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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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7. Heft
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Faber-Reinhold, Helene: [Der Familiendrache]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0148

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102

MODERNE KUNST.

Thatsachc, dass man gottlob jetzt wieder anfange,
beim Schmuck Wert auf kunstvolle Arbeit zu
legen, anstatt wie bisher einzig auf das Material.
Nun, er hoffe durch die Ausführung seines Auf-
trages dem Herrn „Grafen", auf dessen Empfehlung
er bestimmt rechnen zu dürfen glaube, bewiesen
zu haben, dass der Juwelier von heute dasselbe
leisten könne, wie der Goldschmied des Mittel-
alters. Der beglückte Drachenbesitzer hörte
ahnungslos und in liebenswürdiger Geduld diese
langatmigen, technischen Auseinandersetzungen an.

Eben streckte er die Hand aus, den alten
Familiendrachen an sich zu nehmen, während der
neue Doppelgänger eine seiner würdige Behausung
erhalten sollte, — da legte sich von rückwärts
eine schwere Hand auf seine Schulter und eine
tiefe Bassstimme dröhnte ihm ins Ohr: „Herr, im
Namen des Gesetzes, Sic sind mein Gefangener!"

Halb geärgert, halb belustigt wandte Hans
Heinrich den Kopf; ein Kriminalbeamter stand
hinter ihm.

„Was fällt Ihnen ein? Mit welchem Rechte
wagen Sic mich zu verhaften? Was soll ich
denn gethan haben?"

Der Mann des Gesetzes wies stumm mit dem
knöchernen Zeigefinger auf den Familiendrachen
in seiner Hand. In Hans Heinrichs offenen Zügen
malte sich heftiges Erschrecken. — „Aber das ist
ein Irrtum —"

„Der sich ja aufklären wird!" erwiderte der
Mann des Gesetzes trocken. „Machen Sic keine
Umstände, folgen Sie mir. Je weniger Wider-
stand Sie leisten, desto weniger Aufsehen macht
die Sache. — Das Ding da geben Sie mal mir
her," wandte er sich an den Juwelier, und liess
den verhängnisvollen Familiendrachen in der Tiefe
seiner Tasche verschwinden.

„Aber so erklären Sie doch diesem Herrn —"
bat der unglückliche Drachendieb den Juwelier.
Ein bedauerliches Achselzucken war die Antwort.

„Ich heisse Hans Heinrich von Villingen —"

„Das kann jeder sagen," lachte der Beamte
höhnisch. „So viel ich weiss, heissen Sie
Wilhelm Berger. Machen Sie keine Flausen,
das verschlimmert die Sache bloss." ^

Geknickt folgte Hans Heinrich dem Kriminal- /\ s ""*"■■» —^( .

beamten zum Wagen. Was sollte nun weiter c^f> lAi j*^2 p^f*2 ///t^

werden? Der Zusammenhang musstc sich zwar auf- '. ** f V p\ //^/ cucscs glänzende Wappenschild durch ihn einen hässlichen, nie
klären, aber mit erschreckender Deutlichkeit wurde U U U zu tilgenden Flecken erhalten! Den geliebten bunten Rock, den

dem über seine Lage Nachgrübelnden klar, dass er wirklich schuldig war. er mit so ehrlicher Begeisterung, mit so inniger Liebe getragen, würde

Ganz gleich zu welchem Zweck — thatsächlich hatte er das Schmuck- er ausziehen müssen, den Degen zurückgeben seinem Könige, weil seine
stück entwendet — gestohlen. Hand, die Hand eines Diebes, nicht länger würdig war, ihn zu führen.

Alsbald vor den Untersuchungsrichter geführt, entlockte die offen- Und Mariane, sein holdes Weib! Wie würde sie es tragen? Würde

herzige Erzählung der ganzen Affaire dem gestrengen Herrn ein halb auch sie ihr Herz von ihm wenden, weil er ein Dieb war? Oder würde
mitleidiges, halb ungläubiges Lächeln. Wie ein gemeiner Dieb sah der sie ihm verzeihen, weil er es geworden einzig aus Liebe zu ihr, einzig
Eingebrachte allerdings ja nicht aus, aber wer kann heutzutage dem um ihr einen Wunsch zu erfüllen, eine Weihnachtsfreude zu machen?
Aeusseren trauen, und die Geschichte klang doch etwas zu abenteuerlich. Weihnachten! Wie hatten sie sich gefreut auf dieses erste gemeinsame

Vorläufig sollte der angebliche Hans Heinrich v, Villingen — in Weihnachtsfest, und nun?! Sie in Thränen und Sorgen um ihn, in Un-
einem Zimmer des Untersuchungsgefängnisses des weiteren harren; er gewissheit über sein Geschick — denn auf seine Bitte, die Seinen
würde Zeit haben, darüber nachzudenken, was für ein gefährliches benachrichtigen zu dürfen, wurde ihm bedeutet, es seien alle zur Auf-
Tier noch heutzutage ein Drache ist — und insonderheit ein Familien- klärung nötigen Schritte bereits gethan —, und er hier im Gefängnis!
drache —. Ein qualvolles Stöhnen entrang sich Hans Heinrichs Brust. Er sprang

Und wahrlich, qualvolle Gedanken waren es, die das Hirn des ein- auf und trat ans Fenster, das nach der Strasse zu lag. Düstren, trocknen
samen Mannes tausendfältig durchkreuzten. Was würde die Welt sagen? Blicks starrte er in das geschäftige Leben und Treiben, das sich zu seinen
Welch ein Aufsehen würde es in G. geben, wenn man ihm, Hans Heinrich Füssen entfaltete, und dem die Weihnachtszeit ein ganz eigenartiges,
v. Villingen, den Prozess machte wegen Diebstahls: Wie stolz war er fröhliches Gepräge gab. Wie dumpfes Meeresbrausen drang das Gewirr
gewesen auf den reinen makellosen Namen seiner Ahnen, und nun sollte der verschiedensten Töne zu den Ohren des einsamen Mannes. Pferde-

M ODER NE KUNST.

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und seit zwei Tagen fehlte jede Nachricht von
ihm. Wer weiss, was ihm in dem modernen
Babel geschehen war! Man konnte ihn verführt,
betrogen, bestohlen, getötet haben. Las man nicht
alle Augenblicke von entsetzlichen Mordthatcn in
Berlin?! Mariannens Seele quälten die blutigsten
Phantasiegebikle. Als Anastasia ihr mitgeteilt hatte,
dass sie nach Berlin reisen müsse, war Marianne
elektrisiert.

„Ich begleite Dich, Tante!" rief sie. „O wir
werden sie beide finden, Du Deinen Dieb und ich
meinen verloren gegangenen Gatten!"

Wenige Stunden später sassen Tante und
Nichte auf der Eisenbahn, beide auf der Suche
nach ihrem grössten Schatz, ihrem liebsten Be-
sitztum.

Zwei Tage waren dem armen Gefangenen in
dumpfem, vcrzweiflungsvollem Hinbrüten ver-
gangen. Am Mittag des vierten ward er in das
Zimmer des Untersuchungsrichters geführt, ahnungs-
los was seiner harrte.

Zwei Augenpaare, ein falkenscharfes und ein
sanftes braunes schauten voll Interesse und Neu-
gier dem eintretenden Drachendieb entgegen. Da —•
ein dreistimmiger Schrei der Ueberraschung, der
Akkord dreier schöner Seelen, und im nächsten
Augenblick hat das junge, schöne, braunäugige Weib
Hans Heinrich umschlungen. — „Du, Du, hier? Was
hat man Dir gethan?"

„Ihn eingesperrt, weil er den Drachen ge-
stohlen hat," erklärt der Richter lakonisch. — „Du?
Wie kam man auf solch eine absurde Idee?"

„Und wo ist nun mein Drache?" lässt sich
jetzt Tante Anastasia vernehmen, die bisher vor
Staunen sprachlos war.

Und Hans Heinrich beichtete. Angesichts
seiner tiefen Zerknirschung und in Anbetracht der
ausgestandenen Angst verzieh Tante Anastasia
grossmütig dem Neffen seinen — Spitzbuben-
streich. Sie hakte, seelenvergnügt ihren Liebling
wieder zu haben, den Drachen, den der Richter
ihr reichte, an ihrem Kragen fest und machte
Miene aufzustehen.

„Sie sind selbstverständlich frei, Herr von
Villingen, und können gehen,Wann und wohin es
ihnen beliebt. Es freut mich, dass die Sache sich
so in Wohlgefallen aufgelöst hat." Frei! Wie

bahnen klingeln, Omnibusse rasseln, die Verkäufer erheben ihre an- Sphärenmusik klangen die Worte des Richters in Hans Heinrichs
preisenden Stimmen, um den Strassenlärm zu übertönen. Wie in einem Ohren. Tief atmend sog der Befreite die frische Winterluft ein, die
Kaleidoskop flutet unaufhaltsam der Strom hastender, mit Packeten ihm jenseits der Mauern des Untersuchungsgefängnisses entgegenschlug,
beladencr Menschen da drunten vorüber. Morgen ist Weihnachten! Er drückt fest den Arm seines lieblichen

Drüben jenseits der Strasse scharen sich ganze Haufen von Kindern Weibes an .die Brust. Wie jammervoll wäre ein Christabend da drinnen
um den Mann mit den Christbäumen, der in langem Pelz und Pudelmütze, gewesen! —

mit dem weiss bereiften Bart ausschaut, wie der echte, leibhaftige Weih- Gemeinsam holt man alsdann den bestellten Drachenzwilling bei dem

nachtsmann. Hans Heinrich meint den Duft der Tannen wahrzunehmen, verblüfften, infolge der Aufklärung zerknirschten und devoten Juwelier ab.
und heisse, schmerzliche Sehnsucht krampft ihm das Herz zusammen. „Du Guter," flüstert Marianne. „Was hast Du erduldet um meinetwillen!"

.y. .s. „Nein, nicht um Dich, Marianne," erklärt Tante Anastasia mit ein ganz

klein wenig boshaftem Humor — »nur um den ,Familiendrachen'!"
An Fräulein Anastasia war vom Gericht die Aufforderung ergangen, In G. wird zwar die Lösung des Drachendiebstahls möglichst ver-

sieh sofort nach Berlin zu verfügen, man habe den Dieb samt dem tuscht, aber es muss doch etwas von der Wahrheit durchgesickert sein,
Schmuck erwischt, doch seien Zweifel über seine Persönlichkeit. Er denn überall, wo die „Familiendrachen" sich zeigen, giebt es Tuscheln
solle ihr, Anastasia, — sie kannte Wilhelm Berger, ihrer Rosa Wilhelm und lächelnde Mienen.

von Angesicht zu Angesicht — gegenüber gestellt werden. Die Sache hatte noch ein erfreuliches Nachspiel. Um die arme Rosa

In höchster Erregung eilte Fräulein Anastasia zu Marianne. und ihren Wilhelm für den ungerechten Verdacht zu entschädigen, sorgten

„Ach, dass Dein Mann auch gerade nicht da sein muss!" klagte sie. Tante Anastasia und Hans Heinrich für eine gute Aussteuer, damit das
Die junge Frau schwamm in Thränen. Ein bis zwei Tage hatte junge Paar heiraten konnte. Und so wurde — was ja übrigens öfter

Hans Heinrich bleiben wollen, jetzt war er vier volle Tage weg, vorkommen soll — der „Familiendrache" zum Heiratsvermittler.

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ßelaöerer.
 
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