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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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1. Heft
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Stimmungen
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Duncker, Dora: Josef Kainz
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i4 MODERNE KUNST.

Hmmungcn.

schaft sah ich ihn
die Fassung ver-
lieren, das war,
als sich das
Grab über dem

scher Ehe ange-
hört hatte.

Wieder, wie
so oft schon,
sagte ich's mir
in diesen letzten
Abschiedstagen:

~>™ Joseß Kains.

aus dem Gleich-
gewicht ge-
bracht. Wann

[Nachdruck verboten.] Wäre er das je?

Stimmungen! Das ist ein Hauptleitmotiv, das unsere moderne Litteratur Nureinmal,wäh-
und Kunst durchzieht. Wer Stimmungen zu empfinden und zu renc' emer lan~
schildern versteht, der führt uns ein in das innere Wesen der ^en reunc'
Menschen und Vorgänge, der verfeinert und vcrinnerlicht das Aeusserliche
des Stoffes, der giebt uns den Schlüssel zu Charakteren und Handlungen.
Jeder gewöhnliche Sterbliche wird durch ein Vorkommnis, das in seiner
Existenz eine einschneidende Rolle spielen soll, in seiner Stimmung beein-
flusst, er wird, auch wenn er durch seinen Beruf zur Nüchternheit gezwungen schönen leiden-
ist, vor einem für ihn bedeutsamen beruflichen Ereignisse, dessen Aus- schaftlichen
gang noch nicht entschieden ist, einer gewissen Erregtheit nicht entgehen Weibe schloss,
können. Der Mann des künstlerischen, litterarischen und wissenschaftlichen das ihm in

Schaffens, dessen Erzeugnisse in gewissem Sinne der Oeffentlichkeit ge- kurzer stürmi-
hören und an deren Urteil appellieren müssen, wird, so unabhängig und
frei er sich auch fühlen mag, vor der Entscheidung eines Ereignisses,
welches mit der Ausübung seines Berufes in Verbindung steht, nicht in
stolzer Gleichgiltigkeit und unantastbarem Selbstbewusstsein empfindungslos
dastehen. Auch er wird den Stimmungen nicht entgehen können und wie
verschiedenartig interessante Persönlichkeiten vor interessanten Ereignissen
ihres Berufes gestimmt sind, wie bei diesen Anlässen ihre kleinen und grossen dieser Mann der
individuellen Eigenheiten zum Ausdruck kommen, das soll in einer Reihe aussieht, als sei
knapp gehaltener Abhandlungen geschildert werden. A. H. er nur aus Tem-

* * perament und

Nerven zusam-
mengesetzt,
scheint gegen

/=*Tn den, mit etwas schwerflüssigem künstlerischen Ernst ausgestatteten Wohn- jede künstle-
\y und Arbeitsräumen des Künstlers, war, als ich ihn kurz vor seiner Ueber- rischc Aufre-
siedelung von Berlin nach Wien aufsuchte, noch nichts von jenem Wirrsal, jenem gung gefeit, wie
Chaos zu verspüren, das einem Ortswechsel voran zu gehen pflegt. In dem grossen der hörnerne
dreifenstrigen Arbeitsraum nach der vornehmen Alsenstrasse zu gelegen, war die Siegfried gegen
reiche prächtige Bibliothek mit ihren wertvollen alten Schätzen, war der aus dunkel- den Lanzenstich
gebeiztem Eichenholz geschnitzte Tejathron — ein Geschenk Hermann Suderm.anns Oder sollte auch ihm
— waren die Portratbilder der schönen rotblonden Frau, Kainz' erster Gattin, der bei dem Bade in irgend
warmblütigen Sarah Hutzlcr, waren Erinnerungsgeschenke — unter anderen die einem geheimnisvollen
letzte Skizze des unglücklichen Herrmann Müller, ein Früchte-Stillleben — waren Drachenblut ein Lin-
die reichen, schweren Dekorationsstoffe noch nicht von der Stelle gerückt. Noch denblatt auf die Schul-
herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Auch der Hausherr, nicht bleicher, nicht ter gefallen sein? Wenige werden sich rühmen dürfen, diese verwundbare Stelle

schmäch- bei Kainz entdeckt zu haben. Je unentdeckter sie bleibt, um so eifriger fragt

„ , tiger, nicht man, wie kommt dieser Künstler, ganz Nerv, ganz Temperament, ganz Stimmung,

| t. grossäugiger ja unter Umständen ganz willkürliche Laune, zu dieser olympischen Ruhe bei der

S | K? ■ ; alssonst,war Ausübung seines Berufs? — Wir sprachen wieder, wie öfter schon, hin und her
! / ji|I '; trotz des über diese Frage. Kainz selbst vermag sich keine Rechenschaft darüber zu geben;

ermüdend es ist eben, wie es ist. Nichts Geklügeltes, nichts Bewusstes, nichts Zurecht-
langen gemachtes, nichts mühsam Abgerungenes und Erworbenes; von jeher hat er
Abschied- über der Sache gestanden, und mehr und mehr ist diese Ruhe jeder künst-
nehmens auf lerischen Situation gegenüber mit ihm verwachsen, eins mit ihm geworden. Er
der Bühne, ist gar nicht ohne sie zu denken, er würde ohne sie nicht mehr Josef Kainz sein,
noch nicht Kainz lebt an den Tagen des Spiels wie er alle Tage lebt. Rücksichten
auf sich kennt er nicht; Rücksicht von andern verlangt er nicht. So wenig ist
er davon berührt, ob er abends beschäftigt ist oder nicht, dass seine Umgebung
erst bei seinem Fortgehen zur Vorstellung erfährt — wenn sonst sie es nicht
aus dem Spielplan ersehen hat — dass der paterfamilias heut auf dem Kampf-
platz erscheinen wird. Handelt es sich um eine Premiere, . so überwiegt das
Gefühl der Freude, endlich wieder vor eine neue Aufgabe gestellt zu sein; an ge-
wöhnlichen Spieltagen triumphiert die Genugthuung, durch seine künstlerische Be-
schäftigung eine willkommene Entschuldigung für gesellschaftliche Versäumnisse zu
haben. Es ist ihm so zu sagen ein urgemütlicher Gedanke, dass an Spieltagen nie-
mand eine Antwort, niemand einen Brief, niemand ein Besuch von ihm erwartet.

Mit der Rolle des Abends beschäftigt sich Kainz während des Tages nie.
Ja — horribile dictu — da er selbst nicht das geringste Geheimnis daraus macht,
[ darf ich's ja wohl auch ausplaudern — er erfährt nicht selten erst abends durch
seine in der Theatergarderobe bereit hängenden Kostüme, vor welche Aufgabe
er gerade gestellt ist. Oefter, besonders früher, liebte es Kainz, vor der Vor-
stellung in der kleinen Kellerdestille von Karl Bergemann, benannt „Deutscher
Keller", neben dem Deutschen Theater einzukehren. Hier wurde mit Kollegen
manch kräftig Wörtlein geredet und das gesprochene Wort nicht minder kräftig
mit geistigem Wasser begossen.

Während der Vorstellung labt Kainz sich auch heut noch gern — hier stockt
mir die Feder, eine feige Furcht vor allem was weiblich ist in Berlin befällt
mich — aber schliesslich muss die Wahrheit doch an den Tag — also Mut, Mut!
Josef Kainz labt sich also während der Vorstellung noch heute gern mit Weiss-
bier — Eisbein und Sauerkohl. Gott sei Dank! Nun ist's heraus! Romeo bei
der Weissen! Verderben gehe deinen Gang! Ein wahres Glück dass mir

Ferdinand Bonn,
vom ..Malen" erfasst.

Romeo bei Weissbier und Eisbein
 
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