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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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16. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [3]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0409

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250

Wanderndes Wölk.

Roman von Moritz von Reichenbach.

(Valeska Gräfin Bethusy-Huc.)

JV. - [Fortsetzung.] [Nachdruck verboten.]

ie Engländerinnen waren abgereist. „Es ist auch Zeit, dass wir zu Tisch gehen," sagte sie und ging zu ihrem

„Nun, was meinst Du, Lena, räumen wir hier das Feld, wenn die Vater, um an die Heimkehr zu mahnen,

neue Schwägerin einzieht?" fragte Minni Holkwitz ihre Schwester. Herr von Doltau lud Heu auf, dass ihm der Schweiss über die Stirn herab-

Lena zuckte die Achseln. rann, und die Leute standen umher und sahen zu. Zuerst wollte er von Liskas

„Man muss sich nicht übereilen" sagte sie. Aufforderung, nach Hause zu gehen, nichts hören, am Ende gab er aber nach.

Jutta ging gedankenvoll umher, war noch zärtlicher und aufmerksamer „Also Leute, jetzt wisst Ihr, wie es sein muss," sagte er, sich den Schweiss

gegen ihre Mutter als früher und hatte nicht den Mut, zu widersprechen, wenn von der Stirn trocknend, und während er mit Liska weiter schritt: „siehst Du,

die Gräfin in ihrer zuversichtlichen Weise sagte: „es wird sich schon machen wenn man auch nur mit einer Kleinigkeit dazu beiträgt, eine richtige Erkenntnis

mit der Ellinor". Hardy, der eine besondere Vorliebe für die französische zu fördern, so soll man sich die Mühe nicht verdriessen lassen. Auf die

Sprache und Litteratur hatte, und sich bisher mehr damit, als mit seinen Studien richtige Erkenntnis der Sachen kommt es an, in kleinen, wie in grossen Dingen,

beschäftigte, war nach dem Verlobungsball doch noch nach Paris gereist und und wir Gebildeten, die wir die richtigere Erkenntnis haben, haben auch die

zwar so eilig, dass er nicht mehr nach Rochtitz hinübergekommen war, wohin Pflicht, die Ungebildeteren zu unterrichten."

Herr von Doltau, der ihn von Kindheit an gern gehabt, ihn eingeladen hatte. „Ja, Papa," sagte Liska, aber es war ihr sonderbar weh dabei um's Herz,

Liska war seitdem noch ein wenig ernster als gewöhnlich. Sie fragte sich, ob denn in Gedanken sah sie, wie die Leute lachten und das Heuaufladen in der

sie irgend etwas gesagt oder gethan habe, was Hardy verletzen konnte. Seit gewohnten Weise fortsetzten. Und ihr Vater meinte es doch so gut und wollte

er ihr zugeflüstert, dass sie ihrer Schwester gliche, hatte er kaum noch mit ihr nur immer das Beste; aber, dass sich, wie Plerr Arnt sagte, die „Praxis manchmal

gesprochen. Sie konnte nichts ausfindig machen und nun begann ihr Stolz sich anders gestaltete", das sah er nicht ein, und er war zu alt, um sich zu ändern,

dagegen zu sträuben, dass ihr Herz ihr Hardys Bild immer wieder vorspiegelte. „Man muss ihn lieb haben, wie er ist, auch wenn er mal Unrecht hat,"

Sie empfand eine Leere und Vereinsamung, wenn sie diesen stillen Träumereien sagte sich Liska, und sie hatte ihn lieb, von ganzem Herzen,
entsagen wollte, aber sie versuchte es dennoch und sie klammerte sich nun mit

doppelter Zärtlichkeit an ihren Vater. V.

Eines Tages stand sie mit ihm neben den Fohlenkoppeln. Die Flambertons hatten ihre Mündel nach Berlin gebracht, wohin Hugo

„Sieh mal," sagte er, „der Braune da, das wird ein kapitales Pferd, und Holkwitz und die Seinen sich ebenfalls begeben hatten und wo die Hochzeit

der Schwarze ist auch nicht übel!" gefeiert worden war.

Liska sah bedenklich darein, dann sagte sie: Ein Trauerfall in der Familie von Minnis Bräutigam hatte veranlasst, dass

„Hasso meinte aber neulich, der Schwarze wäre mit den Beinen nicht recht ihre Hochzeit verschoben werden musste, und so kam es, dass das erste Fest,

in Ordnung und der Braune--" das die Gräfin Ellinor Holkwitz in ihrer neuen Heimat auszurichten hatte, die

„Ach, Hasso hat immer etwas auszusetzen," unterbrach er sie, „die Fohlen Hochzeit ihrer Schwägerin war.

sind selten schöne Tiere!" Die alte Gräfin hatte das Witwenhaus bezogen, im Schloss waren allerlei

Liska schwieg. Sie kannte ihres Vaters Steckenpferd und wusste, dass es Neuerungen vorgenommen worden und nun legten die alten Mauern wieder Fest-
nutzlos war, ihn auf die Fehler der Tiere aufmerksam zu machen. Er erwartete schmuck an für die Flochzeit, da das Witwenhaus keine grösseren Ciesellschafts-
stets, dass er sie als teuere Luxuspferde verkaufen würde, Hess es sich dann räume aufzuweisen hatte. Bei den kleineren Familienzusammenkünften, die seit
seufzend gefallen, wenn sie nur zur Remonte genommen wurden und sagte: Rückkehr des jungen Paares von der Hochzeitsreise in Schloss Tannwald statt-
„na, aber die nächsten!" — um dann einer neuen Täuschung entgegenzugehen. gefunden hatten, hatte Ellinor den Platz am oberen Ende der Tafel eingenommen.

Von den Fohlenkoppeln ging er mit Liska zum Bau eines neuen Stalles und sie hatte es verstanden, ihrer Schwiegermutter und ihren Schwägerinnen,

für die Ackerpferde. vom ersten Tage ab das Gefühl zu geben, dass sie nur noch Gäste in Tannwald

„Siehst Du, da sagt der Hasso auch, ich hätte den Stall viel billiger bauen seien, und dass sie selbst sich ihre Hausfrauenwürde in nichts durch die frühere

können," sagte er zu Liska, „und er hat ja Recht, natürlich! Aber wenn ich Schlossherrin würde beeinträchtigen lassen.

einmal etwas baue, da soll es auch erster Klasse sein, dass Menschen und Vieh Auch bei den Vorbereitungen zur Hochzeit hatte sie allen Wünschen gegen-

sich wohl darin fühlen. Hasso sagt, es kommt nur darauf an, dass das Gebäude über, die ihr von den Insassen des Witwenhauses vorgetragen wurden, nur stets

den praktischen Zweck erfüllt und dazu gerade ausreicht. Ich bin aber der die eine Antwort: „Ohhh, ich denke, dass ich kann machen in meinem Hause

Ansicht, dass man die Dinge nicht bloss auf einen bestimmten Zweck hin machen alles so, wie es ist üblich bei uns in Englano!"

soll, sondern dass alles, was man macht, so gut und vollkommen als möglich „Lassen wir sie gewähren," entschied die Gräfin, „es wird auch so hübsch

gemacht werden soll, aus Liebe zur Sache selbst — nicht bloss mit dem Hinweis sein." Mit der liebenswürdigen Leichtlebigkeit, die in ihrer Natur lag, fand sie

auf einen Zweck. Nur so hat man Freude an dem, was man macht." sich in die zweite Rolle, die ihr von ihrer Schwiegertochter zuerteilt wurde.

Hinter dem Neubau fuhren vollgeladene Heuwagen vorüber. während Jutta sich bei jeder Gelegenheit dagegen empörte und die beiden älteren

„Da wollen wir doch mal sehen, wie weit die Leute mit dem Abräumen Schwestern mit einer gewissen Apathie zusahen, in dem Gefühl: wir machen es

der Wiesen gekommen sind," sagte Herr von Doltau und wanderte mit seiner nicht mehr lange mit.

Tochter dorthin. Lena hatte dem Obersten ihr Jawort gegeben, an der Hochzeit sollte die

An Ort und Stelle angelangt, fand er, dass die Leute die Heugabeln, mit Verlobung veröffentlicht werden,

denen sie das Heu auf die Wagen luden, in einer Weise handhabten, die er Zwei Tage vor der Hochzeit sagte Hugo zu seiner Frau: „Darling, ich habe-

nicht für ganz zweckentsprechend hielt. Er zeigte einer der Aufladerinnen, wie eine Bitte, eigentlich versteht es sich zwar von selbst, aber ich will es doch

sie es machen müsste, um Zeit und Kräfte zu sparen. Da sie ihn nicht gleich lieber mit Dir besprechen: an der Hochzeit musst Du meiner Mutter noch einmal

verstand, rief er eine andere dazu — am Ende standen fünf oder sechs Weiber den Platz der Hausfrau hier einräumen." —

um ihn her und er suchte ihnen auseinander zu setzen, warum seine Methode „Ohhh — bei uns in England" — —

besser sei, als die ihre. „Aber Darling, auch bei Euch wird doch bei einer Hochzeit nächst der Braut

Liska hatte sich am Rande der Wiese ins Heu gesetzt und wartete. stets die Mutter der Braut als erste Dame gelten! Alle unsere Verwandten und

Der Inspektor kam mit missvergnügtem Gesicht vorüber. Freunde, die herkommen, würden es sehr unpassend finden, wenn es anders-

„Wollen Sie nach Hause gehen, Herr Arnt?" fragte Liska. Er grüsste und wäre — ich bin das wirklich meiner Mutter und der Stellung, die sie solange

blieb stehen. hier eingenommen hat, schuldig."

„Was soll ich machen, gnädiges Fräulein? Die Arbeit drängt und da Ellinor sah ihren Mann erstaunt an. Es war das erste Mal, dass er bestimmt

kommt der Herr und hält mir die Leute auf, dass sie herumstehen und nichts einen Willen aussprach, und es schien ihr klüger, ihn nicht unnötig zu reizen,.

thun, das kann ich nicht mit ansehen?" indem sie ihm widersprach; aber sie beschloss, dass dies das letzte Mal sein

„Aber meinen Sie nicht, dass Papa eigentlich Recht hat, Herr Arnt?" sollte, dass in ,ihrem' Hause etwas gegen ihren Willen ging.

„Ach, gnädiges Fräulein, die Flauptsache ist, dass die Leute mit dem Auf- Als Hugo am Polterabend in ihr Toilettenzimmer trat, um sie zu mahnen,.

laden fertig werden. In der Theorie mag's ja richtig sein, wie es der Plerr dass es Zeit sei zum Empfang der Gäste, fand er sie in einem Negligee, das

meint, aber die Praxis hat sich halt anders herausgebildet, und wie's die Leute ihr entzückend stand, das aber gar nicht salonfähig war, auf der Chaiselongue

gewöhnt sind, muss man sie's machen lassen, das geht am schnellsten. Dreht liegen.

der gnädige Herr der Rücken, machen sie es alle auf die alte Art und lachen „Was ist das, Du bist nicht angezogen?"

über die Freistunde, die sie gehabt haben!" „Ohh no — ich haben Kopfschmerzen!"

Liska sah nach der Uhr. „Aber seit wann, Du warst ia zu Tisch ganz wohl?"
 
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