielt sie mitten
im Tanz inne und fing an, heftig zu räsonnieren: einer
der Gäste rauchte nämlich Haschisch in der Zigarette,
was hier bekanntlich viel geschieht, und der betäubende
süssliche Dunst, der davon den kleinen Raum erfüllte,
hatte die Tänzerin belästigt, und nun wurde mir auch
klar, wodurch ich in eine ganz eigentümliche „benebelte"
Traumstimmung gekommen war, die ich erst der
schönen Gauklerin auf Rechnung gesetzt hatte. Sehr
ergötzlich war noch das Nachspiel: als wir Europäer
dann der exotischen Schönheit als besondere An-
erkennung etwas zu trinken anboten — wir hatten
an Limonade gedacht — wählte sie resolut das, was
hier das teuerste war, nämlich eine Flasche bairisches
Bier, und keine Münchner Kellnerin kann ihr Bier
mit grösserer Andacht schlürfen, als diese bräun-
liche Aegypterin — die moderne Kultur macht eben
selbst in dem ehrwürdigen Pharaonenlande reissende
Fortschritte!

Wenn aber nun nach dem •Gesamteindruck gefragt
wird, den , die ägyptischen Schönheiten bei dem flüch-
tigen Reisenden hinterlassen, so dürfte, trotz mannig-

Bei den schönen fraaen des Orients.

Reiseplauderei von Paul Pfitzner.
II.

Viel netter als die oberägyptischen Fellachenfrauen
sehen die Weiber der Bischarinbeduinen aus, die dicht
bei Assuan ein grosses Zeltlager haben, das man auf
dem Wege vom Bahnhof passieren muss. Ihre Haut-
farbe ist ziemlich dunkel, ihr Kopfputz ganz indianer-
artig, ihre Gesichtszüge sind .aber sehr ebenmässig und
ihr Wuchs tadellos; eine junge Frau, die mich anbettelte
und durchaus meine Reisetasche tragen wollte, war in
ihrer Art sogar sehr hübsch und imponierte mir durch
ihr gewandtes und sicheres Benehmen. Wenn ich
schliesslich doch auf ihre Dienste verzichtete und, um
sie endlich loszuwerden, selbst mit dem Stocke drohte
— was sie weiter nicht übel nahm, sie war diese Art
des freundschaftlichen Verkehrs offenbar gewöhnt -
so geschah dies nur aus Misstrauen gegen ihre sonstigen
moralischen Qualitäten, denn die Bischarin mausen
wie die Raben, und es wäre doch sehr fatal gewesen,
wenn die leichtfüssige Schöne mit meiner Tasche
durchgebrannt und hinter dem nächsten Zelte ver-
schwunden wäre. Aber meine Unritterlichkeit thut mir
noch heute leid.

Einen noch tieferen Eindruck auf mein Herz machte
am folgenden Tage eine blutjunge Nubierin. Oberhalb
des ersten Katarakts liegt im Nil die wunderliebliche
Insel Philä, welche mit alten Tempeln und Säulenhallen
geschmückt ist und nach allen Seiten steil gegen das
Wasser abfällt. Wie ich auf ,die Ufermauer trete, um
den Ausblick auf die Nachbarinseln zu gemessen, höre
ich plötzlich unter mir ein Zetergeschrei, und wie ich
genauer hinsehe, erblicke ich im Wasser, etwa zwei
Meter vom Ufer entfernt, ein reizendes junges Mädchen,
halb noch ein Kind, in heftigem Ringen mit einer Frau,
die Miene machte, sie vollends ins Wasser zu stossen.
Soviel ich nachher ermittelte, war es die liebwerte
Mutter, die die Kleine auf diese originelle Art für irgend
ein Vergehen bestrafte, denn obwohl es ihr mit' dem
Ersäufen natürlich nicht ernst war, sah die Sache doch
kreuzgefährlich aus; und auch nachdem die flehentlichen,

mit unglaublicher Zungengeläufigkeit hervorgesprudelten
Bitten der Kleinen Erfolg gehabt hatten und sie dem
unfreiwilligen Bade entsteigen durfte, machte sich ihre
Aufregung noch lange in hohen Fisteltönen Luft. Da
auf einmal entdeckten mich die beiden, und sofort
stürmten sie um die nächste Ecke, um über die ver-
fallene Treppe heraufzuklettern und mich anzubetteln.
Vergessen war die eben ausgestandene Angst, obwohl
das einzige Gewand der Kleinen, das grobe blaue Hemd,
hoch vor Nässe triefte, und so rührend war der Aus-
druck ihrer grossen dunklen Kinderaugen, dass ich, zum
ersten Mal in Aegypten, meinen Prinzipien untreu wurde
und ihr etwas gab. Während sonst der Orientale nie-
mals dankt oder mit der Gabe zufrieden ist, lief nun
das süsse Geschöpfchen wie ein Hündchen hinter mir
her und versuchte, sich nützlich zu machen, indem es
mir mit einem Zweig die Fliegen fortwedelte; dann
führte sie mich zu einer Stelle der Säulenhalle, wo
unter den Reliefs das Bild einer altägyptischen Königin
besonders sehenswert sein sollte; mir schien es, dass
die Kleine im Profil jenem Bilde auffallend ähnlich war.
der Unterschied bestand nur darin, dass die Königin
des Nasenrings entbehrte, den die kleine Nubierin mit
sichtlichem Stolze im rechten Nasenflügel trug. Ihre
Mutter hatte an derselben Stelle ebenfalls ein Loch,
hatte den Schmuckring aber daheim gelassen und trug
jetzt nur einen Holzstift darin — ich dachte erst, es
wäre eine Warze. Leider nahm die idyllische Scene
ein sehr betrübliches Ende, denn als ich den Isistempel
betrat und die Kleine mir auch dahin folgte, erschien
der grimme Tempelwächter und jagte sie unter derben
Schlägen zum Tempel hinaus, so dass ich noch lange
ihr gellendes Geschrei hörte — „das ist das Los des
Schönen auf der Erde!" Armes Ding, wieviel Prügel
mögen Dir noch beschieden sein!

Meine ägyptische „Galerie schöner Frauen" würde
eine grosse Lücke aufweisen, wenn ich nicht auch die
Tänzerinnen der zahlreichen Cafes chantants in Kairo
erwähnte — verhülle dein Haupt, gestrenge Leserin! —
aber in Aegypten gewesen sein, ohne die berühmten
Gawazi beim Tanz bewundert z i haben, das ist soviel
als wenn man Rom ohne den Papst gesehen hätte.
Diese Mädchen sind wahrscheinlich Zigeuner; obwohl
 
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