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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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9. Heft
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Misch, Robert: Der Adelsmensch, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0217

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*37

• - » Her Jsdelsmensch.

Roman von Robert Misch.

[Fortsetzung.] —

Aus Metas Tagebuch,
ch bin ruhiger geworden. Ernst scheint zu bereuen. "Wir gehen
seit zwei Tagen um einander herum, ohne miteinander zu sprechen.
Er isst mittags und abends im Restaurant, so dass wir uns kaum
flüchtig sehen.

Der Streik ist ausgebrochen. Nein, ich bin nicht schuld daran — ich
nicht. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich wollte den alten Siebert
noch einmal zu mir kommen lassen; aber er teilte mir schriftlich mit:
das ginge nicht, so lange der Streik schwebe. Unterhandlungen dürften
nur offiziell zwischen ihrem Ausschuss und meinem Manne vor sich gehen.
Die fünfhundert Mark hätte er der Streikkasse übergeben. Er glaube,
damit in meinem Sinne gehandelt zu haben, da ich ja eine allgemeine
Verteilung zur Verhütung von Not gewünscht hätte.

Will er sich über mich lustig machen? Hat der Alte mich nun an-
gelogen, mich so recht an der Nase herumgeführt; oder hat er währ ge-
sprochen und Ernst bewusst oder unbewusst unwahr? Wenn ich das nur
ergründen könnte!

In dem Brief stand noch einiges, was von grossem Interesse für Ernst
und wohl auch für ihn bestimmt war. Ich Hess ihm daher den Brief früh-
morgens auf den Kaffeetisch legen. Das schien ihn zu freuen. Oder be-
trachtete er es als ein Zeichen, dass ich mich mit ihm versöhnen wollte:
kurz, er kam mittags zu Tisch und redete mich an. Wenn er mich rauh
angefahren hätte, so sei er eben aufs äusserste erregt gewesen. Und
als vernünftige Frau müsste ich doch wohl einsehen, dass ich ihm Anlass
dazu gegeben hätte, u. s. w. u. s. w.

Es erfolgte denn auch äusserlich eine Versöhnung. Aber der Nimbus,

der ihn in meinen Augen umgab, ist längst dahingeschwunden.

* *

Klützow, 9. IX.

Meine liebe Meta!

In grösster Not und Verzweiflung wende ich mich an Dein gutes, schwester-
liches Herz. Du wirst Deinen Bruder nicht in der Patsche sitzen lassen. Ich
bin sehr leichtsinnig gewesen ... Es ist sehr Unrecht in unserer Lage, wo der
Vater doch mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen hat, um das Gut zu halten
und etwas herauszuwirtschaften . . . Na, kurz — ich gestehe mein Unrecht reu-
mütig ein. Aber da ich nun einmal in der Patsche bin, muss man mir auch
heraushelfen.

Also — nach dieser langen Einleitung — ich habe gespielt und verloren,
etwas über zweitausend Mark. Ich hatte es ja verschworen seit meiner Studien-
zeit, wo der Alte das Vorwerk meinetwegen hat verkaufen müssen. Aber wie
einen der Teufel reitet — ich wurde neulich von den St—er Offizieren zu einem
Liebesmahl geladen; nachher haben wir dann in der Privatwohnung eines Kame-
raden gejeut. D. h., ich wäre gar nicht mitgegangen, wenn es sich nicht um einen
soliden Skat gehandelt hätte. Aber wie es so kommt, nachher wurde Ecarte
hoch gespielt, schliesslich eine Bank gelegt. Ich war angetrunken — und ehe
ich es noch recht wusste, hatte ich schon meine Barschaft und obige Summe
gegen Ehrenwort verloren.

Nun, Du weisst ja, wie solche Affairen in unseren Kreisen zu verlaufen
pflegen. Wenn ich nicht zahlen kann — ich habe so schon insgeheim brieflich
einige Tage Aufschub erbitten müssen —, so wird die Sache dem Ehrenrat
übergeben, ich werde mit schlichtem Abschied aus dem Offiziercorps entlassen.
Wahrscheinlich werde ich auch meiner civilen Anstellung enthoben oder doch
mindestens disziplinarisch streng bestraft (was das Avancement nicht gerade
fördert) mit darauf folgender Strafversetzung nach irgend einem polnischen
Nest, wo es denn doch noch schlimmer ist als hier.

Und wer weiss, ob Hermines Vater sie nicht zu bestimmen weiss, von so
einem leichtsinnigen Verschwender ihr Geschick zu trennen. Schon aus diesem
Grunde kann ich mich unmöglich Hermine anvertrauen, was doch auch aus all-
gemeinen Schicklichkeitsrücksichten nicht gut angeht.

Dem Vater kann ich schon gar nicht damit kommen. Bei seinem aufgeregten
Wesen und seinem kranken Herzen passiert ihm vielleicht ein Unglück. Ueber-
haupt hat er das Geld dazu gar nicht oder kann es wenigstens unmöglich so
schnell beschaffen. Na kurz — Du bist meine einzige Rettung. Du bist ja jetzt
eine reiche Frau und kannst die verhältnismässig kleine Summe leicht kriegen,
hast sie wahrscheinlich erspart. Sollte das nicht der Fall sein, so vertraue Dich
Deinem Gatten an. Ernst wird ein Einsehen haben; er ist ja ein lieber, netter
Mensch und wird das seinem Schwager um so weniger abschlagen, als er ja

"- [Nachdruck verboten.]

weiss, dass ich nach meiner Hochzeit, also schon in wenigen Monaten in der
Lage bin, die Schuld prompt zurückzuzahlen.

Dass es mir natürlich lieber wäre, Du hättest das Geld und brauchtest
Deinen Mann nicht damit zu behelligen, wirst Du begreifen. Es ist immer etwas
beschämend für mich. Indessen — thu, was Du für richtig und notwendig
hältst. Vor allen Dingen, schicke mir sofort nach Empfang dieser Zeilen ein
Telegramm, ob und bis wann ich bestimmt auf das Geld rechnen kann.

Ich weiss, Du wirst Deinem Bruder die schweren Folgen seines leicht-
sinnigen Streiches ersparen. Ich schwöre Dir, oder wenn Dich das mehr be-
ruhigt, ich gebe Dir mein heiliges Ehrenwort, dass ich nie mehr „jeuen" werde.
Ich habe genug davon. Ich harre ängstlich auf Dein Telegramm, lass nicht
warten Deinen dankbaren und treuen, momentan sehr unglücklichen Bruder

Albert.

N.B. Ich selbst kann nirgends mehr Geld auftreiben. Ich habe nämlich
noch einige Schulden von früher her aus der gehaltlosen, der „schrecklichen
Zeit". Das bischen Gehalt ist schon belastet und — na kurz, es geht nicht, geht
absolut nicht. Wenn Du nicht hilfst, bin ich ruiniert. Ich bin nicht der Mann,
mit grossen Phrasen um mich zu werfen, die übliche Drohung auszusprechen,
dass ich mir eine Kugel vor den Kopf schiessen werde. Aber wenn alles schief
ginge, das Aeusserste über mich hereinbräche, wenn ich Stellung und Braut ver-
löre, so ist ein solcher Ausweg noch nicht der schlechteste.

Albert.

* *

Aus Metas Tagebuch.

Vras um Gotteswillen soll ich thun? Unmöglich kann ich Albert im
Stich lassen, wenn es mir auch unfasslich ist, wie ein Mann, mein eigener
Bruder, so zu handeln vermag. Aber meinem Mann kann ich mich unmöglich
anvertrauen — so, wie wir jetzt miteinander stehen . . . Täglich fast
macht er spitzige Bemerkungen darüber, dass er durch meine Schuld viel
Aerger gehabt und viel Geld verloren hätte. Hätte ich den Arbeitern
nicht meine moralische Unterstützung geliehen, so würde er ein leichteres
Entgegenkommen gefunden haben. Der Streik ist jetzt endlich beigelegt;
die Arbeiter haben eine Lohnerhöhung durchgesetzt.

Nein, ich kann ihm jetzt unmöglich mit einer Geldforderung für meine
Verwandten kommen. Uebrigens bin ich gar nicht so sicher, dass er es mir
giebt. Ein krasser Materialist, als der er sich mir täglich mehr enthüllt,
höre ich ihn ordentlich sagen: „Warum macht denn Dein Bruder so
leichtsinnige Streiche? Ich kann doch nicht Deine ganze Familie unter-
stützen". Ich glaube, er hat Papa Hypothekengelder gegeben. — „Ich
brauche mein Geld selber für meine Fabrik! Er hat ja noch seinen Vater!

Oder thue ich ihm doch Unrecht? Ist er nicht doch im Grunde seines
Herzens eine edle Natur? Sind es nicht bloss Missverständnisse zwischen
uns? Ziehen ihn nicht das alltägliche Leben und die kleinlichen Tages-
sorgen eines Geschäftsmannes hinunter? Würde er sich nicht auf sich

selbst besinnen, wenn man ihn vor eine grosse Frage stellte?

* *
*

Gott sei Dank, das Geld ist besorgt. Ich bin persönlich zu einem Geld-
verleiher gegangen, wie sie sich in den Zeitungen ausschreiben. Der
Mann war sehr überrascht, als ich ihm — unter tiefster Diskretion natür-
lich — meinen Namen und den meines Mannes nannte. Warum ich denn
hinter dem Rücken meines Gatten handele? Das sei mein Geheimnis,
erwiderte ich. Er lächelte vielsagend und unverschämt.

„Gott, es kommt ja schliesslich öfters vor, dass die Damen heimlich,
ohne Wissen des Gatten Geld entlehnen," sagte er und machte einige
Anspielungen auf Toilettenluxus und Aehnliches.

Ich zuckte verächtlich die Achseln und fragte ihn, ob ich bis heut
abend das Geld haben könne.

Hm, meinte er, das Hesse sich ermöglichen. Aber ich müsse das
Geld in meiner Wohnung in Empfang nehmen, damit er die Sicherheit
hätte, dass ich auch wirklich Frau Doktor Rohde sei.

Am Nachmittag kam er denn auch selbst an und übergab mir die
Summe gegen einen Drei-Monatswechsel. Ich hoffe, ich werde ihn bis zur
Verfallzcit einlösen können. Aber schlimmsten Falls muss Ernst das Geld

hergeben. Auf jeden Fall ist Albert gerettet.

* *

*

XIV. 9. II.
 
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