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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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Das Höhere technische Institut zu Cöthen, Anhalt...
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0008

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Das Studiengebäude des Höheren technischen Instituts zu Cöthen, Herzogtum Anhalt.

Das Höhere technische Institut zu Cöthen, Anhalt, ist ein technisches
akademisches Lehrinstitut, welches im Jahre 1891 ins Leben getreten ist.
Bei der Errichtung dieses Instituts lag die Absicht zu Grunde, eine akade-
mische Bildungsstätte zu schaffen, an der gewisse Reformideen zur Ein-
führung gebracht werden sollten, die wiederholt von namhaften Vertretern der
praktischen Industrie, wie auch von technischen Vereinen empfohlen worden sind.
Das Institut verzichtet ausdrücklich auf alle Rücksichten, welche die meisten
deutschen technischen Hochschulen auf den Umstand zu nehmen haben, dass
ihnen die Aufgabe mit zugewiesen ist, auch den künftigen technischen Staats-
beamten ihre wissenschaftliche technische Ausbildung zu vermitteln. Das
Cöthcner Institut hat sich ausschliesslich in den Dienst der Interessen der
deutschen Industrie gestellt, es sollte ausschliesslich eine Hochschule sein
für die wissenschaftliche Ausbildung zukünftiger Vertreter der praktischen
Industrie, und es ist in der That in Bezug auf den Ausbau seines Lehrgebäudes
stets eigene Wege gegangen. Mit Genugthuung darf das Institut auf die
Thatsache hinblicken, dass es in Fachkreisen immer mehr Beachtung und
Zustimmung gefunden hat, was schon daraus hervorgeht, dass die Frequenz
des Instituts im Laufe der Zeit auf 441 Studirende und Hörer gestiegen ist,
von denen eine grosse Zahl Söhne von Industriellen sind, deren Namen einen
Klang in der deutschen Technik besitzen. Die am Institut vertretenen Studien-
zweige sind: Maschinenbau, Elektrotechnik, technische Chemie und Hütten-
wesen. Bei der Organisation des Studiums der technischen Chemie am
Höheren technischen Institut ist bemerkenswerth, dass neben der allgemeinen
wissenschaftlichen Ausbildung, die für den technischen Chemiker erforderlich
ist, auf gewisse Spezialfächer Rücksicht genommen worden ist, die nicht
an allen technischen Schulen und Hochschulen im gleichen Umfang vertreten
sind. So werden neben den Vorträgen und Ucbungen auf dem Gebiete der
allgemeinen Chemie und Elektrochemie solche über Gastechnik regelmässig
abgehalten. Ferner erfahren die keramischen Fächer am Institut eine be-
sondere Pflege durch Vorträge und Hebungen über alle Zweige der Thon-
waarenindustric, Zicgeleitcchnik, Cement-, Kalk- und Glasindustrie, wie auch
über Ofenbau. Es hat sich herausgestellt, dass die betreffenden Spezial-
industrien zum Theil ein sehr lebhaftes Interesse daran genommen haben,
dass durch die gedachte Einrichtung der theoretisch-wissenschaftliche Ausbau
der betreffenden Fächer eine neue Pflegestätte gefunden hat, aber auch
daran, dass hier Studirenden die Möglichkeit gegeben ist, sich neben der all-
gemein technisch-wissenschaftlichen Ausbildung Spezialkenntnisse zu ver-
schaffen, welche für jeden im technischen Betrieb Stehenden höchst werth-

voll sind, die sich aber auch nicht ohne Weiteres auf empirischem Wege in
der Praxis erwerben lassen. Die Nachfrage nach wissenschaftlichen chemisch
ausgebildeten Spezialingenieuren, (welche auf den Gebieten der keramischen
Industrieen auch praktische Erfahrung haben müssen) ist in den letzten Jahren
so gross gewesen, dass die Institutsleitung, wenn sie bei Besetzung von
Stellen um Rath gefragt wurde, nicht immer in der Lage gewesen ist, ehe-
malige Studirende resp. Hörer des Instituts in Vorschlag zu bringen. Eine
weitere Besonderheit der Studien-Einrichtungen des Höheren technischen
Instituts besteht darin, dass für promovirte Chemiker, welche ausschliesslich
eine gelehrte Universitätsausbildung genossen haben, die Möglichkeit gegeben
ist, in einem zweisemestrigen Weiterstudium die spezifisch technischen
Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche für den Mann des Betriebes
erforderlich sind. Die Studienabtheilungen am Höheren technischen Institut,
welche die stärkste Frequenz zeigen, sind diejenigen für Maschinenbau und
Elektrotechnik. Die Dauer des Studiums am Höheren technischen Institut
ist auf drei Jahre festgesetzt. Nach 3 Semestern wird in der Regel das
Vorexamen abgelegt, während erst nach 6 Semestern Meldungen zum Diplom-
examen erfolgen dürfen. Von einer obligatorischen Verlängerung des
Studiums um weitere zwei Semester ist zur Zeit aus bestimmten Gründen
abgesehen. Zum Eintritt als Hörer des Institus ist der Nachweis des vollen-
deten 18. Lebensjahres und die Beibringung des Berechtigungsscheines für den
einjährig-freiwilligen Militärdienst erforderlich. Zur Aufnahme als Studirendcr
des Instituts ist ausserdem das Maturitätszeugniss einer neunklassigen ge-
lehrten Mittelschule nothwendig. Für Ausländer gelten besondere Aufnahme-
bedingungen. Studirende und Hörer geniessen am Institut gleiche Rechte;
aus dic'scm Grunde können auch die Hörer zu Vor- und Diplomprüfungen
zugelassen werden. Es ist hierbei die Ansicht bestimmend gewesen, dass
die gelehrten Mittelschulen Vorschulen sind für das gelehrte Universitäts-
studium, d. h. für das Studium der Theologie, der Jurisprudenz, der Philologie,
wohl auch der Medizin u. s. w., Vorschulen, welche aber nicht in gleicher
Weise eine unbedingt nöthige Vorstufe für das technische Studium dar-
stellen. Die Institutsleitung vertritt die Anschauung, dass es erst dann viel-
reicht einmal räthlich werden kann, darauf hinzudrängen, dass die auf tech-
nischen Hochschulen studirenden jungen Leute in grösserer Zahl, als bisher
geschieht, das Maturitätszeugniss an einer Mittelschule erwerben, wenn ein
neuer Typus von Schulen geschaffen sein wird, die als zvveckmässigere
Vorbildungsanstalten für künftige Studirende der technischen Hochschulen
angeschen werden können.
 
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