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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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20. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [6]: Roman
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Grube, Max: Kuriose Käuze, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0498

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MODERNE KUNST. 321

Er sah sie an. „Wie gut Sie sind, Ina, und wie schön!" die Herrschaften in seinem Motorwagen nur bis an das Ende der Avenue de la

Sie errötete wie ein halberwachsenes Mädchen und wandte den Kopf ab. porte neuve bringen zu können, da er sich verspätet habe und pünktlich vor

„O Hardy, warum sagen Sie das! Wir sind doch alte Kinderfreunde!" dem Schloss des Fürsten von Monaco sein müsse, wo er eine Verabredung mit

„Soll ich Sie deshalb nicht schön finden?" einem Herrn des Gefolges habe.

Nun lachte sie, und dann schritt sie leichtfüssig neben ihm her und sprach So verabschiedete man sich von Archibald Tomkins am Ende der Berg-

von andern Dingen, dabei wunderte sie sich im Stillen, dass er ihr früher nie Strasse. Sobald er fort war, sagte Ellinor: „Diese Partie war sehr hübsch, aber

gesagt hatte, dass er sie schön fände. Sie dachte an ihre Kindheit und an den ich glaube, Hugo würde ein Vorurteil gegen den Motorwagen haben und wir

langen Schuljungen, den Hardy von damals, und es kam ihr wie ein Spiel vor, werden ihm die Laune verderben, wenn wir es ihm erzählen."

dass sie jetzt als erwachsene Menschen zwischen den blühenden Pelargonien- Als sie in Monte Carlo ankamen, waren sie einig mit einander; man

gebüschen hinschritten, und dass sie als Frau und Mutter nun doch eigentlich wollte von dem Motorwagen lieber nicht sprechen, mithin auch nicht von

eine Art von Respektsperson für ihn geworden war. Und nun fand er sie schön Archibald Tomkins. Eine Stunde später traf die Gesellschaft in dem eleganten

— früher hatte er das wahrscheinlich gar nicht bemerkt, und sie fand das Speisesaale an einem der kokett gedeckten kleinen Tische wieder zusammen,

sehr lustig. Hardy fühlte sich zum ersten Mal auf dieser Erholungsfahrt voll- „Habt Ihr neuere Nachrichten von Mama und Jutta?" fragte Hardy seine

kommen ausgeruht und frisch; Ina, die er immer bewundert hatte, erschien ihm Verwandten. „Ich hörte ungewöhnlich lange nichts von ihnen." Hugo meinte,

in diesem Augenblick wie die Verkörperung der Jugend und Lebensfreude, die es würde ihnen wohl sehr gut gehen, deshalb schrieben sie nicht. Jedenfalls

ihm der graue Winter fast verwischt hatte, und die ihm jetzt wieder in den wären sie noch in der Schweizer Pension.

Adern zu pulsieren begannen. Seitwärts von dem Promenadenwege war eine Nach Tisch traten sie hinaus auf die breite Terrasse, um Cigarretten zu
Terrasse über dem Meere. Der Felsen senkte sich darunter steil herab und die rauchen, woran sich auch die Damen eifrig beteiligten. Hardj^ stand am Ge-
Wellen, die sich daran brachen, spritzten weisse Schaumkämme über die von länder und blickte mit krauser Stirn hinab auf die Palmen, hinter deren breiten
grünem Moos überwucherten Felszacken. Eine Olive hing mit ihrem silbergrauen Wedeln das Meer, von Mondlicht überstrahlt, heraufblitzte.

feinen Laube über der blauen Flut, und ein Geranke von Rosen und Pelargonien „Warum sind Sie so ernst, Hardy," fragte Ina, an seine Seite tretend. Er

lag blühend über dem oberen Theil des Felsens. Hardy und Ina sassen auf schüttelte den Kopf.

der Terrasse und tauschten Kindheitserinnerungen aus. Ellinor und Archibald „Nicht doch, Ina, ich lebe ganz in der schönen Gegenwart. Ein paar dumme

Tomkins waren längst ausser Hör- und Sehweite, aber sie dachten gar nicht an Briefe hatte ich allerdings — aber es waren nur Geschäftssachen."

jene beiden und waren unangenehm, überrascht, als Ellinor plötzlich vor ihnen „Also doch etwas Unangenehmes, ich sah es Ihnen an."

stand und ihre Armbanduhr hoch haltend, sagte, es sei jetzt die höchste Zeit „Wie gut Sie sind, Ina!"

zurückzukehren und für das Diner Toilette zu' machen. Sie lachte. „Das sagen Sie mir heut schon zum zweiten Mal!"

Archibald Tomkins stand hinter ihr und sah mit seltsam glänzenden Augen Ellinor mahnte, es sei Zeit in die Spielsäle zu gehen, und Hasso erzählte

über das Meer hin, wie einer, dessen Gedanken weitab schweifen. seine Begegnung mit Florian Wiezorek und sagte, er wolle sich doch 'mal die

„Hier kommen wir wieder her, hier ist es so viel schöner, als in Monte Madame Lejeune ansehen und auf ihre Karte setzen. Vielleicht hätte sie heute

Carlo," sagte Ina. Unter Ellinors langen Wimpern flog ein Blick zu Archibald ihren so lange erwarteten Glückstag.

Tomkins hinüber. Jetzt war er es, der „O yes" sagte, und seine schweifenden „Ja, versuchen wir es heut 'mal alle," rief Hardy, der bisher nicht gespielt

Gedanken schienen wieder ganz an Ort und Stelle zu sein. Er bedauerte sehr, hatte. [Fortsetzung folgt.]

uriosß G^x'du/e. •

~b

Von Max Grube.

II.

[Nachdruck verboten.]

Doch manchem Leser wird diese verklärte Erinnerung gerade so kindisch
vorkommen, wie ich damals wirklich war, ich will also mit einer weiteren
Schilderung meines in der That wunderschönen Sammethabits nicht weiter An-

| enn ein alter, oder wie man im Deutschen höflicher sagt, ein älterer stoss erregen, sondern nur der Wahrheit gemäss berichten, dass der Glanz meines

G^V^Q Künstler sich in seiner Tracht wesentlich vom Ueblichen unterscheidet, äusseren Menschen mein Inneres wohlthuend bestrahlte.

so muss er entweder durch seine Berühmtheit ein Recht zu diesen Absonderlich- Und das hatte mein Inneres sehr nötig, denn es war in einer ziemlich

keiten haben, oder er macht sich lächerlich. traurigen Verfassung.

Anders ist es mit den jungen Künstlern oder solchen, die es werden wollen. Ich hatte ja meinen Kopf durchgesetzt, ich war Schauspieler, sogar wohl-

Wenn die allzu geschniegelt und gebügelt einhergehen — da habe ich immer so bestallter Meininger Hofschauspieler, aber dieser Titel und vierzig Gulden

ein leises Misstrauen. Die sogenannte Göttin Mode ist doch ein zu erbärmliches Gage — damals zählte und zahlte man in Süddeutschland nach Gulden — war

Frauenzimmer gegenüber Ihrer Heiligkeit der Göttin Kunst, wer jene schön findet, auch alles, dessen ich mich zu erfreuen hatte. Mein Besitzstand an Rollen bewegte

kann der dieser aus vollem Herzen dienen? Nein, weit eher begreif ich's, dass er sich in den Ziffern: Erster Bedienter, zweiter Bürger, dritter Bauer, vierter

der Mode, dem Alltäglichen, Trotz bietet, sei es auch nur durch flatternde färben- Soldat u. s. w., mit Grazie in infinitum.

freudige Kravatten, oder durch einen Schlapphut — es ist ja nicht jedem gegeben, Aber das Sammetjackett gab mir Mut, nun sollte es anders werden!

sich durch ein Sammetjackett vor der Horde der Tuchbekleideten auszuzeichnen. Auch anderswo gab's eine Welt, auch ausser Meiningen gab es Theater

Diese ganze schöne Betrachtung ist vielleicht nur der Ausfluss allerpersön- und was konnte mich hindern einmal nach Schweinfurt zu fahren und dort

lichsten Empfindens und hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber ich nachzufragen, ob die dortige Direktion nicht einem Meininger Hofschauspieler
erinnere mich, ich war namenlos beglückt, als ich mir ein Sammetjackett auf . einige Gastrollen gewähren wolle. Ein Meininger Hofschauspieler war ich doch

den mageren Leib ziehen konnte. unbestritten, wenn auch nur mit den obbemeldeten 40 fl. Gage.

Die trefflichste Mutter hatte dem verlorenen Sohn einige Meter — damals Ich dampfte also eines schönen Wintertages hoffnurjgsfroh nach Schwein-
waren es glaub' ich noch Ellen — Sammet geschickt und zwar heimlich, war fürt ab, in einem ungeheizten Coupö — Abteile gab es damals noch nicht —
doch mein herrlicher, in ganz anderen Lebensphären sich bewegender Vater mit natürlich dritter Klasse, in dem ich, da ich über meinem vielbesagten Sammet-
meinem Ausrücken aus den familienüblichen Justiz- und anderen Ratsbahnen jackett nur einen mässig dünnen Ueberzieher streifen konnte, recht tüchtig fror,
gar nicht einverstanden. In der Geburtsstadt Rückerts machte mir das Theatergebäude einen mäch-

Den Macherlohn bestritt ich aus Eigenem, Selbsterworbenem. Dieses Gefühl tigen Eindruck, obwohl es durchaus kein architektonisches Meisterwerk war.

trat als ideeller Gewinn zum realen des wunderbarsten Kleidungsstückes, das Es befand sich in einer früheren Kirche, die, ehe sie der Schaubühne zuge-

ich je besessen. Die heutige Jugend hat es gut, die kann sich in Radelkostümen sprochen wurde, einer freireligiösen Vereinigung überlassen war. Am Giebel

was leisten. Kniehosen und Strümpfe das schliesst sich ja direct an Van Dyk und standen die Worte: „Mensch, erkenne dich selbst".

Rubens an. Ein Sammetradelanzug — der Gedanke wäre nicht auszudenken! Wahrlich ein schöner Spruch für ein Schauspielhaus!

Soweit schweifte damals die kühnste Phantasie noch nicht und wie gesagt, Mein Herz erglühte bei dem Gedanken, an dieser Stätte auch etwas dazu

ich war stolz im Vollbesitz meines Sammetrockes — ich sage Vollbesitz, daraus beitragen zu können, dass der Schweinfurter Mensch sich selbst erkennen lerne,

wird der verständige Leser entnehmen, dass ich das wunderbare Kleidungsstück Im Innern des Hauses konnte ich mich freilich weniger erwärmen, und zwar

auch bezahlt hatte — auf Abzahlung natürlich — denn in diesem Punkte bin ich aus dem zwingenden Grunde, weil das Haus nicht geheizt war.

zeitlebens ein Philister geblieben. In dem weiten unheimlichen Räume, der seinen klerikalen Ursprung nicht

Plettung, trefflicher Garderobier des Meininger Hoftheaters, das könntest verleugnen konnte, sassen wenige Menschen, mit Fusssäcken, Mänteln, Pelzen

Du mir bezeugen, wärest Du nicht bereits eingegangen in jenes Reich, wo und Decken versehen.

„Keine Kleider, keine Falten Ich gottserbärmlich. Die Vorstellung war auch nicht dazu angethan,

Bedecken den verklärten Leib." mir warm zu machen. Man gab „Liane, die zweite Frau" einen dramatisierten

XIV. 20. III.
 
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