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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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8. Heft
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Brandenfels, Hanna: Im Konfektionsgeschäft: Skizze
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Unsere Bilder, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0193

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128

MODERNE KUNST.

ist mal wieder ein Tag! Früher als Reisender bekam ich jährlich 6000 Mark
und ging spazieren! Jetzt ärgert man sich die Galle ins Blut, fristet kaum sein
Leben und muss Gott danken, wenn . . ."

Das übrige verschlingt das Zufallen der Atelierthür.

Als ich wieder in den Ladenraum trete, sehe ich ein junges, brünettes
Frauchen eine sortie de bal wählen. Sie findet alles „entzückend", „reizend",
„wundervoll" und der dabeistehende junge Gatte ebenso.

„Ach Fred! ist diese sortie nicht himmlisch?"

„Sehr schön, mein Herzchen! aber Du machst ja die Sachen erst zu etwas",
flüstert er bewundernd.

Es dauert keine zehn Minuten, dann haben sie ein duftiges Chaos von weisser

Seide, Spitzen und Straussfedern — Preis 105 Mark — gewählt und ihre Hotel-
adresse angegeben. Sie schauen einander viel mehr in die Augen, als wie auf
das schneeige Toilettenstück.

Es giebt doch nichts Poesievolleres, als so ein junges, sonniges Liebesglück,
w:e es da eben Arm in Arm zur Thür hinausschwebt.

„Nun, das war doch ein hübscher Abschluss nach all den schweren Kämpfen
mit den andern Herrschaften", sage ich lächelnd zu dem Chef, meine Rechnung
bezahlend.

„Das weis Gott, gnädige Frau! verdammt schwere Kämpfe — oh Pardon!
aber manchmal ist's zum Davonrennen — verzeihen Sie gütigst das lange Warten."
„Oh bitte — es war mir sehr interessant!"

Kilian hört oft die Bemerkung, dass die

Weihnachtsfeier an Bord des Lloyd-Dampfers . .. ,. . T , ,„ .,

,, . „,..... „ - moderne 1 echnik. vor allem das Leben und 1 reiben

„Kaiser Wilhelm der Grosse". jmm^m*

t.A in Werkstätten und Fabriken, einer ästhetischen

eihnachten an Bord eines Dampfers, mitten ^UK Betrachtungsweise kein Objekt bieten könne, dass

auf der unendlichen Wasseröde, in welcher ihr kein künstlerisches Moment innewohne. Wer

nirgends ein äusseres Zeichen an das zaubervollMe, das sagt, täuscht sich; wer mit den richtigen

für jeden Deutschen heiligste Fest mahnt. — Un- lB'"*'' , Augen in die Welt blickt, findet überall Schönes,

aufhaltsam durchpflügt das ungeheure Schiff den w - Die Betrachtung des prächtigen Farbendruckes

Ocean, gleichmässig, wie alle Tage, wie jede nach Fritz Gehrkes Aquarell „Entkohlung des

Stunde und Minute, peitschen die Riesenschrauben jä\ Roheisens in der Bessemer-Birne" zeigt,

• Wasser, gleichmässig wie alle Tage vollziehl tädtK/KStk Hj^w welche wundervollen Farbenwirkungen, welcher

sich der eherne Dienst der Mannschaft. Und __ , ;t '■ prachtvolle Funkenregen in einer Hatten-Werk-

doch, ein unnennbares Etwas scheint über dem H Hl statt entstehen kann. — Der Stahl unterscheidet
ganzen Tage zu schweben und jedes menschliche „.:_ H sich bekanntlich vom Roheisen dadurch, dass er
Wesen an Bord zu beseelen. Die rauhen See- JH WL weniger Kohlenstoff enthält, als dieses. Während
leute, deren Beruf sie von Jugend auf das Fest f-jj H der Kohlenstoffgchalt des Roheisens sich auf
meist fern von ihren Lieben im strengen Dienst, I HJH 3—6 Prozent beläuft, sind im Stahl nur 0,6 bis
im Kampfe mit der Naturgewalt hat verleben I i$Pfc-.: H 2,0 Prozent Kohlenstoff enthalten. Um also aus
lassen, sie stehen an diesem Tage ebenso unter Hfl Roheisen Stahl herzustellen, ist es nötig, dem
drin Banne der Kindheitserinnerung, des Bedürf- HH H ersteren einen Teil seines Kohlenstoffes zu ent-
nisses der Anlehnung des Menschen an den H ziehen. Dies geschah früher wohl auch, jedoch
Menschen, wie die Passagiere, welche vielleicht t . - war man nur im Stande, kleinere Mengen zu be-
nur dieses einzige Mal fern von der Heimat, fern ^Hj arbeiten. Da trat im Jahre 1855 Jahn Henrv
von ihren Angehörigen das Weihnachtsfest feiern Bessemer mit seinem Prozesse an die Oeffentlich-
müssen. Selbst die geheimnisvolle Thätigkeit fehlt HjHjk^H keit, der die Bereitung grosser Mengen in schneller
nicht, wie sie zu Hause, am Lande, jedes Haus Jr und einfacher Weise gestattete. Das Verfahren
und jede Hütte zeigt, und in der Back der Matrosen, bB"^iB .,>■'" . * besteht darin, dass man flüssiges Roheisen in ein
in den Räumen der Heizer und Trimmer ebenso- jH| birnenförmiges Gefäss bringt, das man Konverter-
wohl wie in den fürstlichen Räumen des Salons 'Ai'iidfrJlr tIMmHI oder Bessemer-Birne nennt; mit Hilfe eines
und im Zwischendeck, in den riesenhaften Küchen, H Gebläses wird Luft durch dasselbe geblasen. Der
ebenso wie in den schmucken Räumen der Bäckerei ^» ^^B^H^^HTH, im Roheisen enthaltene Kohlenstoff verbrennt
und Konditorei herrscht geheimnisvolle Thätigkeit. HSk- hierbei unter Bildung einer mächtigen Flammen-
Gilt es doch auch hier, Ueberraschungen vor- garbe; in der Birne bleibt der Stahl zurück, der
zubereiten, gegenseitig sich Freude zu machen. durch Neigen derselben ausgegossen werden
Wenn der Abend herniedergesunken ist, HP HV kann. Eine Bessemer-Birne fasst in der Regel
wenn die ersten Sterne in unendlicher Pracht & ^BI^H 100 200 Centner Roheisen, und um dieselben in
an dem unabsehbaren Horizont aufblitzen, da Stahl zu verwandeln, genügt eine Zeit von 20 bis
blinken auch an Bord unseres herrlichen Schiffes /28 Minuten, während früher zur Verarbeitung
zahllose Sterne auf. Ueberall in den Wohn- Jy// / von 100 Centnern 1V2 Tag nötig war. Ohne diese
räumen der Mannschaften, im Zwischendeck und f/y * * * ^ y' 'y' * ' " '* ' Erfindung wäre der heutige Aufschwung der
in den herrlichen Speisesälen prangt das Symbol S Eisenindustrie einfach undenkbar. — Wir ent-

unseres liebsten Festes, der geschmückte Weih- nehmen dieses Kunstblatt und die Erklärung

Direktor der vereinigten Theater zu Graz. .

nachtsbaum, ohne den für ein deutsches Gemüt dazu dem beim Deutschen Verlagshause Rieh.

das Fest nicht denkbar ist. Niemals lässt der deutsche Seemann sich dieses Bong & Co. erschienenen Prachtwerke „H. Krämer, Das XIX. Jahrhundert in

Symbol der Heimat rauben, und wenn alle anderen Mittel fehlen, so wird es Wort und Bild", das derartige interessante Abbildungen aus allen Gebieten

künstlich hergestellt. Der Verfasser dieser Zeilen hat ein solches Weihnachtsfest des menschlichen Lebens in reicher Fülle enthält.

unter anderem auf einem Frachtdampfer im Roten Meere, also in glühendster %

Tropenhitze miterlebt. Aber auch hier liess sich die Mannschaft ihr Fest nicht

verkümmern. Am Abend erschienen sie in der Kajüte und brachten einen zwar <^f'er kleine Mozart bei Madame Pompadour! Welch ein entzückendes

winzigen, aber immerhin doch einen Weihnachtsbaum mit, der aus grün an- Bild hat V. de Paredes damit geschaffen! Zierlich verneigt sich der kleine

gestrichenen Besenreisern hergestellt war und auf welchem einige wenige Licht- Amadeus vor der allmächtigen Dame des französischen Hofes, während die

stümpfchen brannten. Anders an Bord des „Kaiser Wilhelm der Grosse", des Schaar der Hofleute bewundernd und neidisch auf die Gruppe schaut. —

schönsten und schnellsten Schiffes der Welt. Unser Bild spricht für sich selbst. Eine Während N. Volpe in seinem ungemein geschickt durchgeführten Bilde

gewaltige Edeltanne strebt in dem für mehr als 300 Personen berechneten un- „Lustige Lieder" eine heitere Scene aus dem Leben des Volkes darstellt,

geheuren Speisesaal empor und lässt aus ihren Zweigen eine Flut von Licht in deren Betrachtung in heiterste Stimmung versetzt, veranschaulicht R. Konopa

unzählichen elektrischen Lampen erstrahlen. Und auch der süsse Schmuck, der mit seinem Gemälde „Verehrung" eine Scene von ernster, tiefer Empfindung,

die Herzen der Kinder in diesem Falle ebenso wie die der Erwachsenen er- Die Muttergottes mit dem Heilande auf dem Schoosse erscheint den auf

freuen soll, fehlt nicht. Die Bäcker und Konditoren haben ihr möglichstes ge- dem Felde arbeitenden Kindern, die herbeiströmen, ihr verehrungsvoll Blumen

leistet, um in zierlichen Formen die Werke ihrer Kunst zum Weihnachtsbaume spenden und Gebete sprechen. — Was ein echter Jagdhund werden will,

beizusteuern. Das festliche Diner ist vorüber und bei den Klängen von „Stille interessiert sich zeitig für den Has', und wenn es auch nur ein ausgestopfter

Nacht, heilige Nacht" erscheinen die dampfenden Punschbowlen. Stallhase mit schnödem Heu im Leibe und Rädern an den „Läufen" wäre.

Näher schlagen die Plerzen aneinander und über das ganze Schiff verbreitet Minna Stocks hat die drollige Scene auf ihrem Bilde „Der Weihnachts-

sfeh die Weihestimmung der Geburtsnacht des Erlösers! hase in Gefahr" mit Humor und Geschick durchgeführt.
 
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