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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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24. Heft
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Jacobowski, Ludwig: Der Traum der Künstlerin: Skizze
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Unsere Bilder, [18]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0579

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er ^raum der Q^iünsflerin.

Skizze von Ludwig Jacobowski.

-•*• -- [Nachdruck verboten.]

och einmal, Fräulein Lucie, lehnen Sie den Kontrakt ja ab. 800 Mark Brot hinein ins Bett, hungrig und doch glücklich im Bewusstsein, in den Offen-
sind viel Geld. Und für 'ne Anfängerin! Aber der Funken . . . barungen tiefster, seligster Kunst eingeweiht zu werden.
Kleine, Sie haben den jöttlichen Funken . . . Der geht kaput bei Ja und jetzt . . .
diesem Direktor. Der pumpt die letzte Kraft aus! Erst am kleinsten Theater War der Direktor nicht hingerissen gewesen? hatte er ihr nicht eine glän-
was ordentliches lernen!" zende Zukunft prophezeiht! . . . 800 Mark monatlich . . .

Sie hörte die gütige Stimme des alten Gesangsprofessors noch immer, Ah . . . wie sie sich streckte . . .
während sie die lange Kurfürstenstrasse hinabschritt, über deren "Vorgärten die „. . . Wieviel Kränze?" „37" antwortete die lachende Stimme der Kammer-
Dämmerung die ersten grauen Spinnweben gleiten liess. Die Junisonne barg jungfer . . . „Gnädiges Fräulein haben heute wunderschön gesungen! Und aus-
sich hinter Wolken, dennoch zitterte die Luft förmlich vor Glut und Dampf und gesehen!" Und ermüdet und beglückt zugleich lässt sie sich den Prachtmantel
erhitzte die Häuser bis in das kleinste hinterste Zimmer des Mietshauses, in von der Schulter nehmen. Faul und lässig folgt ihr Körper den Bewegungen
dessen Wänden die junge Sängerin eben ermattet niedersank. der Zofe, die sie entkleidet, und träge und wohlig dehnt sie sich im weichen,
Mechanisch glitt der Hut aus der Hand auf den Tisch, die Handschuhe fielen warmen Seidenbett. Und ihr Kopf fällt zurück und die Augen schliessen sich,
zur Erde und mit einem tiefen Aufatmen dehnte sich der schlanke Körper auf Sie lächelt. Sie sieht in dem verdunkelten Theatersaal eine finstere Masse, in
dem schmalen Bett aus. Wie fern der Lärm der Strasse! Kaum, dass das der sie kaum die weissen Gesichter der Beifallsfreudigen erkennt — ein Jubel tönt
Fenster ein wenig klirrte, wenn die Hausthür unten zufiel. Auch auf dem Hofe ihr entgegen, der sich schwer und voll an jedes Lied hängt, das sie leicht und hell
schrie kein Kinderstimmchen und selbst der Hofhund vom Schlächter des hinausschmettert. Oh . . . das Glück, das tiefe Glück, das sie ersehnt, erfleht^
Nebenhauses schien eingeschlafen zu sein. erbettelt — erarbeitet hat! Und da fällt ihr ein, indes das weiche, lüsterne
Und mit wohligem Glücksgefühl streckte sie sich aus und dehnte sich. „Der Licht durch den Seidenschirm über ihre Hände leuchtet . . . hochoben, wo sich die
jöttliche Funken" . . . Ihr fiel das Wort des Professors ein und sie meinte, den jungen Mädchen Kopf an Kopf drängen, dort hat sie früher gesessen . . . ängstlich
drolligen Laut seines Berliner Dialekts zu hören. Und plötzlich dachte sie daran, und selig bewegt . . . mit hungrigem Magen . . . und leuchtenden Blicken . . .
dass drüben auf dem Tisch der Kontrakt des Direktors der Grossen Oper zu X. aber das Herz voll echtesten Kunstsehnens.

lag, und dass sie sich bis abends zu entscheiden hatte ... ... Ein Hund schlug im Nebenhof an. Die junge Sängerin riss die Augen

Und sie schloss die Augen und sann. auf. Sie besann sich mühsam. Und sah sich um. Und lächelte. Ach nein . . .

Die rechte Hand glitt an ihrem Kleid herunter und hinab bis auf den Fuss- das war ihr altes, kleines Zimmerchen, das soviel Dunkelheit hereingelassen

boden. Der oberste Knopf der Bluse sprang auf, gedankenlos knöpfte sie hatte, dass sich nur noch die Linien der Wandbilder notdürftig hindurchschoben,

weiter, dass sie wohlig aufatmen konnte und sank immer mehr in Träumereien. Sie stand auf und ging ans Fenster. Hatte der alte Mann nicht Recht, der da

Die halb geöffneten Augen fielen jetzt auf zwei Photographien in schwarzlackierten sprach: „Wenn Sie der Kunst ehrlich dienen wollen, gehen Sie dorthin, wo Sie

Papprahmen . . . Ihre Eltern. erst was lernen. 800 Mark sind viel. Aber singen, bis Sie umfallen und in drei

Vier Jahre schon tot . . . Die lange Zeit . . . Und schmerzlich verzog sich Jahren keinen Ton haben . . . und der schlimme Ruf dieser Bühne! . . ."

das schmale Gesicht. O diese Zeit der Uebungen, der Entbehrungen, der arm- Ihre Gedanken brachen ab. Sie holte sich die Bilder der alten Eltern ans

seligen Kleidchen, der baumwollenen Handschuhe! Diese Bettelei bei ihren Ver- Fenster und sah sie lange und nachdenklich an. Das mussten treue Gesichter

wandten an jedem Ersten des Monats, wenn sie die Miete bezahlen musste, die mit gütigen ehrlichen Augen gewesen sein, denn sie lächelte jetzt ganz still.

Noten, den Professor, die italienische Stunde! Und wenn eine Mark übrig blieb, Ihr Entschluss war gefasst. Besser in Sorgen der Kunst dienen, als in

welches Glück, wenn sie im höchsten Rang des Opernhauses eine Rolle singen Prunk und Pracht die Kunst verkümmern lassen!

hören konnte, die sie eben studierte . . . Und dann, wie oft ohne einen Bissen Und am nächsten Morgen lachte der alte Professor sie dankbar an.

ans Bartels „Mädchen aus Haarlem". Kaum kann man sich ein „Am Strande" vereinigt hat, gemessen in stiller Heiterkeit den schönen
Mädchen aus der blumenumsäumten Hauptstadt Nordhollands anders vor- Tag, den der Herrgott ihnen beschert hat und keine Sorge trübt die harm-
stellen als mit Tulpen und Hyazinthen in der Hand, denn gerade für die Treiberei losen, friedestillen Gemüter. — G. Bleibtreus Bild: „Die Siegesnacht bei
dieser beiden farbenprächtigen Schmuckpflanzen ist Nordholland und speziell Belle-Alliance" giebt eine Episode aus dem gewaltigen Kampf wieder, der
Haarlem der Centraipunkt. Die Holländer waren von jeher die grössten Blumen- am 18. Juni 1815 bei Waterloo tobte und bekanntlich die Macht Napoleons I.
Züchter und Tulpenliebhaber, die diesen Sport sogar bis zum gefährlichen brach. Es stellt den Augenblick dar, als abends 9 Uhr der preussische Heer-
Spekulationsspiel trieben. Im 17. Jahrhundert spekulierte man in Holland in führet- Gneisenau auf der Höhe von Belle-Alliance eintraf, sich sofort an
Tulpen, wie heute an unseren Börsen in Wertpapieren und dieses Spiel hat die Spitze der Verfolgung des Napoleonischen Heere setzte, das durch die
manche Familie reich gemacht, viele aber ruiniert. heldenmütige Tapferkeit Wellingtons und Blüchers und ihrer Truppen bereits

* :i: * zum Rückzüge gezwungen war. Gneisenau ritt selbst voran mit einem kleinen
Jäjjier Neapel gesehen hat, spricht wohl gern das weltbekannte Wort nach: Trommler, den man auf ein Pferd gesetzt hatte.

„Vedi Napoli e poi mori", aber — er stirbt nicht, sondern fährt hinüber nach :i; ... *

der schönen Insel Capri, um auch sie noch mit entzückenden Augen sehen zu <5s giebt Augenblicke im Leben, deren erschütternde Tragik das Bewusst-
können, ohne gerade sterben zu müssen. Eine sanfte Einsenkung teilt die Insel sein eines Menschen umkehren, seine Seele zerwühlen, seinen Geist vielleicht
in eine Ost- und Westhälfte. Dort wo die Senkung im Nord und Süd ins Meer umnachten können. Einen solchen Moment hat W. Zirges in seinem Bilde
verläuft, befindet sich je eine kleine Marine; es sind die einzigen Stellen, wo „Ein Wiedersehen" festgehalten. Der junge Mediziner will seine Staats-
Barken an das Land gezogen werden können. Auf der Südseite liegt die prüfung ablegen, er soll bei der Sektion einer weiblichen Leiche seine anatomischen
„Marina piecola", deren brillanten Farbenreiz A. Grosskopf auf unserem Kenntnisse darlegen, seine sichere Hand beweisen. Die Examinatoren sind er-
Bilde veranschaulicht hat. Wer auf der Terrasse der kleinen Fischerkneipe schienen; der junge Arzt ergreift das Messer; der Diener zieht die Hülle von
gesessen, wer hier den vortrefflichen weissen Wein getrunken hat, der im nahen dem auf dem Tische liegenden leblosen Körper — da: ein schaudervolles Wieder-
Anacapri wächst, wer sinnend hinausgeblickt hat, über das im blauen Dunste sehen! Da liegt sie vor ihm kalt und leblos die Geliebte, die seine eigene Untreue
liegende Meer und seine Augen hinauf schweifen liess zu dem auf felsiger Höhe in den Tod getrieben hat; der Mund, den er so oft geküsst, ist fest geschlossen im
thronenden castello diruto, der nimmt ein Stück zauberischer Schönheit in seine Todesschweigen; das Haar, dessen Schönheit ihn einst entzückte, flutet über den
Erinnerung auf, das in seinem Bewusstsein unsterblich weiterlebt, süss und Rand des Tisches hinab; auf den starren Zügen, auf dem bleichen Mädchenleib
farbenprächtig, sehnsuchterweckend und schmerzmildernd wie das Andenken spielt in feinen Lichtern, wie eine grause Ironie der zarte Schein des Sonnen-
an die poesieverklärte Geliebte der seligen Jünglingsjahre. lichts. Da fasst ein Schauer die Seele des jungen Mediziners; das Messer entsinkt

* * * seiner Hand; sein Haar sträubt sich; seine Augen blicken starr; sein Fuss steht
jf) ranz von Lenbachs Gemälde des „Frl. v. G." zeigt alle die grandiosen, wie festgebannt. Wie hatte er sie geliebt; wie schwer war es ihm geworden,

schon so oft hervorgehobenen Vorzüge der weitberühmten Porträtkunst des die Geliebte zu verlassen! Aber es musste sein, so meinte er, denn sie

deutschen Meisters; die Reproduktion, welche das vorliegende Heft schmückt, war ja so arm, sie besass keinen Pfennig; und nun, da er sie so wieder-

giebt dieselben so sicher wieder, dass sie dem Beschauer sofort in die Augen finden muss, packt die Reue, die quälende, lebenzerstörende, sein ^erz, um

springen. — Die drei Mädchen, welche Bennewitz von Loefen so friedlich ihn nie wieder aus ihrem Banne zu entlassen. Arth. Stiehler.
 
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