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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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10. Heft
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Römer, Alwin: Hildegards Krankheit: eine heitere Sylvestergeschichte
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Unsere Bilder, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0252

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iöo MODERNE KUNST,

Wie schnell jagten die Minuten dahin. War das wirklich schon elf Uhr, viertel geschlagen hatte . . . Papa Lohberg wunderte sich über die auffallende

was in lang hallenden Schlägen die Turmuhr verkündete? Stille in der Stadt, schöpfte aber keinen Argwohn. Der jüngste Polizei-Erlass

„Die letzte Stunde des alten Jahres! . . . Wer hätte gedacht, dass sie so hatte entschieden seine Wirkung gethan.

köstlich werden würde!" sagte der Doktor und hob sein Glas. Leise stieg er mit der Gattin die Treppe hinauf, um Hildegard nicht etwa

„Das habt Ihr mir zu verdanken!" erklärte Gusti, die einen kleinen Spitz hatte. im Schlummer zu stören; leise drehte er den Schlüssel im Korridorschloss. Von

„Ihr? Gusti?" fragte nachdrücklich Hildegard. drinnen her klang Gelächter. Eine männliche Stimme schallte zwischen Gustis

„Ach, sei doch gut mit der Gusti!" bat der Doktor. „Sie ist wirklich ein Geschwätz. Mit einem Satz war Lohberg an der Thür.

Prachtkerl! Wenn Du willst, trinken wir ernstlich Brüderschaft, Mädel. Du bist „Was geht hier vor?" fragte er, plötzlich auf der Schwelle erscheinend,

ganz mein Gusto, Gusti!" Da gab Hildegard einen Laut von sich, als ob sie in eine wohlthätige Ohn-

„Hurrah!" schrie der Backfisch und henkelte gewissenhaft ihren Arm durch macht sänke; Gusti aber, pustete kurz entschlossen die Lampe'aus.

den ihres ihr nun einmal bestimmten Schwagers. Doch da weckte plötzlich die „Zum Donnerwetter!" schrie Lohberg. „Was soll das bedeuten?"

Telephonklingel und erschrocken setzte sie ihr Glas wieder hin. «Ich . . Herr Lohberg . . verzeihen Sie . . . ich, Doktor Volkmann . . .

„Pst . . .!" kicherte sie. „Das ist Papa! . . . Als wenn er uns durch den und Hildegard ..." — „Wir haben uns ja so lieb, Papa!" flüsterte Hildegard,

dummen Draht gesehen hätte!" — „War der Doktor da?" fragte Papa Lohberg. die sich zu ihrem Vater getastet hatte. „Und den Pastor Tegtmeyer kann ich

„Das weisst Du doch! Vorhin, wie ich anfragte!" antwortete Gusti. wirklich nicht heiraten!" Worauf sie heftig zu schluchzen begann.

„Hat er was verschrieben?" — „Hm . . . ja!" — „Pulver?" „So plötzlich?" fragte erstaunt der Alte. — „Schon lange!"

„Nein, Tropfen! Schmecken sehr gut, sagt sie!" „Prost Neujahr!" platzte in dem Augenblick Gusti los. „Eben fängt es an

„Das ist Nebensache! Wenn sie nur helfen!" zu schlagen!"

„Brillant! Hildegard fühlt sich viel besser! Aber kommen könnte sie nicht'." „Halb eins!" meinte die Hausfrau, die mit einer anderen Lampe erschien.

„Na, 's is gut! Hast Du denn noch Punsch?" — „Ein bischen, Papa!" „O nein. Jetzt ist es Zwölf! Prost Neujahr, Väterchen und Muttchen!"

„Dann Prost, Mädel!" — „Prost, Papa!" schmeichelte Gusti. „Gott schenke Euch Gesundheit und langes Leben! Und

„Aber Gusti, trink nicht mehr!" warnte Hildegard. — Doch das half nichts. wenn ich Euch im alten Jahre gekränkt habe, so wollt es mir vergeben!"

„Mit meinem eigenen Papa nicht einmal?" lachte sie. „Das war' schön!" „Wahrhaftig, es ist erst Zwölf! Aber das ist doch merkwürdig!" sagte

„Du lügst aber wie ein Oberjägermeister, Gusti!" sagte der Doktor. Papa Lohberg und lauschte auf das Geläut der Glocken und den Strassenjubel,

„Oho! Das war die vollste Wahrheit! Höchstens das ich die Tropfen der sich plötzlich erhoben hatte,

verschrieben habe! Aber sonst stimmt alles!" „Nehmen Sie auch meine herzlichsten Glückwünsche an und . . verzeihen

Bei Schramms war's indessen herzlich langweilig. Ab und zu hatte schon Sie mir, wenn Sie können!" sagte Doktor Volkmann,

dieser und jener verstohlen gegähnt. Gott sei Dank konnte Schramm junior Hildegard hing jetzt an der Mutter Halse und sandte einen hetssflehenden

ein paar Taschenspielerstückchen, mit denen er die Gesellschaft aufheiterte; bald Blick zum Vater hinüber.

zerschnitt er Taschentücher, bald zerstampfte er Uhren, die dann immer wieder „Hm . . . Das also war Deine Krankheit!" sagte er kopfnickend. „Und Ihr

unversehrt zum Vorschein kamen. Dass er bei dem Uhrenkunststück draussen schwerkranker Patient in der Riesenstrasse? Lebt er noch, Herr Doktor?"

sämtliche „Bollen" eine halbe Stunde vorstellte, während sein Freund Rebenhold „Er hat nie gelebt!" beichtete er beschämt. „Ich wollte nur fort vorhin,

das laut Verabredung auch mit der Pendüle auf dem Kamin machte, merkte weil Hildegard nicht mitgekommen war!"

kein Menseh. Auf diese schnöde Weise hofften sie Neujahr schon eine halbe „Und da hast Du ihn ja denn vor die richtige Thüre geschickt, Pauline!"

Stunde früher im Familienkreise feiern zu können, um dann schnell noch in die „Wer konnte das ahnen! Der arme Herr Pastor!" meinte Mama Lohberg.

„Wolfsschlucht" zu eilen, wo lustige Brüder ihrer warteten und den famosen „Mutter!" bat Hildegard innig. Da nickte sie ihrem Alten leise zu.

Streich riesig bejubeln würden. Und es gelang. Punkt halb zwölf meldete die „Wir wollen das neue Jahr nicht mit einem Jammer anfangen," erklärte

Pendüle mit feinen Silbertönen den Ablauf des alten Jahres. Papa Schramm darauf der Vater; „wenn Mutter nichts dagegen hat, an mir soll's nicht liegen!"

hielt eine Rede, Papa Lohberg auch, dann wurde angestossen und ein wenig „Hurrah!" jauchzte Gusti, während das Brautpaar einander stürmisch in die

gejubelt; dann aber sagte Pastor Tegtmeyer, dass er morgen zweimal Gottes- Arme flog. „Und jetzt trinken wir eine neue Bowle! Wir waren gerade fertig!"

dienst habe und sich empfehlen müsse; und Mama Lohberg wünschte sich ihm „Selbstverständlich!" bestimmte der Alte.

anzuschliessen. Obwohl ihr Gatte noch heftigen Durst verspürte, ging es zur „Aber ich werde sie selber brauen!" erklärte die Mutter, die von Gustis

Freude der beiden Taugenichtse auf die Heimreise, eben als es draussen drei- Glas genippt hatte. „Für Dich ist sie entschieden zu stark gewesen!" . . .

,M"on grösster Lebhaftigkeit in den Bewegungen und markiger Kraft erfüllt, auserwählt! Und von den Zugelassenen erringen immer nur zwei oder drei

ist J. Repin's Bild „Freie Kosaken verhöhnen ein Ultimatum des einen „Grand Prix", und damit eine Aussicht auf Anstellung am Theätre francais

Sultans". Im 16. und 17. Jahrhundert bewohnten die Saporoger Kosaken die oder Odeon! Wie ausserordentlich empfindlich sind die Franzosen bei ihrer
Inseln an den Stromschnellen des Dnjepr. Sie lebten in einer seltsamen Art ' strengen Ueberlieferung in Bezug auf Deklamation und auf Schönheit der

von Männerrepublik und bildeten eine Vorhut des ganzen Kosakentums in Bewegungen! Den meisten der mit tausend Hoffnungen Eintretenden blüht

seinem Kampfe gegen die Türken und Tartaren, mit welchen sie in ewiger Fehde zuletzt ein Engagement in der unerträglichen Einöde der Provinz: in Lille oder

lagen. Eine Scene aus diesen Kämpfen stellt das Repinsche Bild dar; man kann Toulon, das an Enttäuschungen nicht ärmer ist als unsere deutschen „Schmieren",

an den Geberden der Kosaken deutlich sehen, wie wenig Achtung man einem Woher rekrutiert sich namentlich die endlose Schaar der Kunstjüngerinnen in

Ultimatum des Sultans zollte. der Seinestadt? Man sagt, dass die Portierlogen in Paris für die Entwicklung

„ * ... * junger Theatertalente eine ganz besonders vorteilhafte Luft haben und dass der

<^>in echtes Winterbild hat Ad. Schweitzer mit seinem „Januar" zum Weg von ihnen zum Conservatoire und später zu den richtigen Bühnen an der

Schmucke unserer Nummer beigesteuert. Klare Winterluft liegt über dem Walde, Hand eines „Protecteur" nicht allzu schwierig sei. ca.
der, mit frischem Schnee bedeckt, jenen zauberhaft schönen Anblick gewährt, * *

der das Gemüt des Naturfreundes immer aufs Neue mit heller Freude erfüllt. „ ä|or dem letzten Klingelzeichen." In duftige Gaze gehüllt, umschwebt

« * s. * von Schminkeduft und bedeckt von Puder, halten sich die schmucken Balletteusen

„ejjirjohn Falstaff", der Heros aller Taugenichtse, der Meisterprahler, der zum Tanze bereit; der Schnellwalzer prickelt ihnen schon in den Beinen, und

alte lüsterne Schlemmer, der doch wegen seiner schalkhaften Dreistigkeit, seines ge- ihr Blut fiebert dreivierteltaktig. Aber es bleibt noch Zeit, einander ein neues

wandten Witzes, seiner ergötzlichen Zungenfertigkeit als der Urtypus des echten Geheimnis, irgend eine pikante Verhältnisgeschichte zu erzählen oder die

Humoristen gefeiert wird, der nun schon über zwei Jahrhunderte den obersten Thron „Kollegin" zu bekriteln, zu verklatschen oder zu schmähen, v. Wodzinski

der lustigen Galgenvögel unbestritten inne hat — Sir John Falstaff, der Mann mit hat das mit Meisterschaft in seinem Bilde darzustellen gewusst.
dem kugelechten Bacchusbauch und den verschmitzten Schlemmeraugen, wird von * .i: *

allen immer wieder gern betrachtet, zumal wenn ein Meister wie Ed. Grützner f$)er „ Valentinstag" gilt in vielen Gegenden Deutschlands als Unglücks-

sich seiner angenommen und ihn in einem wohlgelungenen Bilde dargestellt hat. tag, während er in England und Schottland durch einen alten Brauch fröhlicher

* ... * Natur gefeiert wird. An diesem Tage verlosten früher die jungen Männer die

M ean Beraud: „Unterricht im Pariser Konservatorium der Schau- ihnen bekannten jungen Mädchen. Jeder Valentin bekam so seine Valentine, zu

spielkunst." Das „Conservatoire" ist eigentlich der Traum jedes Pariser Jüng- der er während des ganzen Jahres in ein ähnliches Verhältnis trat, in dem der

lings und jeder jungen sich für hübsch haltenden Pariserin. Denn im Grunde ge- Ritter im mittelalterlichen Romane zu seiner Herzensdame stand. Heute noch

nommen ist jeder Franzose und zumal jeder Pariser der geborene Schauspieler, in treibt man am Valentinstage allerhand Scherze, man sendet einander anonyme

der Uebertreibung seiner Empfindungen, im Pathos seiner Redeweise, in den aus- Liebeserklärungen, kleine Geschenke und Gedichte, die Valentines genannt werden,

drucksvollen Bewegungen seiner Hände. Unzählige Kunstbegeisterte drängen L. Suthors hat auf seinem Bilde sehr geschickt dargestellt, wie der harmlose

sich daher zu den jährlichen Aufnahmeprüfungen — aber wie wenige werden Gebrauch Anlass zu einer teils ernsten, teils humoristischen Scene geben kann.
 
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