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MODERNE KUNST.
dieser ihm in einer vertraulichen Unterredung mitgeteilt, dass Hardy sich streng „Aber, Mama, hast Du denn den Bildhauer vergessen, der Inas Büs'ta
an die Grenzen des ihm zukommenden Kapitals, respektive der Zinsen des- gemacht hat?"
selben, halten müsste. „Ach der — richtig, der hiess ja Stolting." —
„Na, schliesslich, zum Betteln habe ich sehr wenig Talent, Mama", schloss „Ja, und er will für drei Jahre nach Italien gehen und lernt vorher die
Hardy seine Beichte, „also, ich dachte, schlimmsten Falls müssen die Leute eben Sprache gründlich, um Land und Leute recht studieren zu können. Das finde
warten, bis ich über mein Vermögen disponieren kann. Zur Last zu fallen ich so vernünftig von ihm!"
brauche ich ja keinem! Ja .wohl, da soll mal einer mit solchen Blutsaugern Die Gräfin nickte zerstreut und Hardy sagte: „Herrn Stoltings Reisepläne
rechnen! Haben sie nun Witterung gekriegt, dass Ellinors Vermögen nicht so scheinen Dich mehr zu interessieren als all' meine Nöte — und ich habe doch
gross ist wie man glaubte und dass Hugo bei dem Train, den er führt, nicht so schwere Tage und Wochen durchgemacht, ich versichere Dich, es hat mich
gerade Geld für einen sogenannten leichtsinnigen Bruder übrig haben dürfte — manche schlaflose Nacht gekostet!"
kurz und gut, ich werde jetzt gedrängt, und was das schlimmste ist, die Kerls „Um so besser wirst Du nun wieder schlafen", rief Jutta. „Geldnöte sind
rechnen mir so rasende Prozente an, dass ich allerdings alles in Bewegung wirklich etwas entwürdigend Jämmerliches — so eine niedrige, gemeine Sache
setzen muss, um sie los zu werden. Und jetzt gerade, wo ich einen klaren Kopf wie das Geld dürfte gar keine solche Rolle bei unser einem spielen!"
zu den Arbeiten brauche!" Die Gräfin war entrüstet über „diese Gläubiger", über „Aber Juttakind, es dreht sich doch schliesslich alles darum!"
„diese Kommilitonen", deren Gesellschaft ja förmlich nötigte, Schulden zu machen/ »Für den Plebs wohl, aber für uns doch nicht! Geld ist ein notwendiges
kurz, über alle und alles, nur nicht über Hardy, in dem sie ein Opfer der Ver- Uebel, sonst nichts, und wenn Du zufällig das meine einmal verbrauchen solltest,
hältnisse sah. Sie war so überzeugt davon, dass sie auch Hardy den letzten Rest Hardy, so gebe ich Sprachstunden, ich habe ja ein so grosses Sprachtalent."
von Schuldbewusstsein nahm und er es ganz natürlich fand, dass sie ihm helfen Sie lachte übermütig und umarmte ihn, und er sah ihr bewundernd in die
musste. Jutta war die einzige, die ins Vertrauen gezogen wurde, und sie fand es dunklen, heut besonders glänzenden Augen und sagte:
lächerlich, sich über diese ganze Kalamität auch nur eine trübe Stunde zu bereiten. „Du bist die rassigste von meinen Schwestern — mein kleiner Prachtkerl,
„In einem Jähre verfügen wir drei zusammen über Geld genug, da wollen ich wette, keine von den anderen hätte die leidige Angelegenheit so vornehm
wir doch nicht die Köpfe hängen lassen um diese zwanzigtausend", sagte sie. aufgefasst wie Du."
„Es sind fast dreissig mit den gestundeten Zinsen", sagte Hardy kleinlaut. Die Auffassung von Mutter und Schwester war Hardy höchst sympathisch.,
„Na, dann sind es eben dreissig oder vierzig, Mama spricht mit ihrem Banquier im Grunde genommen lag wirklich etwas Kleinliches darin, sich wegen so ein
und die Sache ist aus der Welt! Mama, die Signora hat heut gesagt, ich wäre die paar braunen Papierlappen das Leben zu verbittern, etwas, das eines Holkwitz
beste Schülerin, die sie je gehabt hätte, und ich hätte ein ausgesprochnes Sprach- unwürdig war!
talent, denkt mal, also ein Talent habe ich doch!. Ich freue mich so darüber!" Die Gräfin sprach noch am selben Nachmittag mit ihrem Banquier, der sich
Die Sache schien sie vielmehr zu interessieren als Hardys Schulden, und bereit finden liess, gegen mässigen Zinsfuss das erforderliche Kapital vor-
die Gräfin, die anfangs doch ein wenig erschrocken gewesen war, begann die zustrecken. Sie kam zurück, gehoben durch das Bewusstsein, zum ersten Mal
letzteren nun auch leichter zu nehmen. in ihrem Leben eine selbständige Geldangelegenheit besorgt zu haben. Bisher
„Jutta hat eigentlich recht, es ist wirklich keine so sehr grosse Summe, und hatte sie über diese Dinge sehr wenig nachgedacht. Wenn sie etwas brauchte,
vom Gelde hängt doch das Glück nicht ab." hatte sie sich an die Vormundschaft oder an Hugo gewandt, und da ihre
„Und weisst Du, Mama, wer mich heut bei meiner Signora abgelöst hat", Wünsche und Bedürfnisse bei dem doch relativ einfachen Gutsfrauenleben, wie
fuhr Jutta fort, während ein eigentümlicher, rosiger Schimmer über ihrem sie es geführt hatte, die gegebenen Grenzen nie überschritten, hatte sie solche
Gesicht lag, „denke Dir, Herr Stolting nimmt auch italienische Stunden bei ihr!" niemals störend empfunden, und das Gefühl, dass das Geld, für das, was man
Die Gräfin wusste nicht gleich, wer Herr Stolting war. brauchte, da sein müsste, war ihr so natürlich und selbstverständlich wie die
Jutta sah sie sehr erstaunt, fast vorwurfsvoll an. Luft zum Atmen. [Fortsetzung folgt.]
iens (f^eafer und Üfrc Jfeifer.
[Nachdruck verböte
jne kurze Zeit schien es, als ob das Theaterwesen Wiens, von dessen Glück, das der Wagner-Enthusiasmus noch frisch und ungeschwächt blüht,
kultureller und künstlerischer Bedeutung einst die Welt erfüllt war, in Trotz dieses fühlbaren Defizits hat Mahler in den letzten Jahren manchen
der es heute nur einen sehr bescheidenen Rang einnimmt, einen Auf- Treffer vor die Rampe gebracht. Er hat ältere Opern neu einstudiert und zu
schwung nehmen wollte. Müller-Guttenbrunns Feldzug gegen die Wiener „Kunst- hohen Ehren gebracht und versucht — ungeachtet aller Anfeindungen — die an
sumper" weckte das Interesse für neue Unternehmungen. Das Raimundtheater der Oper sonst im Schwünge gewesene Starwirtschaft abzuschaffen. Es giebt
erstand, am WTähringer Gürtel wurde ein neues Musenhaus gebaut, auch in darob harte Kämpfe, in die sich auch ein Teil der Wiener Presse leidenschaftlich
anderen Bezirken der weitläufigen Donaustadt tauchten Projekte auf. hineinmischt. Da aber Feind wie Freund das grosse musikalische Talent Mahlers
Aber die gehegten Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Nicht die Kunst, gelten lassen und die Kassenrapporte hochbefriedigend lauten, steht der Direktor
das Geschäft war der Magnet für die wohlbeleibten Goldmotten, die von. der vorläufig fest.
Helle des Sofittenlichtes angezogen wurden. Das brillante Geschäft des „Volks- Die „Burg", die alte, berühmte, vielverlästerte, oftüberschätzte und noch
theaters" hatte aneifernd' gewirkt. Mit grossem Programm und schimmernden mehr verläumdete, befindet sich, wenn man den maassgebenden publizistischen
Phrasen zog man aus, Wiens Kunst zu fördern. Der Spiritus war bald beim Stimmen glauben darf, wieder einmal im „unaufhaltsamen Niedergange." Es ist
Teufel, schlechte Dividende und steigende Defizite verscheuchten den Talmi- ja wahr, Paul Schienther, der feinschmeckende Kritiker der tVossischen
Kunstenthusiasmus, mit dem aus Wien eine neue Theaterstadt gemacht werden Zeitung", zeigt sich nicht als Laube. Alle seine Novitäten haben sanfte Durch-
sollte. Die örtlichen Verhältnisse mit dem leidigen „Sperrsechserl", das dem fälle erlitten, von den herangezogenen Kräften kann sich nur Kainz behaupten.
Wiener Hausmeister geopfert werden muss, wenn man nach zehn Uhr in sein Wann aber gab es solche Uebergangsperioden nicht? Dass Schienther, ohne
eigenes Haus will, die schlechte Kommunikation und, last not least, der wir't- Kenntnis der Verhältnisse seine Stellung antrat, ist sein grösster Fehler. Er
sc.haftliche Niedergang, der seit Jahren in der Kaiserstadt so ziemlich das einzige hatte wohl im Verkehr mit einzelnen Mitgliedern etwas gehört von „Neben-
ist, was da „blüht und gedeiht", stellen sich dem Aufschwung des Theaters regierung", von „Intrigue der Alten" und anderen Schönheiten des Burgtheaters,
wirksam entgegen. Eine Theaterstadt war Wien — trotz Müller-Guttenbrunns Dass er die Verhältnisse ganz und gar nicht kannte, bewies er damit, dass er
Ausspruch — niemals; es war bloss die Stadt der Theaterenthusiasten. Eine sich von Leuten in sein Amt bringen liess, die sich selbst kaum mehr halten
Theaterstadt wird es wohl auch nie werden. konnten. Nun muss er die „Lahmen und Krüppel" halten und daran krankt
Heute haben die eineinhalb Millionen Einwohner Wiens neun Theater; sein ganzes Regime. Für die Moderne hat er keine Schauspieler; das Klassische,
davon sind fünf total passiv. Solche Thatsachen sprechen deutlich. das ehedem die Baronessen entzückte, zieht nicht mehr. Dazu nahezu das
Die beiden Hoftheater, die der Kaiser mit 300 000 Gulden subventioniert, ganze Haus an Abonnenten und Stammsitzinhaber vergeben; immer dasselbe
kranken seit Jahren an unausgeglichenem Etat. In der Hofoper sind die Publikum. Und die Rollen in festen Händen, traditionell sichergestellt — es ist
Verhältnisse seit dem Antritt Gustav Mahlers besser geworden. Er lässt nicht leicht so zu dirigieren. Zudem ist der ehedem so radikale Kunstkritiker
seine unleugbaren künstlerischen Vorzüge von dem Kassenrapport günstig be- viel zu weich, zu „entgegenkommend". Er dünkt sich im Schosse derer sicher
einflussen. Er hat das unter Jahn so kostspielige Ballet eingeschränkt, sogenannte die heute die Macht haben und weiss nicht, dass die jeden fallen lassen, der
„Luxuskräfte" entlassen und gestattet den ökonomischen Intentionen des Intendanz- sich nicht halten kann. So toben denn stille, aber desto gefährlichere Kämpfe,
rates einen weitgehenden Einfluss. Vielleicht einen weitergehenden, als es der durch das Fünfzehn-Millionenhaus am Franzensring, die über kurz oder lang zu
bisher ungeschmälerte Ruf dieses ersten deutschen Kunstinstituts vertragen kann. einer Krise führen müssen. Die Blätter, ohne Unterschied der Parteischattierung,
Denn wenn man hört, dass die Wiener Oper seit Langem keine Koloratur- blasen dem Direktor die Kriegsfanfare ins Ohr und das prächtige, so genial
Sängerin von Ruf hat, keinen namhaften lyrischen Tenor, keine bedeutende verbaute Haus speit immer weniger Besucher aus. Man zahlt nicht gerne 80 Kr.
Altistin, so wird man die engen Grenzen des Repertoirs wohl erkennen. Ein 0,40 Mk) für einen Sitz auf der dritten Gallerie, auf dem man wenig sieht,
MODERNE KUNST.
dieser ihm in einer vertraulichen Unterredung mitgeteilt, dass Hardy sich streng „Aber, Mama, hast Du denn den Bildhauer vergessen, der Inas Büs'ta
an die Grenzen des ihm zukommenden Kapitals, respektive der Zinsen des- gemacht hat?"
selben, halten müsste. „Ach der — richtig, der hiess ja Stolting." —
„Na, schliesslich, zum Betteln habe ich sehr wenig Talent, Mama", schloss „Ja, und er will für drei Jahre nach Italien gehen und lernt vorher die
Hardy seine Beichte, „also, ich dachte, schlimmsten Falls müssen die Leute eben Sprache gründlich, um Land und Leute recht studieren zu können. Das finde
warten, bis ich über mein Vermögen disponieren kann. Zur Last zu fallen ich so vernünftig von ihm!"
brauche ich ja keinem! Ja .wohl, da soll mal einer mit solchen Blutsaugern Die Gräfin nickte zerstreut und Hardy sagte: „Herrn Stoltings Reisepläne
rechnen! Haben sie nun Witterung gekriegt, dass Ellinors Vermögen nicht so scheinen Dich mehr zu interessieren als all' meine Nöte — und ich habe doch
gross ist wie man glaubte und dass Hugo bei dem Train, den er führt, nicht so schwere Tage und Wochen durchgemacht, ich versichere Dich, es hat mich
gerade Geld für einen sogenannten leichtsinnigen Bruder übrig haben dürfte — manche schlaflose Nacht gekostet!"
kurz und gut, ich werde jetzt gedrängt, und was das schlimmste ist, die Kerls „Um so besser wirst Du nun wieder schlafen", rief Jutta. „Geldnöte sind
rechnen mir so rasende Prozente an, dass ich allerdings alles in Bewegung wirklich etwas entwürdigend Jämmerliches — so eine niedrige, gemeine Sache
setzen muss, um sie los zu werden. Und jetzt gerade, wo ich einen klaren Kopf wie das Geld dürfte gar keine solche Rolle bei unser einem spielen!"
zu den Arbeiten brauche!" Die Gräfin war entrüstet über „diese Gläubiger", über „Aber Juttakind, es dreht sich doch schliesslich alles darum!"
„diese Kommilitonen", deren Gesellschaft ja förmlich nötigte, Schulden zu machen/ »Für den Plebs wohl, aber für uns doch nicht! Geld ist ein notwendiges
kurz, über alle und alles, nur nicht über Hardy, in dem sie ein Opfer der Ver- Uebel, sonst nichts, und wenn Du zufällig das meine einmal verbrauchen solltest,
hältnisse sah. Sie war so überzeugt davon, dass sie auch Hardy den letzten Rest Hardy, so gebe ich Sprachstunden, ich habe ja ein so grosses Sprachtalent."
von Schuldbewusstsein nahm und er es ganz natürlich fand, dass sie ihm helfen Sie lachte übermütig und umarmte ihn, und er sah ihr bewundernd in die
musste. Jutta war die einzige, die ins Vertrauen gezogen wurde, und sie fand es dunklen, heut besonders glänzenden Augen und sagte:
lächerlich, sich über diese ganze Kalamität auch nur eine trübe Stunde zu bereiten. „Du bist die rassigste von meinen Schwestern — mein kleiner Prachtkerl,
„In einem Jähre verfügen wir drei zusammen über Geld genug, da wollen ich wette, keine von den anderen hätte die leidige Angelegenheit so vornehm
wir doch nicht die Köpfe hängen lassen um diese zwanzigtausend", sagte sie. aufgefasst wie Du."
„Es sind fast dreissig mit den gestundeten Zinsen", sagte Hardy kleinlaut. Die Auffassung von Mutter und Schwester war Hardy höchst sympathisch.,
„Na, dann sind es eben dreissig oder vierzig, Mama spricht mit ihrem Banquier im Grunde genommen lag wirklich etwas Kleinliches darin, sich wegen so ein
und die Sache ist aus der Welt! Mama, die Signora hat heut gesagt, ich wäre die paar braunen Papierlappen das Leben zu verbittern, etwas, das eines Holkwitz
beste Schülerin, die sie je gehabt hätte, und ich hätte ein ausgesprochnes Sprach- unwürdig war!
talent, denkt mal, also ein Talent habe ich doch!. Ich freue mich so darüber!" Die Gräfin sprach noch am selben Nachmittag mit ihrem Banquier, der sich
Die Sache schien sie vielmehr zu interessieren als Hardys Schulden, und bereit finden liess, gegen mässigen Zinsfuss das erforderliche Kapital vor-
die Gräfin, die anfangs doch ein wenig erschrocken gewesen war, begann die zustrecken. Sie kam zurück, gehoben durch das Bewusstsein, zum ersten Mal
letzteren nun auch leichter zu nehmen. in ihrem Leben eine selbständige Geldangelegenheit besorgt zu haben. Bisher
„Jutta hat eigentlich recht, es ist wirklich keine so sehr grosse Summe, und hatte sie über diese Dinge sehr wenig nachgedacht. Wenn sie etwas brauchte,
vom Gelde hängt doch das Glück nicht ab." hatte sie sich an die Vormundschaft oder an Hugo gewandt, und da ihre
„Und weisst Du, Mama, wer mich heut bei meiner Signora abgelöst hat", Wünsche und Bedürfnisse bei dem doch relativ einfachen Gutsfrauenleben, wie
fuhr Jutta fort, während ein eigentümlicher, rosiger Schimmer über ihrem sie es geführt hatte, die gegebenen Grenzen nie überschritten, hatte sie solche
Gesicht lag, „denke Dir, Herr Stolting nimmt auch italienische Stunden bei ihr!" niemals störend empfunden, und das Gefühl, dass das Geld, für das, was man
Die Gräfin wusste nicht gleich, wer Herr Stolting war. brauchte, da sein müsste, war ihr so natürlich und selbstverständlich wie die
Jutta sah sie sehr erstaunt, fast vorwurfsvoll an. Luft zum Atmen. [Fortsetzung folgt.]
iens (f^eafer und Üfrc Jfeifer.
[Nachdruck verböte
jne kurze Zeit schien es, als ob das Theaterwesen Wiens, von dessen Glück, das der Wagner-Enthusiasmus noch frisch und ungeschwächt blüht,
kultureller und künstlerischer Bedeutung einst die Welt erfüllt war, in Trotz dieses fühlbaren Defizits hat Mahler in den letzten Jahren manchen
der es heute nur einen sehr bescheidenen Rang einnimmt, einen Auf- Treffer vor die Rampe gebracht. Er hat ältere Opern neu einstudiert und zu
schwung nehmen wollte. Müller-Guttenbrunns Feldzug gegen die Wiener „Kunst- hohen Ehren gebracht und versucht — ungeachtet aller Anfeindungen — die an
sumper" weckte das Interesse für neue Unternehmungen. Das Raimundtheater der Oper sonst im Schwünge gewesene Starwirtschaft abzuschaffen. Es giebt
erstand, am WTähringer Gürtel wurde ein neues Musenhaus gebaut, auch in darob harte Kämpfe, in die sich auch ein Teil der Wiener Presse leidenschaftlich
anderen Bezirken der weitläufigen Donaustadt tauchten Projekte auf. hineinmischt. Da aber Feind wie Freund das grosse musikalische Talent Mahlers
Aber die gehegten Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Nicht die Kunst, gelten lassen und die Kassenrapporte hochbefriedigend lauten, steht der Direktor
das Geschäft war der Magnet für die wohlbeleibten Goldmotten, die von. der vorläufig fest.
Helle des Sofittenlichtes angezogen wurden. Das brillante Geschäft des „Volks- Die „Burg", die alte, berühmte, vielverlästerte, oftüberschätzte und noch
theaters" hatte aneifernd' gewirkt. Mit grossem Programm und schimmernden mehr verläumdete, befindet sich, wenn man den maassgebenden publizistischen
Phrasen zog man aus, Wiens Kunst zu fördern. Der Spiritus war bald beim Stimmen glauben darf, wieder einmal im „unaufhaltsamen Niedergange." Es ist
Teufel, schlechte Dividende und steigende Defizite verscheuchten den Talmi- ja wahr, Paul Schienther, der feinschmeckende Kritiker der tVossischen
Kunstenthusiasmus, mit dem aus Wien eine neue Theaterstadt gemacht werden Zeitung", zeigt sich nicht als Laube. Alle seine Novitäten haben sanfte Durch-
sollte. Die örtlichen Verhältnisse mit dem leidigen „Sperrsechserl", das dem fälle erlitten, von den herangezogenen Kräften kann sich nur Kainz behaupten.
Wiener Hausmeister geopfert werden muss, wenn man nach zehn Uhr in sein Wann aber gab es solche Uebergangsperioden nicht? Dass Schienther, ohne
eigenes Haus will, die schlechte Kommunikation und, last not least, der wir't- Kenntnis der Verhältnisse seine Stellung antrat, ist sein grösster Fehler. Er
sc.haftliche Niedergang, der seit Jahren in der Kaiserstadt so ziemlich das einzige hatte wohl im Verkehr mit einzelnen Mitgliedern etwas gehört von „Neben-
ist, was da „blüht und gedeiht", stellen sich dem Aufschwung des Theaters regierung", von „Intrigue der Alten" und anderen Schönheiten des Burgtheaters,
wirksam entgegen. Eine Theaterstadt war Wien — trotz Müller-Guttenbrunns Dass er die Verhältnisse ganz und gar nicht kannte, bewies er damit, dass er
Ausspruch — niemals; es war bloss die Stadt der Theaterenthusiasten. Eine sich von Leuten in sein Amt bringen liess, die sich selbst kaum mehr halten
Theaterstadt wird es wohl auch nie werden. konnten. Nun muss er die „Lahmen und Krüppel" halten und daran krankt
Heute haben die eineinhalb Millionen Einwohner Wiens neun Theater; sein ganzes Regime. Für die Moderne hat er keine Schauspieler; das Klassische,
davon sind fünf total passiv. Solche Thatsachen sprechen deutlich. das ehedem die Baronessen entzückte, zieht nicht mehr. Dazu nahezu das
Die beiden Hoftheater, die der Kaiser mit 300 000 Gulden subventioniert, ganze Haus an Abonnenten und Stammsitzinhaber vergeben; immer dasselbe
kranken seit Jahren an unausgeglichenem Etat. In der Hofoper sind die Publikum. Und die Rollen in festen Händen, traditionell sichergestellt — es ist
Verhältnisse seit dem Antritt Gustav Mahlers besser geworden. Er lässt nicht leicht so zu dirigieren. Zudem ist der ehedem so radikale Kunstkritiker
seine unleugbaren künstlerischen Vorzüge von dem Kassenrapport günstig be- viel zu weich, zu „entgegenkommend". Er dünkt sich im Schosse derer sicher
einflussen. Er hat das unter Jahn so kostspielige Ballet eingeschränkt, sogenannte die heute die Macht haben und weiss nicht, dass die jeden fallen lassen, der
„Luxuskräfte" entlassen und gestattet den ökonomischen Intentionen des Intendanz- sich nicht halten kann. So toben denn stille, aber desto gefährlichere Kämpfe,
rates einen weitgehenden Einfluss. Vielleicht einen weitergehenden, als es der durch das Fünfzehn-Millionenhaus am Franzensring, die über kurz oder lang zu
bisher ungeschmälerte Ruf dieses ersten deutschen Kunstinstituts vertragen kann. einer Krise führen müssen. Die Blätter, ohne Unterschied der Parteischattierung,
Denn wenn man hört, dass die Wiener Oper seit Langem keine Koloratur- blasen dem Direktor die Kriegsfanfare ins Ohr und das prächtige, so genial
Sängerin von Ruf hat, keinen namhaften lyrischen Tenor, keine bedeutende verbaute Haus speit immer weniger Besucher aus. Man zahlt nicht gerne 80 Kr.
Altistin, so wird man die engen Grenzen des Repertoirs wohl erkennen. Ein 0,40 Mk) für einen Sitz auf der dritten Gallerie, auf dem man wenig sieht,