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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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24. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0570

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379

Wanderndes Wo%

Roman von Moritz von Reichenbach.

(Valeska Gräfin Bethusy-Huc.)

[Fortsetzung.] --«-»-- [Nachdruck verboten.]

inmal schrieb Hardy: „Die musst Du auch kennen lernen, Liska," sagte die Gräfin, „und die

„Ich bin im allgemeinen recht zufrieden mit der Thätigkeit, die mir hier an- Villa Stena, die wird Dir gefallen. Morgen sollen wir zum Thee hinüber, da

gewiesen ist, da sie mir eine Menge interessante Einblicke gewährt und mein musst Du uns begleiten "

praktisches Wissen, das doch recht gering ist, in enormer Weise fördert. Eins aber habe XVI

ich in diesen Wochen bemerkt was mich befremdet — der Verkehr mit mir fällt den ,T .

Am nächsten 1 age schritt Liska mit der Gräfin und Uitta unter dem von

Leuten von der Industrie schwerer, als es mir wird mich ihnen anzupassen. Unplatz-

..... ., '. „ , . ■ , , , , . : , Weinreben gebildeten Laubengange hin, der zum Garten der Villa Stena gehörte.

gemasse Höflichkeit, missverstandene Reserve und ein immer wieder durchleuchtendes 0 ° ° '

Misstrauen treten mir entgegen. Hasso sagte mir früher einmal in Betreff einer Korps- In Fülle hinSen die rotblauen und grüngoldigen Trauben noch von der Wölbung
Affäre: „Kinder, Ihr fasst das nicht allgemein menschlich auf, Ihr seid nur Specialisten." des Ganges herab, der mit einem, von reichblühenden gelben Rosen überrankten
Daran muss ich jetzt oft bei den Leuten von der Industrie denken, mit denen ich in Bogen schloss. Vor ihnen lag die Villa mit grünen Fensterläden und zierlichen
Berührung komme. Man sollte meinen, die grossen und weitgehenden Interessen, die Veranden, bis in das obere Stockwerk von blauer Klematis und vielfarbigen
sie zu vertreten haben, müssten auch ihren Gesichtskreis, vom rein menschlichen Stand- Rosen überblüht, während ein Springbrunnen inmitten eines weiten Marmor-
punkt genommen, weiten — aber das ist nur bei den wenigsten der Fall, sie sind eben bassins, zwischen Villa und Laubengang seine graziösen Wasserstrahlen im
auch „Specialisten".
Und dann wieder:

Sonnenlicht blitzen Hess. Auf dem Rasen zwischen den Teppichbeeten stand
eine schwarzgekleidete Frau mit leuchtend weissem Haupthaar und gab dem
„Heut hat mir einer rund heraus gesagt: für einen Grafen hätte ich eine merk- Gärtner, der zu ihren Füssen an den Beeten arbeitete, ihre Anweisungen. Da
würdig schnelle und scharfe Auffassung - ich fragte, ob er unsereins von vornherein fiej der Schatten der drei Besucherinnen vor ihr auf den Rasen — Madame

Stena wandte sich ihnen zu, kam ihnen, schnell schreitend und ihre noch schlanke
Figur sehr gerade haltend, entgegen und begrüsste sie in französischer Sprache.

für idiotisch hielte, da konnte er einen humoristischen Dreh für die Sache nicht finden
und wurde verlegen. Nachher hat er wahrscheinlich gesagt: verstanden hat er mich

zwar merkwürdiger Weise — aber ein ekliger Kerl ist der Graf doch! Ich komme

. , , . . , , , .. , . ,. , Auf der Veranda war ein Tisch zierlich gedeckt, Obst und Erfrischungen

immer mehr dahinter, dass das Vorurteil gegen unsereins bei diesen Leuten grosser ist, ° °

als bei uns gegen sie. Warum macht man sich nur gegenseitig die Welt so klein, standen bereit, und aus der Thür des Gartensaales blickte eine Schar blonder

indem man sich überall solche Vorurteils-Barrieren vorzieht? Aber so unbequem der- und brauner Kinderköpfchen mit hellen neugierigen Augen den Besucheririnen

gleichen Hindernisse sind und so oft ich wahrscheinlich darüber stolpern werde — einen entgegen.

gewissen Reiz hat es für mich, gerade diese Barrieren zu nehmen! Und höchst inter- „Es sind die Kinder meiner in Florenz und Strassburg verheirateten Töchter,"

essant ist es, die Welt einmal so von einem ganz anderen Standpunkte aus, anzusehen. sagte Madame Stena, „und die kleinsten Blondköpfe dort, das sind meine Ur-

Ich habe in diesen wenigen Wochen meiner Thätigkeit wahrhaftig mehr gelernt, als in enke] Meine Enkeltöchter machen mit ihren Männern eine Reise durch die

meiner ganzen sogenannten Studienzeit. Dadurch, dass ich dem Direktor Stena unmittel- Schweiz und haben mir die Kleinen einstweilen in Obhut gegeben. Die anderen

bar attachiert bin und in seiner Hand doch alie Fäden des grossen Betriebes zusammen- . , *. ... ,. •. T i i t-> • i /-> i

b sind selbständig mit ihren Lehrern und Erzieherinnen zur Grossmama gekommen,

laufen, ist mir die Möglichkeit zu Einblicken und Kenntnisnahmen gegeben, die mir in . , . . . „ . ,

„ „ ,, . , , v. ■ , , ,,. , die Kinder wissen, dass sie mir eine Freude machen, wenn sie mir die Lnkel
einer anderen Stellung verschlossen sein würden, und Herr Stena gehört, glückhcher-

, .. . , . , . . „ T .• . ,, c . ,. . schicken, und wo sollten die sich unter einander auch so leicht kennen lernen,

weise, zu den seltenen Ausnahmen im industriellen Lager, er ist nicht nur bpeciahst, '

sondern Vollmensch, und kommt mir in liebenswürdigster Weise entgegen. Seine wenn nicht bei der Grossmama?"

Mutter lebt übrigens in Alveno und wenn Ihr Gelegenheit habt, mit ihr bekannt zu „Aber wie verständigt sich denn die kleine Gesellschaft, da sie wahrschein-

werden, so wäre das gewiss nett für Euch, denn nach Herrn Stena zu urteilen, muss lieh alle verschiedene Sprachen sprechen?" fragte Jutta belustigt,

sie eine besondere Frau sein — Siebzigerin, freilich, aber wie er selbst sagt, noch „O, französisch können sie alle, das habe ich mir von Anfang an zur Be-

sehr rüstig —" dingung gemacht," erwiderte Madame Stena, „ich will doch meine Enkelchen

Hier unterbrach die Gräfin die Lektüre des Briefes, um von Hardys kurzem verstehen können, gleichviel wo sie zufällig geboren sind, und ich kann nur

Besuch zu erzählen und von ihrer Bekanntschaft mit Madame Stena, deren Be- meine Muttersprache, das Französische, und ein bischen schlechtes Italienisch."

Sitzung nicht allzu entfernt von der Pension lag. „Ja, so geht es," sagte die Gräfin, „man wird alt und hat seine Kinder über

F. Müller-Münster: Kleine Exercitien.
 
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