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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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21. Heft
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Seltsamer Schneefall: eine schnurrige Geschichte aus dem Bühnenleben
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Unsere Bilder, [17]
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340

eltsam ei* Schneefall.

Eine schnurrige Geschichte aus dem Bühnenleben.

[Nachdruck verboten.]

jie beiden Waisen" las man auf dem Theaterzettel einer grösseren ameri- Vorstellung im fremden Land. — Nur ein Schauspieler kann die peinliche
kanischen Stadt, welche das Privilegium hatte, ein gutes deutsches Situation verstehen, in welcher sich die zwei unglücklichen Künstler befanden,
Theater zu erhalten. Die Vorbereitungen zur Vorstellung waren mit der welche auf der Scene waren, und auf welche sich dieser ergiebige Papierkorb-
grössten Sorgfalt geführt, jeder war an seinem Platze und der Erfolg des Abends iiihalt ergoss. — Und im Publikum? Zuerst Erschrecken, Staunen, dann Er-
schien gesichert. Nun fügt aber ein launiger Zufall es jedesmal, dass, wenn etwas kennen des wahren Sachverhaltes und ein Sturm der Heiterkeit bricht los. Die
verkehrt auf der Bühne geht, es in den effektvollsten Scenen passiert, so auch beste Posse, der hervorragendste Komiker, hätte nicht solche Lachsalven erzielen
hier. Man war bis zu der Scene des Stückes gelangt, in welcher die blinde können, als diese grossen Schneeflocken. — Die Mühe der Direktion, die Arbeit
Luise vor dem Portal der Kirche im Schneegestöber auf der Steintreppe liegt. der Schauspieler, alles war mit einem Schlage vernichtet. •— Der Vorhang musste
Aus der Kirche dringt Orgelklang, Andächtige strömen hinein, hin und wieder fallen, und nun ging es an die Untersuchung die Schuldigen an diesem unglückseligen
wirft ein Mitleidiger der armen Blinden ein Almosen zu, ohne sich jedoch Zwischenfall zu finden. Es stellte sich folgendes heraus. Die Direktion hatte
weiter um sie zu kümmern. Niemand auf der weiten Welt als Pierre, ihr treuer in Ermangelung einer Schneemaschine zwei Männer beauftragt, vom Schnürboden
Begleiter, scheint Anteil an ihrem Unglück zu nehmen. Der Schnee fängt an herab den Schneefall zu markieren, und zwar in folgender Weise. Zwei mit
dichter zu fallen und droht die arme Verlassene zu verschütten, als, vom tiefsten Papierschnitzeln gefüllte hohe Papierkörbe hängen über der Bühne, und werden
Mitleid ergriffen, der selbst halb erstarrte Pierre sein dünnes Röckchen ausziehen an Stricken langsam hin- und hergeschaukelt, die sehr leichten Schnitzel fliegen
will,' um es über die Blinde zu decken. Die Scene ist ergreifend und verfehlt durch den Luftzug heraus, senken sich lanksam auf die Bühne und bringen so
nie ihren Eindruck auf das Publikum; an diesem einen unglückseligen Abend den Schneefall täuschend ähnlich hervor. — Nun war aber einem der beiden
sollte es jedoch anders kommen. — Schon zieht Pierre den Rock aus, schon auf dem Schnürboden postierten Mitwirkenden das Hin- und Herschaukeln zu-
neigt er sich über die Blinde um sie zu bedecken, da fallen plötzlich vom Himmel letzt zu langweilig geworden, er kehrte einfach den Korb um, und somit fiel,
herab nicht mehr Schneeflocken, nein — es ergiesst sich über die Zwei ein wahrer ausser den für die Bühne bestimmten Papierschnitzeln, auch der auf dem Boden des
Schauer alter Briefcouverts — Zeitungsabschnitte — Postkarten — zusammgerollter Papierkorbes sich befindliche ursprüngliche Inhalt heraus. — Das gelinde Donner-
Brieffragmente — Postscheine etc. etc. Der selige Stephan hätte seine Freude wetter, das über den Armen hereinbrach ist kaum nötig zu beschreiben, angedeutet
über die Vielfältigkeit der Postsachen gehabt, die dort von oben herab sich mag jedoch werden, dass es auch einschlug. — Aber das Stück, „Die beiden
überschlugen als improvisierte und unerwünschte Ausstattung einer deutschen Waisen" blieb, wie der Schauspieler sich ausdrückt „geschmissen". Grete R.

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{^Tur-^ensch und Tier lechzt in der Hitze des Sommers nach einem „er- J$[. Hirschls grosses figurenreiches Bild „Seelen am Acheron" stellt

frischenden Bade"; warum soll es Meister Eisbär nicht auch thun, eine Scene aus der antiken Göttersage dar. Der hellenische Volksglaube dachte
da doch das kalte Wasser sein Lebenselement ist? — Im Anfang des Frühjahrs sich den Eingang zur Unterwelt am Acheron, jenem kleinen Fluss, der die epi-
war die Mannschaft eines Walfischfängers und Nordpolfahrers bei einem Jagd- rotische Landschaft Thesprotia durchströmt, und an dessen oberem Laufe, im
ausflug an der Küste, wo ihr Schiff noch fest eingefroren lag, auf einen Schnee- heutigen Kakosuli, sich eine enge düstere Schlucht befindet. Hermes begleitet
häufen gestossen, der sich seltsamerweise zu bewegen schien, obgleich kein nach der Sage die Seelen der Verstorbenen, die zum Aufenhalt in der Unter-
Windhauch wehte. Erstaunt waren die Männer herangetreten und hatten, um weit, zu einem licht- und freudelosen, schemenhaften Dasein bestimmt sind,
das auffallende Ereignis zu ergründen, begonnen, den Schneehaufen fortzu- bis an den Fluss, wo der Ferge Charon sie auf seinem Kahn in die Unterwelt
räumen. Aber kaum waren sie mit ihren Werkzeugen ein wenig hineingedrungen, bringt, die von dem Hunde Kerberos bewacht wird. Die Hauptfigur unseres
als ein zorniges Brummen ertönte. Gleich darauf war aus dem auseinander- Bildes stellt Hermes dar, mit der Chlamis bekleidet und bedeckt mit dem von
gestossenen Haufen eine mächtige Eisbärin aufgetaucht, umgeben von ihren zwei Flügeln gekrönten Hut, die ihn als Windgott kennzeichnen, als der er
Jungen. Sie hatte sich zum Winter hier einschneien lassen und in dem Schnee- eigentlich zu denken ist. Links kommt der Fährmann Charon herbei, um die
lager ihre kleinen, blinden, kurz behaarten Jungen geworfen. . Ein Kampf war Seelen zu holen; derselben bemächtigt sich eine wilde Angst und sie suchen
die Folge dieses Aufeinanderprallens von Mensch und Tier gewesen, in dem vergeblich Hermes um Befreiung anzurufen. Der Aufenthalt in der düstern
die Bärin gefallen war. Ihr Fell schmückte nun die Kajüte des Kapitäns. Die Unterwelt hatte für die an Sonne und Heiterkeit gewöhnten Griechen natürlich
Jungen hatte man auf das Schiff mitgenommen; man wollte versuchen, sie auf- etwas Schreckliches. Sie fürchteten sich deshalb vor dem Eingehen in das Reich
zuziehen. Aber bis auf einen, den die Schiffsmannschaft „Cäsar" genannt hatte, des Hades. Tief unter der Oberfläche der Erde thront er als Herrscher über
waren sie sämtlich gestorben. Und auch Cäsar schien täglich mehr an einer die Verstorbenen. Man dachte sich den finsteren König der Unterwelt furchtbar
unerklärlichen Schwermut zu leiden, die ihn abmagerte trotz der reichlichen und schrecklich; durch Bitten und Schmeicheln ist er nicht zu erweichen: nur
Kost, die man ihm reichte. Man befürchtete schon, auch er, der durch seine dem Orpheus gelang es durch die Gewalt seines Gesanges, ihn zur Rückgabe
Possierlichkeit eine angenehme Abwechselung in die Eintönigkeit des Daseins der Eurydike zu bewegen. Mit den drei Totenrichtern Aiakos, Minos und
der vom Eise Umschlossenen brachte, werde daraufgehen, als ein Zufall die Rhadamanthys richtet er über alle Thaten der Sterblichen, besonders rächt er
Lösung der merkwürdigen Erscheinung gab, unter der Cäsar litt. In seiner die Meineide und vollzieht die Flüche der Menschen,
unmittelbaren Nähe war eines Tages eines der an Bord verstauten Rumfässer . * a. *

ausgelaufen, und der junge Eisbär, der frei auf Deck umherlief, wälzte sich als- ^ßg- ^>asi°' „Zeus und Europa: Nach Herodot war Europa eine Tochter

bald in der Flüssigkeit. Da wurde es seinen Wärtern klar, was ihm fehlte: des Königs Agenor von Phönizien und der Telephassa, der Schwester des Kad-

Cäsar war ein Freund der Reinlichkeit; er konnte, ohne regelmässig zu baden, mos. Sie gewann bekanntlich die Liebe des Zeus, der, um sie zu besitzen, sich

nicht gedeihen. Seitdem erhielt er täglich sein Morgenbad in einem Loche, das in einen Stier verwandelte und in dieser Gestalt an den Ufern des Meeres bei

man in das Eis hieb. An einem Strick liess man ihn zur Seite des Schiffes Sidon oder Tyrus erschien, wo sie mit ihren Gespielinnen lustwandelte. Der

hinab, und sein lustiges Brummen, Schnauben, Plantschen und Untertauchen schönen Europa gefiel der herrliche und dabei zahme Stier so sehr, dass sie

bildete eine vorzügliche Unterhaltung für das Schiffspersonal, wie es W. Small ihn mit Blumen bekränzte und schliesslich seinen Rücken bestieg, worauf dieser

auf unserem Bilde dargestellt hat. Als dann das Fahrzeug mit Eintritt der mit seiner solchergestalt errungenen Beute dem Meere zueilte und nach der Insel

wärmeren Jahreszeit wieder flott wurde, war Cäsar strotzend von Gesundheit, Kreta hinüberschwamm. Hier verwandelte sich der zum Stier gewordene Zeus

so dass es gelang, ihn glücklich an den Ausgangsort des Schiffes zu bringen. in einen schönen Jüngling, der mit der schlanken Europa unter einer Platane

Dort im Zoologischen Garten, dem man ihn übergab, erregt er jetzt noch der Liebe pflog. Dem schlimmen Zeus bekam diese Exkursion nicht sonderlich

durch seine plumpe Spasshaftigkeit das Entzücken namentlich der Kinderwelt. gut, seine Gattin, die edle Hera, die Schützerin der Ehe, war begreiflicherweise

* .,. * nicht erbaut von diesem Ereignis und sie hat dem Göttergemahle, wie Homer

G$ie werden wohl heute nicht sonderlich viel fangen, die fünf „Fischerinnen", mit ergötzlicher Ironie erzählt, darob manche unerfreuliche Rede gehalten. Ein

die J. Cuchy im Bilde veranschaulicht, denn sie scheinen in urfideler Stimmung Schicksal, das der griechische Götterpapa übrigens mit Wodan, dem germanischen

zu sein und die ist ja für die Zuschauer ganz willkommen, weil nicht viel in Zeus teilte, der sich mit den Walküren bekanntlich auch in einer Weise befasste,

der Welt netter aussieht, als lachende, gesundheitstrotzende, helläugige Mädchen; wie sie die mythologische Götteretikette für nicht ganz schicklich erachtete. —

aber den Erfolg ihrer Angelkunst wird diese robuste Lustigkeit nicht vergrössern. Das Abenteuer des Zeus ist natürlich schon seit langen Jahren Gegenstand

Wer etwas erangeln will, muss stille sitzen können, muss ernste Geduld haben. der künstlerischen Behandlung geworden. Am häufigsten ist der Ritt der

Und was die mittelste der Fischerinnen da unter dem Gelächter der übrigen zu Europa auf dem Stiere dargestellt, aber auch die Scene unter der Platane

Tage fördert, ist gewiss alles andere, nur kein Fisch. ist zu allen Zeiten künstlerisch verherrlicht worden.
 
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