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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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Stimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0107

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77

(im ni u liefen.

[Nachdruck verboten.].

% # , Arbeiten bediente, wohl den meisten Schriftstellern, namentlich den modernen,

^t3» Viehles bei dev rivbe IT« °==s~ als beliebte Erfrischungsmittel während des dichterischen Schaffens. Schiller

Litterarische Plauderei von Carl v. Heugel. produzierte überhaupt schwer und mühsam, im Gegensatz zu Goethe, dem

„Gelegenheitsdichter" im idealsten Sinne des Wortes. Letzterer stand häufig

'ährend ich den Titel dieses Artikels niederschreibe, höre ich bereits im mitten in der Nacht von einer Idee ergriffen auf, eilte ans Pult und nahm sich

Geiste so und so viele Leser und Leserinnen verwundert ausrufen: „Ja, nicht einmal Zeit, das Papier, das er fand, „gerade" zurechtzurücken, so dass er

ist denn „dichten" überhaupt eine Arbeit?" Aber gewiss meine Verehrtesten, den Bogen in der Diagonale, von der linken nach der rechten Ecke hinunter

unter Umständen sogar eine sehr schwierige! Glauben Sie mir, schöne Leserin, beschrieb, und doch hatte er am andern Tage, beim Durchlesen des so eilfertig

manchem armen Poeten läuft der Schweiss nur so in Bächen von der Stirn, Hingeworfenen nicht nötig, auch nur eine Zeile zu ändern, so völlig ausgestaltet

wenn er gerade den Reim zu irgend einem vertrackten Wort, z. B. für „Mensch", waren ihm die Gedanken in die Feder geflossen.

nicht finden kann! Bedachtsamer noch und langsamer als Schiller, schuf Lessing seine Meister-
Sie lächeln? Nun ja, ich gebe ja zu, dass das eben Gesagte nur auf jene werke, wenigstens wenn man seinem eigenen Ausspruch, dass er „alles gleich-
unwahren Talente, jene Dichterlinge, die mehr aus vermeintlichem „inneren sam mit Röhren aus sich herauspressen möchte", glauben darf. Es ist dies aber
Drang", als aus wirklich angebornem Dichterberuf die Litteratur mit ihren Er- wohl eine Uebertreibung aus Selbstunterschätzung, die aus der allzu grossen
Zeugnissen zweifelhaften Wertes bereichern, seine Anwendung finden kann, — Bescheidenheit dieses unvergleichlichen Mannes resultiert.

aber nichtsdestoweniger ist auch die Arbeit des echten, schöpferischen Genies Als ein Dichter, der jede physische Beeinflussung beim Arbeiten entbehren

keineswegs eine so leichte und mühelose, wie die grosse Menge im allgemeinen konnte, stellt sich uns der jugendliche Körner dar. Die meisten seiner

zu glauben geneigt ist. Nicht alles was sich so glatt, so bequem lesen lässt, Leyer- und Schwertlieder verfasste er mitten im Lager auf umgestülpter Schieb-

was uns wie in einem Flusse hingeworfen erscheint, sprang gleich fertig aus karre sitzend oder zu Pferde, während militärischer Rekognoscierungsritte, jeden
dem Haupte des Dichters, wie Minerva aus dem Augenblick der Muse empfänglich. Körner ar-

Haupte des Jupiters! Auch das grösste Genie beitetc überhaupt mit einer ganz aussergewöhn-

hat Tage, Wochen, Monate des Kampfes, des H liehen Leichtigkeit. Man ist leicht versucht, das-

erbitterten Ringens mit seinem Stoff durch zu selbe von Heine anzunehmen, weil seine Ge-

machen, dem sich Stunden der Mutlosigkeit, der dichte, mehr wie die irgend eines anderen Poeten,

Verzweiflung gesellen, in welchen es ihm schier den Eindruck des flüchtig Hingeworfenen, un-

unmöglich erscheint, das Uebermaass der Ge- .-ilaitea», mittelbar Empfundenen und Wiedergegebenen

danken in geordnete Bahnen zu lenken, das machen, und doch hat kein Dichter so sehr die

Chaos zu sichten und in glänzender, fliessender Feile gebraucht, wie gerade Heine! Auf seinem

Sprache wiederzugeben, was die Seele allzu y, langjährigen Krankeiilagcr zu Paris, in der

mächtig erfüllt. Es kann auf diese Weise eine „Matratzengruft", wie er selbst es mit bitterem

vollständige geistige Erschöpfung eintreten, die Humor bezeichnet, änderte und besserte er mit

eine Zeit lang jedes Arbeiten überhaupt unmög- unermüdlicher Ausdauer. Darin gleicht er Voss,

lieh macht. Andererseits vermag freilich auch >-■ ,„ dem Dichter des „siebzigsten Geburtstag" und

eine einzige glückliche Stunde den Verlust von H . der „Louise", welcher sich auch nie genug thun

Wochen wieder einzuholen. Dann scheint sich konnte und namentlich das letztere Werk zahl-

gleichsam mit einem Male alles von selbst zu losen Umarbeitungen unterwarf. Aeusserer An-

fügen, der Geist ist von einer köstlichen Samm- 4^^HH H' flHBf regungsmittel bediente sich Heine übrigens nicht,

lung beherrscht, der schöpferische Born quillt in ,^|HHBh^V Der Tabaksrauch war ihm - wie Goethe — ge-

unausgesetzter, olympischer Frische. Das sind radezu ein Greuel. Mit den meisten der neuesten

jene Momente, in welchen der Dichter sich j/HtB^^KSk'' f Schriftsteller verhält es sich umgekehrt, sie

emporgehoben fühlt über Raum uud Zeit, in JMe 1 können absolut nicht des aromatischen Duftes

denen Publikum und Kritik für ihn versinkt ■ JMVU^HBk / einer guten Cigarre bei der Arbeit entraten.

und der gewaltige Flügelschlag des Genius Das trifft auch schon bei Lenau zu, und

ihn zu den Sternen entrückt. Es ist eine zwar in ganz hervorragender Weise. Man kann

Art Rausch, erzeugt von dem Genüsse des positiv behaupten, dass die übermässige Leiden-

Nektars, welchen die Unsterblichen selbst ihren schaft für schwere Cigarren und stärksten

Lieblingen kredenzen, jedenfalls ein Zustand, '-'----^ Kaffee, der er sich überliess, ein gutes Teil zu

in dem der Dichter unbedingt als der glück- Bella Gross, die Gattin des Romanschriftstellers Maurus Jökai. dem körperlichen und geistigen Siechtum bei-

lichste Mensch bezeichnet werden kann. — Nach einer Photographie von Erdelyi, kaiserl. und königl. Hofphotograph, Budapest. trug) von dem er betroffen wurde und welches
Man ziehe nun aber nicht etwa den übereilten Schluss, als ob die Dichter schliesslich im Wahnsinn endete. „Ich vermöchte keine Zeile zu schreiben,
von ihrer himmlischen Höhe mit stolzer Verachtung auf die simplen Genuss- ohne meine Pfeife im Munde," äusserte er einmal in einem Briefe an die durch
mittel anderer, gewöhnlicher Menschenkinder herabsähen. Beileibe nicht! Sie ihn so berühmt gewordene Sophie von Löwenthal. Wenn er den blauen Rauch-
sind nämlich für dieselben genau so empfänglich wie wir profanen Naturen, wölken nachschaute, dann kamen ihm die Gedanken. „Das beruhigt, konzentriert,"
sogar noch ein wenig mehr. Besonders in jenen vorhin erwähnten Stunden, bemerkte er an derselben Stelle.

wo das Blut dick und die Gestaltungskraft träge ist, sehen wir die Schriftsteller Andere halten es lediglich mit dem Wein, aber nicht immer in der maass-

zu allerhand Anregungs- und Reizmitteln ihre Zuflucht nehmen, von welchen sie vollen Weise eines Schiller. Bacchantisch wild trieb es in dieser Beziehung
sich eine klärende Wirkung auf das Gehirn und die Psyche versprechen. Sie namentlich der „tolle Hoffmann" (E. T. A. Hoffmann). Nur der rebenumkränzte
bilden da allerlei Absonderlichkeiten bei sich aus, die mit der Zeit so zur Ge- Gott vermochte ihm die schimmernde Phantasie zu entfesseln. Hoffmann schrieb
wohnheit werden, dass sie ohne dieselben schliesslich überhaupt nicht mehr seine unheimlichen, aber packenden Nachtstücke und Spukgeschichten zum grössten
arbeiten können und die sie sogar ins gewöhnliche Leben übertragen. Meistens Teil nachts, wenn er aus der Weinstube ven Lutter & Wegener heimkehrte und
sind diese kleinen Anregungsmittelchen ja harmloser Natur, es können sich aber die ungefügen Weingeister in seinem Hirn ein grauliches Rumoren begannen,
auch gefährliche Abarten daraus entwickeln, die nicht selten den geistigen und Das hört sich Alles ganz lustig an, betrübend aber wirkt es, wenn der-

körperlichen Ruin des Individuums zur Folge haben. gleichen Gewohnheiten, die, ursprünglich nur die Arbeit zu fördern bestimmt,

Fast jeder Schriftsteller hat seine besondere Manier beim Arbeiten, und es zum wüsten Hang ausarten, wenn, was anfänglich nur Mittel war, zum Zwecke
ist für den Laien von eigenem, reizvollem Interesse, die grossen Meister in ihrer wird, und das Genie sich von der Leidenschaft, die es meistern sollte, unter-
Werkstatt zu belauschen. jochen, und schliesslich gänzlich aus seinen Bahnen schleudern lässt. Das gilt

Werfen wir zunächst einen Blick auf unsere klassische Epoche, so fällt uns besonders von dem hochbegabten Grabbe, der das Zeug zu einem deutschen
Schiller sofort mit einer stark ausgeprägten Eigentümlichkeit ins Auge. Seine nicht Shakespeare hatte — aber an der Rumflasche elendiglich zu Grunde ging. So
gerade die Gesundheit fördernde Gewohnheit, beim Schaffen die Füsse in Eiswasser reich an Schönheiten, an gewaltigen Gedankenblitzen seine Schöpfungen auch
zu setzen, steht unter den Dichtern wohl ziemlich vereinzelt da. Auch die Leiden- sind, das Sprunghafte, Abgerissne und Absurde, welches darin obwaltet und wie
schaft für den Geruch fauler Aepfel, die er beständig in seinem Pulte liegen hatte, ein Reflex, seines eigenen verzerrten Lebensbildes erscheint, macht dem Leser
und von deren Ausdünstung Goethe einstmals, als er bei demFreunde zuBesuch war, einen reinen Genuss dieser Dichtungen unmöglich. Auf Grabbe lässt sich der
ganz jämmerlich übel wurde, dürften wenige Geistesheroen mit ihm teilen. Ausspruch Goethes anwenden: „Er wusste sich nicht zu zähmen, darum zerrann
Dagegen gelten Champagner und starker Kaffee, dessen er sich ebenfalls beim ihm sein Leben, wie sein Dichten."

XIV. 5. IV.

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