Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

DOI Heft:
11. Heft
DOI Artikel:
Misch, Robert: Der Adelsmensch, [9]: Roman von Robert Misch
DOI Artikel:
In der Bernina-Gruppe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0273

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

Hermine war zu Rohdes gezogen. Meta hatte der Freundin selbst
den Vorschlag gemacht; und diese, des Hotellebens und der Hotelküche
überdrüssig, hatte gern eingewilligt.

Die beiden Frauen steckten anfangs den ganzen Tag zusammen.
Meta hoffte, eine Gefährtin und Gleichgesinnte in ihr zu finden. Hermine
täuschte auch zuerst ihre Erwartungen nicht. Sie begleitete die Freundin
willig zu allen Vorträgen und Versammlungen, schimpfte wacker auf die
Männer mit und hörte geduldig auf Mctas Klagen über ihre verfehlte Ehe
und den rohen Gatten, der ihr seelisch und geistig nicht ebenbürtig sei.
Nur stellte sie zuweilen so eigentümliche Fragen.
„Worin zeigt sich denn seine Roheit? — Wieso ist er Dir nicht
ebenbürtig? Er hat doch eigentlich mehr gelernt als Du, er als akademisch
gebildeter Mann. Uebrigens kommt es doch nicht darauf an in einer Ehe.
Ich glaube, ich würde mit Deinem Mann sehr gut auskommen", meinte
sie bei einer solchen Gelegenheit.

„Warum habt Ihr Euch eigentlich nicht geheiratet, wenn Du seine
Jugendliebe warst?"

„Mein Gott, eine Tanzstundenneigung! . . . Wir waren beide so
jung und kamen dann auseinander, als Papa versetzt wurde. — Sonst",
fügte sie lachend hinzu, „wäre vielleicht . . . Wer weiss —?"

„Nun, ich trete ihn Dir gerne ab, wenn Du nach Deinen und meinen
Erfahrungen noch nicht genug von der Ehe und den Männern hast."

Derartige Gespräche hatten zur Folge, dass Frau Meta sich wieder
etwas mehr zurückhielt und nicht wagte, Hermine ganz in ihre geheimen
Pläne einzuweihen. Es war doch nicht so leicht, wie sie sich's vorgestellt,
eine „Führerin" zu werden, wenn man auch bereits hier und da kleinere
Arbeiten ihrer Feder abdruckte, ihr Name auch zuweilen erwähnt wurde.

Den geringen Verkehr, den das Paar in den ersten Monaten ihrer
Ehe gehabt, hatte Meta langsam einschlafen lassen. Besuche hatte sie
einfach nicht erwidert. Gesellschaften und Kaffeekränzchen gab sie
nicht; und so lud man sie natürlich auch nicht mehr ein.

Dem Fabrikbesitzer war das im Grunde recht. Er nahm jetzt, seit-
dem er das gesuchte Behagen nicht mehr im eigenen Hause fand, seine

früheren Stammtischgewohnheiten allmählich wieder auf. Mehrere Abende
in der Woche brachte er in einem Weinrestaurant zu, wo er die alten Jung-
gesellen-Freunde wiederfand. Zweimal wöchentlich hatte er seinen Skat-
abend, der der Reihe nach bei den Herren herumging.

Meta Hess sich natürlich niemals sehen, wenn die Reihe an ihm war.
Seitdem sie einmal durch die geräuschvolle Lustigkeit der Herren in ihren
Arbeiten gestört worden, brachte sie diesen Abend stets ausserhalb ihrer
vier Wände zu. Auch des Mittags fehlte bald der Hausherr, bald die
Hausfrau bei Tisch, so dass das Essen gar oft unberührt blieb. Dafür war
wieder ein anderes Mal nicht genug vorhanden, wenn Beide „ungespeist"
nach Hause kamen, ohne sich vorher bei der Köchin angemeldet zu haben.

Hermine, die das mit Verwunderung gleich nach ihrer Uebersiedelung
bemerkte, befragte ihren Jugendfreund nach dem Grunde seiner häufigen
Abwesenheit.

„Meine liebe Herminc, ich speise gern in Gesellschaft und speise
gern gut," erwiderte Rohde. — „Beides kann ich wohl in meiner Stamm-
kneipe, aber nicht immer zu Hause haben — d. h. bis jetzt. Ihre An-
wesenheit bringt hoffentlich eine Aenderung hervor. Und da ich es von
meiner „berühmten" Frau nicht verlangen kann, so nehmen Sic sich viel-
leicht der polnischen Wirtschaft hier ein bischen an. Meta hat natürlich
für solche Kleinigkeiten wie Haushalt und Küche keine Zeit übrig. Für
die. Volksküche interessiert sie sich jedenfalls mehr, als für ihre eigene."

Meta zuckte verächtlich die Achseln, wenn ihr Hermine das wieder-
erzählte.

„Das sieht ihm ähnlich! Die geistige Entfremdung, das seelische
Element in unserer Ehe lässt ihn völlig kalt. Ihn interessiert nur das
Materielle: ob die Suppe zur rechten Zeit auf den Tisch kommt und keine
Knöpfe an seiner Wäsche fehlen. Und an einen solchen Materialisten
musste gerade ich — ich kommen, die von einem Bündnis zweier gleich-
gestimmten Seelen träumte."

Hermine suchte ihn dann gewönlich zu verteidigen; aber die Freundin
schnitt ihr kurz das Wort ab: „Ich weiss, ich weiss — er ist Dir sym-
pathisch . . . Ihr passt eben ausgezeichnet zusammen." [Fortsetzung folg;.]

der ^ernina-wruppe.

[Nachdruck verboten.]

eich' ein prächtiger Felskoloss! Dem Matterhorn ähnlich erhebt er mit voller Wucht in den Schnee. Vermag er denselben nicht zu durchstossen,
T , 7 .Jch aus seiner eisigen Umgebung, stolz und kühn, mit beinahe über- so trägt er auch sein Körpergewicht. In zweifelhaften Fällen ist es angezeigt,
hängender Spitze. Ja sogar die schneebedeckte „Schulter", welche liegend vorwärts zu kriechen, um das Gewicht des Körpers auf die grössere
den Zermatter Riesen charakterisiert, vermögen wir zu erkennen. Ein Unter- - Fläche zu verteilen. Selbstverständlich sind dabei aber mehrere Personen not-
schied allerdings ist vorhanden. Während das Matterhorn über 1100 Meter aus wendig. Die Partie pflanzt sich auf sicherem Grunde fest auf und nur der Vor-
dem benachbarten Gebirgskamme in die Lüfte steigt, so überragt die Crast v. ausgehende betritt die Brücke, sorgfältig und behutsam, während das stets straff
Agüzza, welche auf unserem Bilde eine so treffliche Darstellung gefunden hat, gespannte Seil, welches mindestens der Breite des Schrundes entsprechen muss,
denselben nur um 300 Meter. Eifelturmhöhe, was will das bedeuten in dem nur ganz allmählich nachgelassen wird. Ist er dann jenseits angekommen, so
ewigen Hochgebirge! Nun ja, auf die Höhe allein kommt es nicht an, das weiss folgt der zweite und dritte in derselben Weise. Es ist damit die Möglichkeit
jeder rechte Bergsteiger. Im Gegenteil! Wer ein offenes Auge und empfang- gegeben, bei einem Einsturz der Brücke den Fallenden zu halten und wieder
liches Gemüt für die Schönheiten des Gebirges hat, der findet sie überall, im an - das Tageslicht zu ziehen. Voraussetzung ist freilich, dass nicht mehrere
Kleinen wie im Grossen. So erregt der unmittelbar vor uns befindliche Berg- stürzen, wie dies unlängst an dem in nächster Nähe befindlichen Piz Palü der
schrund unser Interesse nicht minder, wie die imposante Form der Crast Agüzza. Fall war, wo ein begeisterter Bergfreund dem grimmen Tode zum Opfer fiel.
Solche „Schründe", welche beinahe immer da entstehen, wo ein steiler Eishang Eine aus zwei Touristen und zwei Führern bestehende Partie hatte sich dem
mit dem weniger geneigten Gletscher zusammentrifft, unterscheiden sich von dortigen Bergschrund von oben her genähert. Ahnungslos betrat der voraus-
den gewöhnlichen Spalten durch ihre grössere Breite, welche oft diejenige einer gehende Führer die Brücke, auf welcher sich von früheren Besteigungen Fuss-
Strasse erreicht, und den auf der Bergseite überhängenden, höheren Rand. Ihre spuren zeigten, so dass keinerlei Gefahr zu drohen schien. Aber plötzlich sank
Tiefe ist meist eine ausserordentlich grosse. Wir blicken an den glitzernden er mit dem hinter ihm folgenden Touristen lautlos in die Tiefe. Wohl hielten
zum Teil mit Schnee bedeckten Wänden in eine grünlich-bläuliche Finsternis die beiden oben Befindlichen die schwere Last, wohl gelang es dem abgestürzten
hinab, ohne jemals auf den Boden des Gletschers zu sehen, welcher durch die Führer, sich in der Tiefe einen Standpunkt zu verschaffen, das Seil zu durch-
Verwerfungen der Wände im Verborgenen liegt. schneiden und sich unter übermenschlicher Anstrengung nach Verlauf von etwa
Ein solcher Schrund bildet naturgemäss ein bedeutsames Hindernis für den drei Viertelstunden aus dem Schrunde herauszuarbeiten: der noch in demselben
Bergsteiger, denn er kann wegen seiner Ausdehnung weder umgangen noch befindliche Tourist konnte nur als Leiche emporgezogen werden,
übersprungen werden. Man ist vielmehr, wie die Partie auf unserem Bilde, Es ist eine finstere Mahnung, welche das Hochgebirge uns hier entgegen-
darauf angewiesen, eine Schneebrücke zu finden, welche das Passieren ermöglicht. ruft, eine Mahnung zur Vorsicht und gründlichen Vorbereitung auf allen
Der fortschreitende Gang des Gletschers bringt es mit sich, dass stets bald schwierigen Touren, welche gerade derjenige beständig im Auge haben muss,
grössere, bald kleinere Eismassen sich von dem höheren Rande des Schrundes welcher die Schönheit und Erhabenheit des Gebirges am meisten fühlt. Wird
ablösen und in die Tiefe stürzen. So kommt es, dass der Winterschnee die er docli so leicht von Begeisterung und Enthusiasmus hingerissen. Auf der
Kluft da und dort ausfüllt und wenn auch die unten liegenden Blöcke mit der andern Seite weiss aber auch der, der diese Mahnung befolgt, dass nicht alle
Zeit in der Tiefe verschwinden, so gefriert der sich stets erneuernde Schnee an Kugeln treffen, dass die Summe von reinem Glück und hehrem Genuss, welche
der Oberfläche doch meist s'o fest zusammen, dass er bei entsprechender Vor- so viele Tausende alljährlich dort oben finden, die vereinzelten Unglücksfälle
sieht schon betreten werden kann. Um seine Festigkeit zu prüfen, wendet der weit aufwiegt und nicht mit Unrecht bleibt sein Wahlspruch immerdar:
Bergsteiger folgendes Mittel an: Schritt für Schritt stösst er vor sich das Eisbeil Excelsior! W.
 
Annotationen