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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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7. Heft
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Faber-Reinhold, Helene: Der Familiendrache: Weihnachtshumoreske
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98 MODERNE KUNST. \ V- \T*W i ^4 MODERNE KUNST. 99

so stolz ist, weil dies alte Denkmal vcnetianischer Goldschmiedekunst wohlverwahrt in seiner Höhle. Was mag jene kleine Kassette bergen?
sich jahrhundertelang in Eurer Familie vererbt hat. Ich liebe überhaupt Der Schlüssel steckt. Leise dreht Hans Heinrich ihn um und öffnet den
Altertümer, — also auch Tante Anastasia —" fährt die junge Frau Deckel. Von tiefrotem Sammetpolster gleisst ihm der goldige Drachenleib
neckend fort, „vor allem aber liebe ich solch altertümlichen Goldschmuck. entgegen. — Ein kurzes Zögern — Hans Heinrich folgt dem Zuge seines
Und nun gar dieser Familiendrache! Wie charakteristisch ist die Auf- Herzens — der Drache verschwindet in seiner Brusttasche. Schnell wird
fassung in der Haltung des Tieres. Seine Fänge halten kampfbereit der Deckel geschlossen, der Schlüssel umgedreht,
echs Tage nur noch bis Weihnachten, und Hans Heinrich von die beiden Kleinodien, die schimmernde Perle und den prächtigen Smaragd „Tantchen, in einer halben Stunde geht mein Zug, ich muss fort." Bräutigam, wirklich ein sonderbarer Zufall! war heute früh nach Berlin
Villingen hat noch keine Ahnung, was er seiner Marianne, umschlungen; der ausdrucksvolle Kopf ist über den goldig gleissenden Drinnen ein ungeduldiges Knurren von „Rücksichtslosigkeit gegen abgereist. Warum? Was hatte er dort zu thun? und gerade heute? —
seinem liebreizenden, jungen Weibe unter den Christbaum Leib scheinbar nach einem verfolgenden Feinde zurückgewendet. Seine das Alter etc."; dann erscheint Anastasia im türkischseidenen Schlafrock Natürlich, Berlin war der beste Ort, um gestohlenes Gut anauffällig
legen soll. So oft er sie auch nach dieser Richtung hin glutvollen Rubinenäuglein haben mein ganzes Herz bezaubert. Schade, in der Thür, die Puderquaste in der Hand, das Gesicht halb weiss, halb zu veräussern. Das alles waren in Anastasias Augen schwerwiegende
befragt, immer erhält er die gleiche Antwort; seine Frei- schade, dass es so schöne Ungeheuer heute nicht mehr giebt!" pergamentfarben, die eisgrauen Locken halb aufgewickelt. Sie händigt Verdachtsmomente gegen Rosa und ihren Wilhelm. Trotz des Abratens
giebigkeit habe sie mit allem Nötigen und Unnötigen so überreich ver- Hans Heinrich hat die Flut dieses Lobgesanges glückseligen Antlitzes ihm ein schriftliches Verzeichnis der zu machenden Besorgungen nebst ihrer Verwandten eilte Anastasia nach der Polizei; es wurde eine natürlich
sehen, dass ihr vorläufig absolut nichts zu wünschen übrig bleibe. Kein über sich hinströmen lassen. Kein Zweifel, er muss solch einen Drachen dem dazu nötigen „Kleingeld" in Gestalt einiger Banknoten ein, reicht erfolglose Haussuchung gehalten, worauf beide Mädchen, sowohl die
Wunder! Hans Heinrich ist reich, seit vier Wochen vermählt und der auftreiben für Marianne als Weihnachtsgabe. Aber wo, wo? Bei keinem ihm huldvoll mit steifer Grandezza die Hand mit der Puderquaste zum hübsche Zofe, wie Marie, die langjährige, bewährte Köchin ihrer Herrin
verliebteste Ehemann, den man sich denken kann. Aber die Qual des Juwelier seiner Heimatsstadt G. ist so etwas zu finden. Er muss nach Kuss, und dann schliesst sich die Thür hinter dem — Drachendieb. sofort den Dienst aufsagten. Die arme Rosa hatte ein scharfes Verhör
Nachsinnens über eine aparte und willkommene Weihnachtsgabe für seine der Residenz. Einer der Hofjuweliere kann den Familiendrachen sicher Hans Heinrich erreicht mit knapper Not den Zug und sinkt mit einem zu bestehen, besonders wegen des abgereisten Bräutigams, und das
Angebetete fällt ihm nachgerade auf die Nerven, verlegt ihm den Appetit, anfertigen, wenn er das Modell nur sieht. Wenn — ja, da sitzt der tiefen Atemzug in die Polster. Gottlob, er hat den Familiendrachcn' verängstigte Mädchen vermehrte durch widersprechende Aussagen und
raubt ihm den Schlaf. Wo er geht und steht, erscheint ihm gleich einem Haken! Tante Anastasia giebt ihren Schatz sicher nicht eine Stunde aus Seelenvergnügt schaut Hans Heinrich von Villingen in das Menschen- Angaben den Anschein einer möglichen Schuld. Die weitere Folge
Menetekel das dräuende Wort: „Was sollst Du ihr schenken?" Da bringt der Hand! Durch Hans Heinrichs Kopf schwirren die abenteuerlichsten gewühl, als er am Spätnachmittag durch die Berliner Strassen schlendert. dieses Verhörs war, dass der Telegraph in G. mit Berlin in lebhafte
ihn ein Wort aus seines Weibes Rosenmunde auf eine glückliche Idee. Pläne, und just der abenteuerlichste scheint ihm der ausführbarste. Etwas Die weissen Flocken tanzen lustig in der kalten Luft; auf den freien Unterhaltung geriet, und ehe noch 24 Stunden ins Land gegangen, hatten
Sie hatten soeben einen Besuch von Tante Anastasia gehabt und standen noch von dem Wagemut und der Romantik der mittelalterlichen Ritter erwacht Plätzen sind ganze Wälder von duftenden Tannenbäumen aufgestellt; in sämtliche Berliner Juweliere die AVeisung erhalten, beim etwaigen Er-
ganz unter dem Eindruck der genossenen Ehre. Fräulein Anastasia war nicht in seinem Herzen. hastiger Eile drängen und stossen sich die Menschen; ab und zu stockt scheinen des mutmaasslichen Drachendiebes denselben in unauffälliger
nur das altehrwürdigste Möbel, die „schwerste" Erbtante in der Familie Am Abend teilt Hans Heinrich seiner Marianne mit, dass er in einer der Strom vor einer der glänzend erleuchteten, mit Weihnachtsbäumen, Weise festzuhalten und sofort die Polizei zu benachrichtigen, damit dieselbe
derer von Villingen, sondern auch die schärfste, bissigste Zunge im Um- dringlichen Angelegenheit — hier ein vielsagendes, geheimnisvolles Engeln etc. dekorierten Schaufensterauslagen. Echtes fröhliches Weih- in die Lage komme, ihn zu arretieren. Auch der Hofjuwelier, dem Hans
kreis von 10 Meilen. Heute aber war diese Zunge ganz gegen ihre Lächeln — auf ein bis zwei Tage verreisen müsse. Am andern Morgen nachtsleben und-treiben; Weihnachtsstimmung auf all den alten und jungen Heinrich v. Villingen die Drachenprobe zur Nachahmung übergeben, hatte
sonstige Gewohnheit in eitel Honigseim getaucht gewesen, und die alle ein zärtlicher Abschied, und Hans Heinrich stürmt — statt nach dem Gesichtern. Selbst auf den schmalen, blassen Wangen und in den ernsten jene Benachrichtigung erhalten. Er gratulierte sich von Herzen, dass es
Schwächen der lieben Mitmenschen erspähenden Blitzäuglein hatten das Bahnhof — die breite, teppichbelegte Treppe zu Anastasia von Villingens Kinderaugen der kleinen Strassenverkäufcr liegt ein Schimmer von Weih- ihm bestimmt sein würde, den frechen Dieb zu fassen. Trotz seiner
reinste Wohlwollen ausgestrahlt angesichts des reizenden, behaglichen vornehmem Jungfrauenheim empor. nachtsfreude. Hans Heinrich lässt manche Nickelmünze in die froststarren Findigkeit konnte sich der Geschäftsmann nicht recht erklären, weshalb
Heims und der Turteltaubenzärtlichkeit des jungen Paares. „Gnädiges Fräulein sind noch bei der Toilette" berichtet die öffnende kleinen Hände gleiten. Ihm ist so recht festfröhlich zu Sinne. Seine der Spitzbube — der übrigens einem vornehmen Herrn zum Verwechseln
„Weisst Du, Schatz, etwas Entzückenderes und Originelleres als diesen Zofe und führt ihn nach dem Wohnzimmer, wo auf dem Tisch die Thee- Bestellung ist gemacht. In zwei Tagen — so lange muss er freilich in ähnlich sah, aber das sind ja die schlimmsten — warum besagter Spitz-
alten Familiendrachen habe ich mein Lebtag nicht gesehen." maschine summt und im Kamin das Feuer knistert. Nebenan „richtet Berlin bleiben— wird der Familiendrache einen Zwillingsbruder besitzen, bube, statt ihm die Brochc einfach zum Verkauf anzubieten, dieselbe
„Familiendrachen? — Aber Marianne. —" • Tante Anastasia ihren äusseren Menschen her", wie sie zu sagen pflegt. und daheim wird sich der Schimmer der Weihnachtskerzen in seinen glut- nachgemacht haben wollte. Aber das war natürlich eine Finte, ein besonders

„Dieses Feuer der Augen, diese Geschmeidigkeit des Leibes, diese „Guten Morgen, Tantchen!" ruft er durch die Thüre. „Ich will nach roten Rubinenaugen brechen.--- feiner Schachzug. Ob er überhaupt das Schmuckstück anfertigen sollte?

Gediegenheit des Geschmackes! So etwas giebt's heute nicht mehr." Berlin, wollte nur fragen, ob Du für das herannahende Weihnachtsfest Mittlerweile hatte in G. Tante Anastasia das ganze Haus in Aufruhf - Natürlich! Denn solch eine Sache, die durch alle Zeitungen in Ver-
geh finde es lieblos von Dir, Marianne," fällt der Gatte ihr in die Rede, nicht dort was zu besorgen hast?" versetzt. Ein Schrei des Entsetzens entrang sich ihrem jungfräulichen bindung mit einer sensationellen Notiz lief, würde sich schon verkaufen
„dass Du Dich über meine Familie lustig machst. Tante Anastasia ver- „Schlauberger Du!" tönt es zurück, „soll wohl ein Wink mit dem Busen, als statt des funkelnden Drachenschmuckes das leere Sammet- lassen, — und zwar für recht viel Geld. Du lieber Gott, es findet sich
dient doch nicht den ominösen Namen eines —" Zaunpfahle sein, was? Na warte mal, ich bin in fünf Minuten fertig, mach' polster ihr entgegengähnte. Auf ihren Schrei erschien zuerst Rosa, die für so viele Hausdrachen ein Liebhaber, warum nicht für diesen, der doch
„Familiendrachen!" vollendet Marianne. Und ihr Lachen schallt durch Dirs bequem einstweilen, mein Junge, und nimm eine Tasse Thee." Zofe, ein hübsches, junges Ding. Auf sie lenkte sich sofort der Verdacht keinem etwas zu leide thut! — Nach zwei Tagen sollte der Auftraggeber
das trauliche Gemach. „Liebster, Bester, Du bist ja ganz auf dem Holz- Hans Heinrich kennt die „fünf Minuten" bei Tante Anastasias Toilette. Fräulein Anastasias. Das eitle Mädchen hatte oft genug sein Entzücken wiederkommen, und er kam. Er besah die fertige Arbeit, die zu seiner
wege. Ich rede gar nicht von Tante Anastasia; ich meine ja ihr herr- Während er mechanisch in seinem Thee rührt, lässt er seine Augen an dem herrlichen Schmuckstück kundgegeben. Zudem hatte Rosa einen vollsten Zufriedenheit ausgeführt war. Der geschmeichelte Juwelier ver-
liches Schmuckstück, die alte Drachenbroche, auf die Tante Anastasia durchs Zimmer schweifen. Ach! der Familiendrache schlummert gewiss Bräutigam — Wilhelm Berger hiess der glückliche Jüngling — und dieser wickelte Hans Heinrich in ein längeres Gespräch über die interessante


 
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