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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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26. Heft
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Geißler, Max: Nymphen: zu den beiden Bildern von E. Veith
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Georgy, Ernst: Pariser Plauderbrief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0626

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MODERNE KUNST.

aus! Bei ihrem vorgeschrittenen Alter
ist ihre Beweglichkeit und Frische er-
staunlich. — Ihre berühmte Stimme ist
nicht mehr auf der Höhe, sondern schon
etwas brüchig. Sie bewegt sich stets
zwischen denselben Tönen und hat ewig
ein kehliges Schluchzen, das auf die
Dauer martert. Besonders wenn sie
Begeistrung oder laute Schmerzen glaub-
haft machen will, lässt ihr liebliches
Organ sie im Stich. Dabei muss sie im
l'Aiglon beständig brüllen! — Und dies
Stück spielt die alternde Frau, die
Grossmutter einer ganz erwachsenen
Enkelin, täglich abends und oft noch
zwei bis dreimal wöchentlich des Nach-
mittags. Dieser Fleiss ist erstaunlich. —
Doch nun zu ihrem Spiel! Ich wage es
auszusprechen, dass die alte Bernhardt
mir entsetzlich missfällt, weil sie nichts
weiter wie eine grosse Poseuse ist, die
geschickte Mätzchen macht und während
ihres Spieles unablässig das Publikum
beobachtet und die Klaque dirigiert. —
Ich betrachte es fast wie ein Glück,
dass das alte, berühmte Theätre Francais
ausgebrannt ist! Leider wird der alte
Kasten aus lauter Pietät in dem gleichen
Stil wiedererrichtet! Die Franzosen
können ihren Königen die Köpfe ab-
schlagen. Ja! Aber trotzdem sie Re-
publikaner sind, spielen sie noch heute
ihre klassischen Kothurndramen mit den
nämlichen steifen Armbewegungen und
Das russische Palais aut der Pariser Weltausstellung. mit dem gleichen „Gemecker" in der

zeigt sich die Oper in der Balltoilette einer ersten Besetzung. Als ich vor drei Jahren Stimme wie zu Zeiten Ludwig des Vierzehnten! Hohngelächter! — Die Sühne-
in Paris war, da war das, was ich im: „Faust—Hugenotten—Aida" zu sehen und kapelle für den sechszehnten Louis und sein Weib will man niederreissen; aber
hören bekam im Negligee. Denn damals spielte und sang wohl die fünfzehnte mit der Aufräumung des verstaubten Zopfes im Theater Francais wagt man nicht
Besetzung? Das Orchester war elend, die Sänger ungefähr auf der Höhe von der den Anfang zu machen.

Kottbusser Hofoper! Na, das war jetzt wettgemacht worden. Die Range doku- Hoffentlich zieht mit dem neuen Ausbau des Hauses ein neuer Geist in dieses

meutiert hiermit ihre allerhöchste Zufriedenheit! — Das ist doch auch was wert? — ein! Die Direktion entschliesst sich dann vielleicht, auch die früheren Tragödien

Ich sehe Sie schon ungeduldig werden und weiss warum! Sarah Bernhardt? ebenso gut darzustellen wie die modernen Lustspiele und Konservationsstücke.

Nicht wahr, die alte, ewige Sarah mit ihrer unverwüstlichen Anziehungskraft Der Respeckt vor dieser Musterbühne ist traditionell eingeimpft. Dennoch steht

auf das Ausland, dieser „Clou" von Paris fehlt Ihnen. Geduld, Sie sollen von das Kleine Theater in Moskau — das Burgtheater in Wien — das Deutsche

dieser Virtuosin der Bühne, der Reklamekunst, auch hören! — Früher ,machte' Theater in Berlin — turmhoch über dieser ersten Pariser Bühne, die in ihren Er-

die Bernhardt in Preussenhass, in gestohlenen Schätzen, in körperlichen An-, Zu- innerungen an einst — zur starren Mumie geworden! — — Alle „Racines" und

und Unfällen beständig von sich reden. Sie erhielt ihr Paris in Atem und ver- „Corneilles" haben sie mir beinah lächerlich gemacht: aber der „Gendre de

steht es noch heute! Denn die grosse Schauspielerin hat jetzt in der Ausstellung Monsieur Poirier" war vortrefflich. Ist das nicht schon ein Hohn? —

Bronzestatuetten zur Schau gestellt, die von einer ravissanten Grazie sind. Für das Moderne und seinen Einzug in Paris sorgen Monsieur Antoine und

A la bonheur, wenn sie die Dingerchen wirklich selbst gemacht hat! Weess vielleicht die ausgezeichnete Madame Rejane. Sonst bieten die hiesigen Theater

mer's denn? — So zeigt sie jetzt eine neue Seite ihrer in der That genialen nicht viel. — Nut- im „Gymnase" und in dem prächtigen Neubau der Opera

Begabung, und man hat von neuem Gesprächsstoff! Sie ist jetzt Theaterdirek- Comique kann man noch gute Sachen sehen, wenn man nicht gerade wie ich,

torin und hat ihr grosses, schönes Gebäude am Place de Chätelet, von dem des mit dem Repertoir Pech hat.

Abends ihr Name in flammenden Gaslettern verkündet: Hier spiele ich! Ich bin Gute Konzerte hat Paris genug. Die Musiker überschwemmen dort wie hier die

sehenswert genug! Kommt! — Alle Fremden strömen natürlich hin. Und da Musikliebhaber mit ihren Leistungen. Im „Concert du Conservatoire" und im „Cirque

sie besonders auf uns Deutsche raisonniert hat, so rennen wir zu allererst hin, d'Hivet", im Saale „Ercard-Herz" kann man die grössten Meister hören. Die Colonne-

anstatt uns solidarisch von dieser Chauvinistin fernzuhalten. Aber wie in Rom und früher die Lamoureuxkonzerte zogen die Musikfreunde der guten Klassen

den Papst, — muss man in Paris die Sarah gesehen haben! ebenso an, wie die Militärkapellen in den öffentlichen Parkanlagen das untere Volk.

Vor noch nicht allzulanger Zeil eroberte der Dichter Rostand mit seiner Es ist ein besonders liebenswürdiger Gedanke unseres Monarchen, dass er

frisch-reizenden Dichtung Cyrano de Bergerac die Bühnen aller Kulturländer. seinen Berlinern diese Freude jetzt auch verschafft hat. Und wie wächst die Liebe zu

Die Franzosen begrüssten in ihm die Wiedergeburt ihrer-dramatischen Poesie. unserm Militär, wenn wir seine musikalischen Darbietungen erst umsonst geniessen

Desto grösser war aller Enttäuschnng, als sein neustes Werk: „L'Aiglon" (Das werden. Solche Ständchen im Freien erleichtern das Steuerzahlen sicher!

Adlerchen) mit der Bernhardt in der Titelrolle erschien. Trotzdem es allabendlich Das wussten die klugen Franzosen, daher — — — — Spiritus, merkst du was?

die Häuser füllt, sah man doch die grossen Schwächen der neuen Rostandschen Wenig bekannt ist das einfache Cafe Rouge in der Rue de Tournon. Und doch

Schöpfung. — Die Sprache ist in leicht dahingleitenden Versen von grosser haben wir dort ernste, musikalische Genüsse gehabt. Die Künstler sind alle

Schönheit. Einige Scenen sind ungeheuer packend. Aber im allgemeinen ist Musterschüler des Konservatoriums, die- diesen Extraverdienst brauchen. Man

das Stück von einer so starken Effekthascherei, dass der Meister der Knall- kann für 1,25 frs. dort etwas verzehren. Die Herren rauchen. Die Damen sitzen

effekte: Sardou, noch weit übertroffen wird! — Ich konnte das rührselige, vor behaglich da, und ein wunderschönes Programm wird von dem gut geleiteten

Patriotismus triefende Machwerk kaum durch die sechs langen Akte ertragen. Orchester zum Besten gegeben. Was will der Mensch mehr?

Die Verherrlichung Napoleons des Ersten wäre mir nur begreiflich; aber die So, verehrter Freund, nun haben Sie die anständigen Abendvergnügungen

seines unglückliches Sohnes: des schwindsüchtigen Herzogs von Reichstadt, die für die Fremden ungefähr aufgezählt bekommen. Von den Landpartieen in die

Seitenhiebe auf Oesterreich und uns, das ewige Gewimmer und Gezeter da Umgegend, von Seinefahrten im Mondenschein, kann ich hier nicht sprechen,

unten, vor allem der sentimale, unwahre Schluss, die grosse Verlogenheit des das würde zu viel Platz brauchen. Glauben Sie mir das Eine: Wer sich in

Ganzen war mir qualvoll! Paris amüsieren will, hat dazu unglaublich viel Gelegenheit und dito Auswahl!

Nun zu der Bernhardt! Männerrollen von Frauen dargestellt, mag ich an und Nun gar noch die Herrenwelt! —----------■ — ■----

für sich nicht! Eitle Unnatur! — Aber die Bernhardt mit ihren geschmeidigen, Am Freitag und Sonntag haben Herr und Frau Pernotte, unsere liebens-

nicht etwa mageren, jedoch aalglatten Körperformen eignet sich wirklich noch würdigen Pensionseltern, ihre Empfangsabende. In Paris strengt man sich,

am allerersten dafür. Ihre tannenschlanke Erscheinung, ihr längliches Gesicht ausser bei direkten Einladungen zu Diners oder Bällen, mit der Aufwartung nicht

repräsentiert den dekadenten, jungen Fürsten mit dem Tod in der Brust durch- sehr an. Ueberhaupt kennt man hier weder die märchenhafte Gastlichkeit der
 
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