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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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11. Heft
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Künstler-Schnurren
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Unsere Bilder, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0275

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176

MODERNE KUNST.

zu Bett. Plötzlich fängt er an laut zu lachen und schlägt mit den Händen auf Johann meldete sich nicht. Da musste also der Künstler den ihm unliebsamen

seine Bettdecke und lacht immer stärker, bis er endlich überhaupt imstande ist, Weg zur Polizei endlich doch machen, um die Anzeige zu erstatten. Der ihm

vor Lachkrampf in die tiefe Nacht hineinzurufen: befreundete Bezirkshauptmann empfing ihn: „Und wie viel hattest Du in den

„I hab's, i hab's . . . der Bürgermeister . , . huhuhu . . der König . . . Sparkassabüchern eingetragen?" — „Etwa fünf Tausend Gulden."
huhuhu . . das ist's . . . huhuhu . . der Spass . . . huhuhu „Fehlt Dir sonst noch etwas?" — „Ja, Lose und Aktien im Werte von

Das war ein Jauchzen vor Freude. ungefähr zehntausend Gulden."

Am Morgen kam der pflichtgetreue Bürgermeister selbst angefahren, um „Hast Du eine genaue Liste?" — „Nein, gar keine."

nachzusehen, ob die dringende Arbeit auch schleunig genug und gut fortschreite. »Wie heisst der Dieb?" — „Johann."

Morgen ist schon Donnerstag und der König macht seine Besuche gewöhnlich „Familienname?" — „Weiss ich nicht."

in früher Stunde, da muss noch heute ein gut gepflasterter Fahrdamm und ein „Um des lieben Himmels willen Mensch, Du weisst nicht, wie Dein Diener

anständiges Trottoir entstehen. Der Bürgermeister war mit der Arbeit zufrieden und heisst, der nahezu zehn Jahre bei Dir war?! Hast Du denn keine Papiere, oder

sprach auch bei seinem Freund, unserem Künstler, vor. Er traf ihn schon im Atelier. sonst etwas von ihm?" — „Nein, Freunderl, gar nichts hab' i."

„Na, brauchst Dich nicht mehr zu ärgern; bekommst eine feine Gasse und „Schrecklich seid ihr Künstler. Sag mir also wenigstens, wie er aussah?"

Majestät wird sich auch freuen. Was zeigst Du denn eigentlich dem König? Dies „Ja weisst Du, er war so . . . so, . . . na weisst Du . . . so . . . wie ein

etwa? Du hör'mal, könntest auch ein wenig Ordnung machen in diesem Labyrinth." Diener . . . ein . . . ein . . . na, wie . . . eben ein . . . ja . . . nee, Freunderl

„Kommt schon, am Nachmittag." das kann ich nicht sagen . . . eigentlich war er so . . . ziemlich gross . . . von

„Apropos, für wie viel Uhr ist der Besuch anberaumt, denn ich werde wahr- Mittelstatur und hatte . . . Haar am Kopf . . ."
scheinlich erst im Laufe des Tages die Verständigung bekommen?" „Aber Mensch, Donath, wie soll ich den Kerl erwischen, wenn Du mir keinen

„Sieh, Freunderl, i hab' den Brief verlegt und kann ihn nicht wieder finden. Namen, keine Personenbeschreibung, kurz, nichts sagen kannst, als dass er Johann

Majestät kommt pünktlich 9 Uhr" . . . hiess. Siehst Du denn nicht ein, dass das geradezu ein Ding der Unmöglichkeit ist?"

„So — wahrscheinlich — immer so früh. Also gratuliere! Servus." Niedergeschlagen, beinahe traurig blickte der Künstler drein. Aber bald

„Adieu, Freunderl, dank' für Besuch." erhellte sich sein Auge und dann sagte er: „Weisst, Freunderl, morgen bring i

Der König kam natürlich bis heute noch nicht in Donaths Atelier. Wenn es Dir das Signalement."
aber regnet und Donath ins Kaffeehaus geht, da lacht er immer herzlich. Seine Am nächsten Tage erscheint Donath wieder beim Bezirkshauptmann und

Gasse sieht wirklich nett aus. Und heute lacht auch schon der Bürgermeister. begrüsst ihn: „So, Freunderl, hab' Dir das Signalement gebracht."

„Bravo! Lass hören."

Das Signalement. --=*—■ „Wart a bissei, 's is draussen" — erwidert er und macht die Thüre auf.

'as auf dem kolossal grossen Kerepeser Friedhofe zu Budapest an schönen Ein Dienstmann tritt herein und setzt vorsichtig ein grosses Etwas in Sacklein-

C^V^> Grabdenkmälern bewundert wird, was ergreifend und hochpoetisch wirkt, wand gehüllt auf den Tisch. Es war die aus dem Gedächtnis modellierte Por-

das ist bestimmt in dem Atelier des „Friedhofdichters" Julius Donath entstanden. trätbüste des verschwundenen Johann.

Künstler und Publikum, die Magnatenwelt und das Arbeitervolk, alles liebt und ehrt „Siehst, Freunderl, akurat a so, war er, der Lump, der elendige."

diesen echten Boheme von altem Schlage, der mit den oberflächlichen und nur zum Und der geniale Künstler hatte Recht; „akurat a so" war er, denn mit Hilfe

Scheine übertünchten modernen Aeusserlichkeiten nichts gemein hat, vielmehr der photographisch vervielfältigten Büste gelang es der Geheimpolizei des

friedlich für seine schöne Kunst lebt und sich darob nicht kümmert, ob er nun einen „treuen" Johann habhaft zu werden.

geschweiften oder geraden Cylinder zu tragen hat. Ja, Donath hat es sogar fertig Und jetzt kommt das Beste: Johann ist seit seiner Entlassung aus dem

gebracht, am Ende des XIX. Jahrhunderts immens viele Aufträge zu bekommen Gefängnis wieder bei Donath in Dienst. Als man dem Künstler Vorwürfe

und keinen Frack zu besitzen. Kurz, unser Held führte ein ideales Künstlerleben. machte, weshalb er den unredlichen Menschen im Hause dulde, antwortete er:
Unlängst wurde er jedoch in seinem ruhigen Schaffen durch einen unlieb- „Ja, wissen's, er is halt doch 'n recht braver Lump. Er weiss wo i Alles

samen Vorfall gestört. Sein langjähriger und „treuer" Diener Johann war plötz- hab, kann den Kakao gut kochen und schliesslich, mein Geld hab' i abgesperrt

lieh verschwunden und mit ihm leider auch jene Sparkassenbücher, die des in mei Schublad', und a Monument wird er ja doch nicht stibitzen, der Lump,

Künstlers alte Tage einst erleichtern sollten. Ein und zwei Tage vergingen und der elendige!" Gy.

Franke. Cafe" chantant in Sevilla. Die Kultur und die Zeit sind selbst männlicher als er, der Herr der Schöpfung, wenn er auch zunächst die —

die wirksamsten Nivellierungsinstrumente. Sie gehen über die Lande und ver- Beinkleider noch allein an hat.

wischen und schleifen ab und verteilen was hervorragt an Sitten und Gebräuchen, * % *

Trachten und Eigenheiten Wir, d. h. die Nationen Mittel-Europas, die an der UV Volkmer: Ein Liebeslied. Der Tau sinkt auf die Gräser; über dem

Spitze der Kultur marschieren, sind vertraut mit Volksstämmen anderer Länder, Walde schwebt es wie weisser Nebel, wie zarter wallender Hauch. Rosen blühen

die uns pflichtschuldigst ihren Besuch abstatten und ihre Sitten und Eigenarten und der Jasmin strömt seinen betäubenden Duft aus. Die Beiden sind zusammen

gegen bar vorführen. Und auf diesen Wanderungen wird viel poliert, viel ver- gegangen durch die lauschigen Wege unter mondbeglänztem, glitzerndem Laube,

loren und in der Heimat wird der Nachwuchs immer spärlicher. Daher ist es Was sie sich sagten? Das höchste Glück ist stumm — nur die Sprache der Frau

verdienstlich, Derartiges der Nachwelt zu sammeln und im Bilde festzuhalten, Musika kann, was sie bewegt, aussprechen: Ein Liebeslied! — und „tief im Herzen

mag es sich um Volkslieder, um Typen, um Trachten u. s. w. handeln. Am den seligen Traum, dass es ewig so bliebe, dass es ewig — ewig so bliebe!"

unberührtesten vegetieren diese charakteristischen Eigenheiten noch im Norden, * !t. *

in Russland, Schweden und im Süden, in Spanien. Unser Bild zeigt uns eine Wt. Corellis Bild: „Neapolitanische Sänger" giebt einen be-
der Volks-Singspielhallen in Sevilla. Abseits von den grossen, modernen lustigenden Einblick in eine echt italienische Volksscene. Die Sänger sind herein-
Strassen, in engen Gässchen liegen diese. Hier pulsiert. noch das Volksleben gekommen von der Strasse, um einer versammelten Familie ihre heiteren Lieder vor-
unverfälscht. Auf dem niedrigen Podium geben Sängerinnen, meistens Gitanos zutragen. Unschwer erkennt man in dem „Prinzipal" der Gesellschaft einen etwas
aus der Vorstadt Triana, ihre Gesänge und körperverrenkenden Tänze zum herabgestiegenen Operettentenor, der sein rundes Gesicht aus besseren Tagen
besten. Wie da die Augen leuchten und alle Stimmen einfallen, wenn so eins herübergerettet hat. Es bietet einen besonderen Genuss, zu beobachten, wie sich
der beliebtesten Lieder ertönt, wie alle Blicke an den graziösen Bewegungen die Wirkung des Liedes in den lebhaften Mienen der Zuhörer wiederspiegelt. —
der Tänzerin hängen. Da giebt es noch „Glutblicke", da verrät noch die Rose, F. Gehrke zeigt mit seinem humorvollen Bilde, wie bequem man in Venedig
dem oder der Bewunderten zugeworfen, die Wünsche des heissen Herzens. einkaufen kann. Der Händler hat die Ware bis an seinen Stand in bequemster
Für uns kühle Menschen ist so ein „Cafe chantant" ein befremdender Ort. Nicht Weise hergegondelt und die Donna da in der Bel-Etage bekommt ihre Melonen
allein das Malerische der Männer- und Frauentracht, das Fremdartige der Gesänge oder ihr Kraut wieder in bequemster Weise auf dem Luftwege in ihre Küche,
und Tänze beweist das — wir fühlen, dass hier eine andere Seele im Volke lebt * :i. *

und es dauert lange, bis unser Denken und Empfinden sich genügend akklima- Guillen: Angeschwemmt. Nächtliches Dunkel lag über dem Strande,

tisiert und wir dem Fremden die gebührende Würdigung zu Teil werden lassen. als die wilden Wogen, die gefrässigen Fluten des Meeres ihre Kraft an dem

t ... schwachen Schifflein erprobten und' dasselbe mit gewaltiger Wucht an dem

#Felsen zerschmetterten. Der frühe Morgen führt die Fischerleute aus der

ilder aus der Grossstadt. Zwei echte, mit ungeheurer Sicherheit Nachbarschaft herbei; sinnend lässt der alte Grauköpf sein Auge auf dem Toten

von E. Cucuel im Bilde festgehaltenen New-Yorker Strassentypen ziehen an ruhen. Dass auch ihm nicht längst schon dasselbe Schicksal ward, ist eine

uns vorüber. Gewöhnlich glaubt man, die Emanzipationsgelüste der Frauen be- Gnade des Himmels; schauernd wendet sich das Mädchen ab, der Anblick

zögen sich nur auf die geistigen Eigenschaften des Mannes; man täuscht sich. des Ertrunkenen erregt ihm Entsetzen. Stumm und starr liegt der fremde tote

„Wir Amerikanerinnen" sind weiter: wir tragen seine Kleidung mit derselben Schiffer da und nur die krampfhafte gezuckte Hand lässt den aussichtslosen Kampf

Gigerlhaftigkeit, wir ahmen seine Haltung, seinen Gang nach, wir fühlen uns gegen die Gewalt der Meeresbrandung, den er in der Nacht gekämpft hat, ahnen.

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