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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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8. Heft
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Brandenfels, Hanna: Im Konfektionsgeschäft: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0191

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I2Ö

MODERNE KUNST.

„Ja, wenn gnä Frau kein Korsett tragen wollen."
„Das kann ich meines Magens wegen nicht!"
„Aber dafür können wir doch nicht, gnä Frau!"
„Ach! Der Anzug steht mir nicht! Ich nehme ihn nicht!
Auch die Farbe ist grässlich!"

„Ich bedauere sehr, meine Gnädige", klingt es höflich zurück,
„was sollen wir denn damit anfangen? Es ist eine Ausnahme-
figur und daher schwer verkäuflich! Sie haben Stoff und Form
gewählt und bestimmt. Der Sitz ist gut, also —"

„Ich nehme es auf keinen Fall", schrillt es in den be-
rechtigten Einwand hinein, „ich werde erst mit meinem Manne
sprechen! Ich sehe ja schauderhaft darin aus!"

Hinter mir stehen zwei Dienstmädchen mit einem riesigen
Karton.

„Recht hat se, weesste", zischelt die eine, „janz un jar wie
'ne Leberwurscht sieht se aus."

Was für zutreffende Bemerkungen die Berliner Mädchen
machen können.

Die kleine Dame raschelt nach dem Ankleideraum, das
„grässliche" Kostüm abzulegen, taub gegen jeden vernünftigen
Einwand, „es sitzt nicht!"

„Zwei junge Engländerinnen treten ein. Es ist viel zu thun
und der Chef bedient sie selbst. Sie wünschen eine Jacke: grau
mit weissem Besatz, „etwas elegantes".

Drei Jackets, grau mit weiss, werden nacheinander an-
probiert, zwei „zu simpel", das dritte, ein reizendes, silbergraues
Jäckchen mit weisser Schnurstickerei und weissem Seidenfutter
passend wie für die Trägerin gearbeitet, „nett" befunden. Preis
für letzteres 125 Mark.

„Oah! 125 Mark? Wo stecken die denn?"
„In der Facon, meine Gnädige, und in der Abarbeitung! Aber
wollen Sie nicht etwas anderes wählen? in dunklen Farben ist
sehr viel Auswahl! Sachen, die sich wesentlich billiger stellen!"

Die Dame probiert braune, grüne und schwarze Jacken,
prüft jede einzige gründlichst und blickt dabei immer wieder nach
dem weissgrauen Jacket.

„Das graue ist sehr hübsch, doch ich will nur höchstens
50 Mark ausgeben", sagt sie auf englisch zu ihrer Begleiterin,
„wir wollen noch einmal zu Gerson!"

„Bei Gerson bekommen Sie so elegante Sachen auch nicht
billiger, meine Damen", giebt der Herr in tadellosem Englisch
prompt zurück — und dann leise zu dem Fräulein mit dem
Duldergesicht, die hinter den etwas verblüfft abziehenden Eng-
länderinnen die Thür schliesst: „Käsehändlerstöchter aus Chester!
Kenn' ich die Sorte! gross thun und nichts dahinter! Jetzt gehen
sie zu Wertheim und kaufen sich etwas für 20 Mark."

_ ., , _ . , . „ „ ri,. „ „ Drüben bemüht sich ein Ehepaar, „eine Umnähme" zu finden.

L. liegenbartn: „Ruhm verkündende Muse". Plastische Gruppe am Grazer btadttheater. 1 ' "

Die Herrschaften kommen aus Ostpreussen. Er, ein blonder
Hüne mit grossen platten Füssen, Lohengrinbart und blauer Brille, findet jedes
Stück „ausgezeichnet", während die Gattin unter einer Masse von Umhängen
*3 ' " „nichts passendes" finden kann.

„Das blaue Ding ist ausgezeichnet, nimm das doch, liebes Kind!"
„So etwas kann ich in Soldau auch haben! Dazu kommt man nicht nach
[Nachdruck verboten.] Berlin, und Blau kleidet mich nicht! ich will etwas Grünes! Grün ist hoch-

|m Monfektionsgeschäft.

Skizze von Hanna Brandenfels.

itte einen Augenblick, gnä Frau! Die Direktrice kommt sofort mit der modern! Du findest alles hübsch!" Letzteres in verschärftem Tone.

wsy Anprobe." Ich weiss aus Erfahrung, was dies „sofort" bedeutet, zumal Die Verkäuferin trägt Grün in verschiedenen Tönen herzu — es wird

wenn es wie heute hier „flott" hergeht. Resigniert nicke ich dem geprobt und geprobt und nichts findet Gnade,

überschlanken Fräulein mit dem zerknitterten graufarbenen Duldergesichte zu „Sieh doch, dieses ist wirklich ausgezeichnet und kleidet dich ganz famos",

und nehme in der Nähe des Einganges Platz. plädiert der Gatte wieder freundlich bei einem Cape mit Aplikation und Feder-

Vor dem nächsten Spiegel steht eine sehr kleine vornehme Dame mit besatz.

eleganter Frisur und jugendlichem Hütchen und dreht fabelhaft flink ihr dürres, „Du machst mich ganz nervös, Karl! Bitte sei lieber still mit Deinem

seidenraschelndes Figürchen hin und her — von hinten betrachtet giebt man Geschmack! Die Farbe ist so komisch!"

ihr 20, von vorne 50 Jahre. Sie ist nicht zufrieden mit dem grauen Kostüm, „Du wolltest doch aber Grün, Malchen", sagt er sanft.

das ihr allerdings schauderhaft steht, zumal es genau die Nüance ihres Haares „Ach! Wer sagt das? ich bin durchaus nicht verpicht darauf! überlass das

und Teints hat. Das kleine Mausegesichtchen mit den tausend feinen Fältchen Wählen nur mir!"

richtet sich gereizt zu der Begleiterin auf. „Ob det woll 'n Verhältnis is", flüstert es hinter mir, „er kriegt immer

„Nicht wahr, Fräulein? Es steht mir nicht?" uffkapittelt! Was 'n Jatte is, lässt sich det doch nich jefallen —"

„Das Jacket ist für gnä Frau ein wenig zu lang", wagt die Gesellschafterin „Du bist woll nich janz helle, Minna! Verhältnis? so 'ne Vogelscheuche?

bescheiden zu bemerken und klappt unterthänigst, versuchsweise den Rand der keene Schultern, keene Hüften, keen Busen un 'n Rücken wie 'n Flitzbogen!

Jacke eine Hand breit um. janz zu schweigen von det Käsejesichte und den fuchsigen Haarknoten! Nee

„Gnä Frau hat ausdrücklich die Jacke so lang bestellt", sagt der hinzu- nee! die sind reell verheiratet! Na so 'n Trottel! kooft ihr det scheenste un

tretende Ladeninhaber. beste — pass uff, se nimmt endlich det blaue for 150 Mark — un lässt sich

„Ganz egal! Ich sehe abscheulich aus! Es sitzt absolut nicht!" ejal anranzen!"

Eine der Verkäuferinnen wird nach dem „Atelier" geschickt, die Direktrice Der Hüne zieht sichtlich erleichtert seine Brieftasche und giebt die

zu holen. Die kommt, zieht die Jacke glatt und bemerkt mit Recht, dass der Adresse an.

Anzug tadellos sitze. „Lass nur, Karl — ich kann mich noch nicht entschliessen — ich möchte

„Aber ich habe ja gar keine Figur, keine Taille!" es mir noch überlegen, Fräulein. — Adieu!"

Ein kaum merklicher Zug von Spott huscht schattenhaft über das ab- Sie steuert nach der Thür und ganz peinlichste Verlegenheit in jedem Zug

gespannte Gesicht der Direktrice. seines gutmütigen Gesichtes, die Augen am Boden, folgt gehorsam der Herr Gemahl.


 
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