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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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23. Heft
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F., Helene: Das See-Gespenst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0549

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372

as pee~ i fflespenst.

[Nachdruck verboten.]

^jj^afang Juni war es. Noch waren die Seebäder leer ""jfi™. um das Gorgonenhaupt sich schlängeln und winden. So
von Gästen. Noch wälzten sich die weiss ge- ^BHmHb. naht sie sich endlich einem Neubau, an dem Maurer be-
krönten, grünlichen Meereswogen an einen ein- ^BpPGH schäftigt sind. Und eine laute, schrille Stimme klingt
samen, menschenleeren Strand, denn nur selten betrat ihn jSSImSl beschwörend zu dem Gerüst hinauf: „O hclp me, gent-
ein fremder Fuss. So war es auch auf dem Helgoland der vV^v^v/ leinen, help me! Bring the lancllord to me!"
Ostsee, der Insel Hiddcnsee, jenem wogenumrauschten, lieb- /wt^^^L „Wat quasselt die Olle?" fragt ein heller Berliner
liehen Eiland vor der Westküste Rügens, das im Volksmund U t Junge von oben herab. „Die is ja in grosser Toilette'"
den Namen „Das süsse Ländchen" trägt. Ein Meeridyll, so La f i I lacht er weiter. „Denkt wohl, für Hiddensee is det Bade-
friedevoll, fernab vom Geräusch der Welt; nur das Meer ■ 1 lAV laken jrade jut jenug?"

singt seine hehre, urewige Melodie, auf dem steil ins Meer I \ JsS^B^fc Schliesslich aber versteht er doch, was die

abfallenden Bergland rauscht der dunkle Tann und in den VA V^flHB^^^^^^^ lebhaften Geberden bedeuten sollen, mit denen sie

Lüften über den duftigen Weideflächen drunten im Flach- ™A v\i fl Tra immer nach dein nahen Gasthaus „Zur Ostsee"

land schmettern die Lerchen. Die kleinen Segelboote der ^k. ^MEiHhISm^Hlfc I deutet.

Fischer schwimmen auf hoher See, auf dem schmalen ^^^tfjjjfc^^Kappljfc^r „Junge, jeh und hol mal eenen von dort, steh

Wiesenstreifen zwischen den Dünen und den kleinen, ^ nich da als sähest Du een Jespenst!" herrscht er

schlichten Fischerhütten spielen ein paar flachshaarige i einen Jungen an, der eben furchtsam heranschleicht.

Kinder. Aber plötzlich verstummen die muntren Stimmen, „Det is ooch en Gespenst, seggt Grossvatting, un

in den hübschen, gebräunten Gesichtern malt sich heftiges bedütet grotet Unglück!"

Erschrecken und die hellblauen Augen starren mit Furcht H „Ja sonst was; sieht freilich aus wie een Jespenst,

und Entsetzen nach der hohen Düne. Dort schreitet eine Hubert von Herkomer: Griff des die Olle, aber eens von Fleisch und Blut. Nu loof man,

lange, unheimlich lange Gestalt einher, in weisse Gewänder Druiden-Schwertes. 1887. sonst mach ick Dir Beene!"

gehüllt, die der frische Morgenwind bläht, dass sie gleich Flügeln das Und bald ist das „Gespenst", das jetzt zitternd und bebend an

geheimnisvolle Wesen umflattern. dem Gerüst lehnt, vom halben Dorfe umringt und alles starrt ihm neu-

„En Gespenst, en Gespenst!" schreit eines aus der flachsköpfigcn gierig ins Gesicht. Endlich kommt der Wirt.

Schar. Und „En Gespenst, en Gespenst!" ^^^^^^^____^^^___^^^^^^^^^^^^_m_m „Ach du lieber Gott, Miss Karr, wie

echot der ganze Haufe, zu dein sich im bH B sehen Sie denn aus? Was ist denn Ihnen

rottet haben. Und jetzt hebt es drohend zwei ^pV ^j^/'V^ „Ach lieber Herr landlord, haben ich in

lange, dürre Arme gegen sie, jetzt stösst eine ^KSSM^*^BBiTO?^g,.f ^-.tBP^B Wasser gewesen, hatt ich Schlüssel in Bude

hohe, schrille Stimme heftige Worte aus, in B J - ' , *-'^jBnä^HKP ^" 9 gelassen. Die absseuliche Wind haben zu-

einer Sprache, die sie nicht verstehen, und *"~ ""j"*" 'mM gesmeissen das Thür, dass ich nicht konnte

jetzt schie^sst^ riesigen Stumi- ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^~" heruml^^

Furcht ^^ffi

von Haus zu Haus, und klopft an Thüren und ^^B^ iWMMWIiMWMWBiifcWigl^WM^^j^^B Einer nach dem andern schlich lachend

Die weisse Hülle ist ihm vom Kopf gc- H f"**^ \ 1B\|B,J "Jb****^ | H so nennt man mit ein wenig Phantasie das
glitten, und ein knochiges, graues Gesicht, mit ■ tP^jJky ^ ''^BhBBI fj^jt ^us^e'c'cn bestimmte Bretterhäuschen,
vorstehenden, wasserblauen Augen, umgeben H ?- < , Äp^^HP|P^^5jaßÄ^^^ ■Hai und am nächsten Tage mit dem Dampfer
von meerfeuchten, langen, strohgelben Haar- H f^fKJu^^mf^^^i^'"S^f^^f fl auch vom „süssen Ländchen". Ihr war plötz-
strähnen, kommt zum Vorschein und bewirkt ^ *^^^tf8^^^^5lG^55^^Sr I l'cn der Sandboden zu heiss unter den
eher alles andere, als die Gemüter zu bc- H *j\ A£ Hj Füssen geworden und der frische Seewind

Und weiter irrt die lange AVcisse — denn 1 HH Aber das „Seegespenst" lebt weiter in

weiblichen Geschlechts scheint das Gespenst zu b ■■■ den Köpfen von Hiddensees Jugend, und

sein — der Wind rüttelt und schüttelt an den BgJH WBtJtmim iicmc Geschichte wird noch heute jedem

schleppenden Gewändern und wühlt in den TT , ... _ . „„„„ neuankommenden Badegast als Kuriosum er-

rr Hubert von Herkomer: Druidenpnester. 1880.

nassen Haarsträhnen, daSS sie, wie Schlangen Entwurf der Staffelei, Schnitzerei und Metallarbeit ebenfalls vom Künstler. zählt. Helene F.
 
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