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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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4. Heft
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Friedmann, Alfred: Der Tod Lilian Rusalkines: eine Sportgeschichte
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Unsere Bilder, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0078

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6o MODERNE KUNST.

de Boiilogne. Unter dem Schatten des Mont-Valerien versammelt sich Paris. Die drängt sich ein roher, hungriger Mob, Kinder raufen, Hiebe regnet's, eine Wahr-

Wagen reihen sich in geschlossenen, undurchdringlichen Linien, die Galerieen der sagerin ergreift die Hand einer Lady und ihre Begleiterin stiehlt silbernes Besteck.

Tribünen, der Platz vor der Wage schillert in allen Farben; denn was der Luxus, Drehorgeln tönen, Verkäufer bieten schreiend, kreischend wertlose Ware aus—

die Eleganz, die Mode, die Liebe, die Verrücktheit ersonnen, es schmiegt sich denn der Derby ist ein Volksfest und nicht nur eine vornehme Schau wie

um die schlanken Körper; es zeigt sich glanzvoll im Sonnenlicht Galliens. Longchamps.

Nun jagen sie dahin. Der Grand Prix ist immer ein Kampf zwischen Dem ersten Rennen schenkt man geringe Aufmerksamkeit. Aber später

England und Frankreich. Sie kommen zurück. Ein falscher Start. Noch einer. laufen Grossbritanniens sieghafteste favourites gegen die edelsten Pferde der

Nun, hallo, als habe sie der Starter mit der roten Fahne über die Bahn gekehrt, Welt. Man wettet aus Patriotismus, oder weil man die besten Tips hat — aber

sausen sie fort. — das Glück ist eine leichte Dirne. Die Rosse erscheinen; die Jockeys in ihren

Lilian Rusalkine ist in fieberhafter Aufregung. Ihre schönen Wangen sind gestreiften Casaquins erregen Gelächter, Mitleid, Bewunderung,

gerötet, ihre blauen Augen flammen, das Glas in ihrer schmalen Hand zittert Ein Surren, wie wenn ein Windstoss durch den Blätterwald säuselt, geht

gegen die reine Bläue des Himmels. durch die aparte Welt der drei Tibünen. Der Prince of Wales ist auf dem

Wie ein herkulisches Atmen geht es durch die Menge, die der Brandung Platz erschienen. Es handelt sich heute um das Pferd eines berühmten Staats-
am Rande der See gleicht. Die Pulse stocken, die Aufregung, die Sonne mannes, dessen Parlamentsreden schon oft Kriege, mit denen das stolze Albion
treibt helle Tropfen von jeder Stirne. Und nun sausen sie um die Ecke. Der stets die ganze Welt bedräut, abgewendet haben. Nirgends sieht man so schöne
führt, nein, er wird überholt; jener stürzt — Lilian droht umzusinken — vor Damen, so tonangebende Toiletten, so verkommenes Elend gleichzeitig, wie auf
dem Ziele und jetzt, jetzt ringt sich ein Outsider los, gewinnt die Führer- dem Derby-Day.

schaft, den Preis, und ein Schrei entbricht der millionenfachen Menschenseele. Jetzt geht ein noch stärkeres Surren und Summen durch den Menschenwald.

Man tobt, heult, lacht, umarmt sich, wirft Hüte in die Luft. Ein Wagen löst Lilian Rusalkine ist auf dem Turf erschienen. Sie trägt eine rosa Robe, sie

sich los, andere folgen. Hunderttausende sind gewonnen, verloren. — Der steckt darin, wie das Stilet in der Scheide. Es ist unerhört. Die Ladies oben

Rückmarsch beginnt. flüstern Shocking. Und möchten sie sein. Denn sie ist schön, wie ein Märchen.

Bob, ein junger Jockey steuerte den Outsider zum Sieg! Wo aber ist Und die jungen Lords sinnen.....

Lilian Rusalkine, die Grausame? Nun aber entfesseln die Glockentöne ein wirres Durcheinander, ein Gesumme,

So fragt jetzt jeder Mund, der wieder zu Atem gekommen. Der sie einmal Gedröhne — alles stiebt davon, um sich zu ordnen. Es geht los. Die Jockeys

gesprochen — geküsst? nehmen Hürden, die Banquette irlandaise, hier und dort bleibt einer mit ge-

Verschwunden. Eine grosse Enttäuschung für viele. brochenem Genick, ein edles Ross mit zerschmetterten Vorderfüssen blutend im

Kaum war Bob vor den Richtern vorbeigeschossen, da bestieg sie auch Grase liegen. Oder es tönt ein Schuss und ein Vollblutpferd aus sieggewohnten

schon ihr Coupe. Ahnen verendet.....

Und nun liegt Bob, von ihr in Champagner gebadet, in wollene Decken Um den Totalisator wogt die zweifelhafte Menge der Wettenden: Man giebt

gehüllt, in Lilians Hotel, in ihrem Prachtzimmer, und dann serviert sie ihm wie „Gladiateur" 5 gut. Man nimmt „The Ranger" 20 zu 5. Sonntagsreiter galoppieren

eine Magd, nein, wie ein Maitre d'Hötel, das feinste, was Paris zu bieten vermag. über den Plan, bunte Uniformen mischen sich dazwischen. Die roten Jacken

Denn ihn, Bob, den englischen Jockey von 18 Jahren, liebt Lilian Rusalkine. der Horse-Guards — den langen Kerlen sitzt das Mützchen komisch-schief auf dem

Kr ist lang und hager, sein Gesicht glatt rasiert, wie aus Holz geschnitten. linken Ohr — stechen ab, wie die roten Hummern von den weissen Tischtüchern.

Er ist dümmer als sein Pferd, sicher! Aber um seinetwillen schiebt Lilian Nun kommt's. Nun gilt's. Das Derby wird gelaufen. Lilian Rusalkine,

Könige, Fürsten und Marquis bei Seite — allmächtig ist die Liebe. siegesgewiss, verlässt mit ihrem Stecher Bob nicht aus den Augen von dem

Ebenso wie sie Bob liebt, wird Lilian von ihrer Mary, der Zofe, Begleiterin, ersten Schritt aus dem Wagenraum bis zum Galoppsprung der Pace. Und dann

Gesellschafterin geliebt. Mary lässt für Lilian ihr Leben. Es spielt da eine erst recht nicht.

Lebensrettungsgeschichte mit. Die braune Mary würde für Lilian sterben. Aber „Mary", ruft sie hinter sich, „mein Fläsehchen!"

sie würde auch ihrer Herrin Leben verteidigen! - „Hier, Lilian!" und von Mädchenhand zu Mädchenhand geht etwas Krystallenes,

Man rennt den Derby. Blinkendes.

Von St. James Hotel bis hinunter nach Oxford Street zu, und hinauf nach Aber, was ist das? Ein ungeheurer Aufschrei ertönt. Bob, siegreich führend,

Kensington Gardens stehen Four-in-hands, die den Mieter eines Sitzes für eine allen voran, hat den letzten Bogen umkreist und steuert dem Ziele unentwegt

Guinea unter Getute und Peitschenknall durch die herrliche, hügelige Grafschaft zu. — Da ist er nicht mehr zu sehen. Fünfzehn Pferde, sechzig Hufe über ihn

Nordenglands befördern. Hunderte von Westend-Zügen (Undergrounds) speien hinweg. Man bringt Bob auf einer bluttriefenden Tragbahre. Er ist eine un-

ihre Menschenlast vor dem grünen Plan des Schlachtfeldes aus; Gefährte jeder kenntliche Masse.

Art bedeken die Landstrasse. Von der Höhe einer Droschke wirft ein grinsender Dort fängt man eben sein unverletztes Pferd ein. Lilian, die Grausame,

Nigger tausende von Reklamezetteln für Rider-Haggards neuesten Roman herab. schon bleicher wie der Tod, sinkt um.

Vor jedem „Jun" (Wirtshaus) wird Halt gemacht, und es schäumt Porter und Sie hat das Fläsehchen Marys geleert.

Stout und Pale-Ale durch die staubigen Kehlen. Mary lässt den Wagen suchen. Man hebt die leblose Lilian hinein.

Grün schimmert die einförmige Rennebene, blau und wolkenlos lacht über Fort geht's durch den Staub,

dem nebelverschrieenen, stolzen England die Sonne. Die Champagnerkörbe Auf halbem Wege kommt Lilian zu sich. „Mary, kein Cyankali?"

werden den Mail-Coaches entnommen, den lack-gleissenden Four-in-hands; die „Nein, Lilian dear, dazu lieb' ich Dich zu sehr. Es war nur ein wenig

Korke fliegen in die Luft, die Gläser klirren. Diener breiten helle Tischtücher; Chloroform!"

rote Hummern scheinen wie blutige Flecken darauf; das Roastbeef ist fast eben „Mich schmerzt der Kopf!" — „Alles wird sieh geben!" —

so rot und der ehester und Stilton gleisst wie gelbes und rotes Gold. Heran { Heute ist Lilian Rusalkine, die grausame, Fürstin Boschnikoff.

(Joscre |3 i Kl er. 4^

|ie Friedrich dem Grossen gewidmete, von J. U p hues modellierte Nische ,^urch R. Wagners Oper ist die Sage vom Tannhäuser so bekannt geworden,
c"^5 in der Siegesallee zu Berlin ist vor einiger Zeit enthüllt worden. Unsere dass heutigen Tages jeder Gebildete das vorzügliche Bild von E. Veith „Tann-
Abbildung veranschaulicht die Mittelfigur derselben, den grossen König selbst. häu ser i m Veh usberge " zu verstehen und seine Schönheit zu empfinden vermag.
Den „alten Fritz" jugendlich darzustellen war jedenfalls eine schwierige Auf- :i: .,. *

gäbe. Doch musste der Wunsch Kaiser Wilhelms respektiert werden, der seinen (0n vorzüglicher Weise veranschaulicht Julius Jacob in seinem Bilde

grossen Vorfahren in jugendlicher Gestaltung zu sehen wünschte. Bekanntlich „Stillgestanden zum Abkühlen" eine Scene aus dem Militärleben. Das

steht der „alte" Fritz, das wundervolle Meisterwerk Rauchs, Unter den Linden, Motiv zu dem Bilde hat der Künstler am Strande von Osternothhafen bei Swine-

und wenn auch fernerhin Friedrich der Grosse als „alter Fritz" im Gedächtnis münde gefunden, wo bekanntlich das erste Bataillon des zweiten preussischen Fuss-

des Volkes weiterleben wird, so ist es doch höchst erfreulich, dass Berlin nun Artillerie-Regiments in Garnison liegt. Die einzelnen Typen sind ungemein scharf

auch einen jungen „alten Fritz" aufweist, schon deshalb, weil die Jugend des beobachtet und mit köstlichstem Humor zur künstlerischen Gestaltung gebracht,

berühmtesten Preussenkönigs so interessant und für seine spätere Entwicklung * :i. *

so bedeutend ist. Es ist ein ungemein fesselndes Bild, das uns hier in der cgin ungemein stimmungsvolles Bild hat Enrique Serra mit seinem
jugendlichen Erscheinung des grossen Königs entgegentritt. Friedrich ist dar- „Römischen Park" geschaffen. Der stille Weiher, der in einer vergessenen
gestellt, wie wenn er etwa im Park von Rheinsberg promenierte. Die Linke Ecke des Parkes liegt, birgt die Zeichen einer versunkenen Welt. Auf Stein-
bedächtig auf dem Rücken, die Rechte mit dem straff gespannten Arm auf blocken ragen aus dem Wasser die Ueberreste einer alten Opferstätte hervor,
den Krückstock sich stützend, scheint er im Gehen einen Augenblick inne- deren bildnerischer Schmuck wie ein sagenumsponnenes Geheimnis zwischen
zuhalten, und seine grossen weitausschauenden Augen wenden sich ganz nach den Blumenranken hervorschaut. Die Schönheit der antiken Bildnerei ist in
rechts, so dass der vorn stehende Beschauer den feinen Kopf im Profil sieht. Trümmer gesunken, während die Herrlichkeit der Natur, die ewige Schönheit

* * des Waldes und des spiegelnden Wassers um so eindringlicher ins Auge dringt.

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