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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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j\n unsere Leser)

fcÄyie alljährlich veröffentlicht die „Moderne Kunst" auch im Laufe dieses Jahrganges mit Aufwendung bedeutender künstlerischer Mittel vornehm

ausgestattete Extrahefte. Unter ihnen hat die

\|feihnachts=f|f Ummer

stets einen hervorragenden Platz eingenommen und die allgemeine Gunst des grossen, über die ganze Erde verbreiteten Leserkreises der „Modernen Kunst"
errungen. Auch in diesem Jahre will die „Moderne Kunst" mit einer Weihnachts-Nummer dem allgemeinen Empfinden für das frohe Fest einen künst-
lerischen Ausdruck verleihen. Die diesjährige Weihnachts-Nummer wird mit einem ganz besonders schönen Umschlage versehen, in einem wirklich prächtigen
Festgewande erscheinen; sie enthält neben

Drei doppelseitigen farbigen Kunstblättern

verschiedene einseitige nach Gemälden hervorragender Meister. Zahlreiche, in den Text gedruckte Bilder, sowie vortrefflich ausgeführte schwarze
Kunstbeilagen schmücken dieses Extraheft, das dadurch zu einem prächtigen Weihnachtsgeschenk wird.
Der Preis der Weihnachts-Nummer beträgt

für Abonnenten M. 1,00 — für Nicht-Abonnenten M. 3,00

jedoch sei bemerkt, dass wir den Abonnenten den Vorzugspreis von M. 1,00 wegen der ausserordentlich hohen Herstellungskosten der Weihnachts-Nummer
nur für ein Exemplar bewilligen können. Den in das Abonnement neu eintretenden Lesern wird der Vorzugspreis von M. 1,00 gleichfalls gewährt. Die
Ausgabe erfolgt so zeitig, dass dieses Prachtheft bei baldiger Vorausbestellung unseren Abonnenten und Freunden als billiges Und beliebtes

Weihnachtsgeschenk zur Verfügun er steht.

Berlin W. 57. * Leipzig * Wien * Stuttgart. Redaktion und Verlag der „Modernen Kunst"

tDheatei--Cot?piepen.

[Forfeebung.] Von Robert Misob- [Nachdruck verboten.]

Dass man in "Wien und München fast zwei Jahre
lang mit den Schülern nur Sprach- und Lautierübungen
treibt, wie mit Abc-Schützen, davon lassen sich die
meisten Kunstjünger freilich nichts träumen, die am
liebsten gleich das „Gretchen" oder den „Romeo" spielen
möchten. Und doch sind solche jahrelang fortgesetzten
Uebungen durchaus nötig. Der Darsteller muss sein
Organ beherrschen wie ein geschickter Klavierspieler
sein Instrument, was ja auch nur durch langjähriges,
mühevolles Studium erreicht wird. Jeder Ton, den der
Darsteller braucht, sei es im Affekt oder im leisen, ver-
haltenen Flüstern der Liebe, muss ihm mühelos und
im Moment zur Verfügung stehen; nie darf er unver-
ständlich werden, nie sich überschreien.

Um das zu erreichen, muss man mit dem Pfropfen
im Mund sprechen; man muss wie ein Sänger die Töne
an- und wieder abschwellen lassen, muss ein Wort oder
einen Satz durch alle Höhen- und Tiefenlagen hindurch
rezitieren und alle diese mühseligen und nicht gerade
amüsanten Uebungen mit einander kombinieren. Dass
der Sänger Stimmgymnastik treiben, Skalen singen und
Atemübungen anstellen muss, das weiss jedes Kind.
Dass es der Mime, der wirklich etwas erreichen will,
ähnlich zu machen hat, davon hat das grosse Publikum
keine Ahnung. Wie oft hört man nicht sagen:

„Mein Gott, sprechen kann doch ein jeder — das
kann doch nicht so schwer sein — und wenn man erst
die Routine hat . . ."

Als glänzendes Beispiel der durch Stimmtechnik zu
erreichenden Erfolge darf Ernst Possart gelten, der be-
rühmte Charakterspieler, jetzt Münchener Hoftheater-
intendant von Possart. Seinem ursprünglich nur hohen
und dünnen Organe hat er durch kolossalen Fleiss nach
und nach Tiefe und Stärke abgewonnen.

Die meisten Eleven und Lehrer halten sich jedoch
mit so „altmodischem" Krimskrams nicht lange auf. Es
werden schnell eine Anzahl Rollen eingepaukt — je
nach der Zeit und den Goldfüchsen, die der Schüler
aufwenden will — und dann los! Ein neuer Garrick ist
fertig und wird aufs Publikum losgelassen.

Aber freilich, mit diesem ersten Schritt in die er-
sehnte, glänzende Laufbahn beginnt auch schon die Ent-
täuschung. Was hat der Lehrer, besonders in grösseren
Städten, nicht alles versprochen! Wenn man ihm glaubt,
steht er mit den bedeutendsten Intendanten und Direk-
toren Deutschlands und der umliegenden Länder in
Verbindung. Später heisst es dann freilich: „Momentan
alles überfüllt an den grossen Bühnen. . . . Für Sie ist
es auch besser, erst Routine zu bekommen .. . Ich vergesse

Sie nicht und behalte Sie im Auge.....in ein .bis

zwei Jahren bringe ich Sie an ein erstes Theater" ....

Und so wandert der begeisterte Kunstjünger denn
in die Provinz. Freilich, es giebt auch Ausnahmen —
da, wo sich Schönheit, Jugend und hervorragendste
Begabung mit dem Glücke verbinden, in einer schönen
Rolle von maassgebender Seite gesehen zu werden. So
wurde unser Berliner Heldenliebhäber und Hofschau-
spieler Adalbert Matkowski seiner Zeit direkt von der
bekannten Berliner Liebhaberbühne „Urania" weg für
ein erstes Fach ans Dresdener Iloftheater engagiert.
August Förster nahm Josephine Wessely — beide
schlummern sie jetzt längst in kühler Erde — vom Wiener

Konservatorium als „Sentimentale" an sein Leipziger
Stadttheater mit. Auch die Carriere der Rosa Poppe vom
Berliner Schauspielhaus war leicht und schnell. Andere
Grössen haben ziemlich lange gebraucht, um die Höhen
der Kunst zu ersteigen; und oft war es nur ein blinder
Zufall, der ihnen dazu verhall. Ja, der Zufall ist der
Gott des Mimen. In keiner anderen Kunst hängt so viel
von Glück und Zufall ab. Ein starkes dichterisches oder
bildnerisches Talent ist auf die Dauer nicht zu unter-
drücken; seine Werke sind da, führen ihr Eigenleben
und werden eines Tages, früher oder später — viel-
leicht erst, wenn der Geschmack sich gewandelt, oft
erst nach dem Tode des Künstlers — für ihren Schöpfer
zeugen. Der Mime kann so lange nicht warten; ihm
eilt es, denn sein Kunstwerk beruht auf seiner eigenen
Persönlichkeit und deren Aeusserungen — und die
Jugend ist so kurz. Für den Liebhaber und die meisten
weiblichen Fächer sind es nur wenige Jahre, in denen
sie auf der Höhe stehen. Sind die verstrichen, ohne
dass sie „entdeckt" worden sind, so ist es für immer
vorbei. Daher die Ungeduld, das Applausbedürfnis,
die Eitelkeit der Mimen. Und dann noch eins, ein
Wichtiges! Können sie sich nicht an eine grosse Bühne
retten, so werden sie mit der Zeit immer schlechter statt
besser. Sie „verschmieren" sich, wie der Fachausdruck
lautet. Selbst starke Begabungen verrosten und ver-
morschen inmitten einer Umgebung talentloser Mimen.
Das lässt sich auch an der Umkehrung beweisen. Es
ist ganz erstaunlich, wie schnell ein Provinzschauspieler
von einiger Begabung inmitten einer hervorragenden
Kollegenschaft Fortschritte macht, wie er reift, alle pro-
vinziellen Unmanieren und die gespreizte Unnatur ab-
legt! Und aus dem massig Gefallenden wird mählich
der Beliebte, zuletzt der gefeierte Liebling. In der Pro-
vinz sind noch manche Talente — mehr, als man wohl
glaubt. Aber sie haben nicht das Glück, zur rechten
Zeit entdeckt zu werden. Und wie jener immer besser
und beliebter wird, werden sie immer schlechter, immer
provinzieller, immer unmöglicher für die grossen Theater.
Von den Genies spreche ich nicht; sie tragen ihre eigenen
Gesetze in sich. Aber es brauchte ziemlich lange und
erst des berühmten Scharfblicks Heinrich Laubes, der
die Begabung in jeder Vermummung erkannte, um in
der „talentlosen" kleinen Lustspielliebhaberin Charlotte
Wolter, die geniale Tragödin zu entdecken.

Das falsche Fach spielt überhaupt eine grosse Rolle
bei der Bühnencarriere. Bekanntlich will der Mensch,
besonders aber der Künstler stets das, was er nicht
kann. Und so sehen wir denn alle Tage, dass komische
Talente tragische und tragische Talente komische Rollen
spielen, bis ein-scharfsinniger Bühnenleiter oder ein
Zufall den richtigen Weg weist — wenn es überhaupt
dazu kommt. Und da wären v/ir wieder beim Zufall.
Es ist ein fast typisch gewordener Vorgang, dass man
plötzlich in irgend einer kleinen Schauspielerin das
grosse Talent entdeckt, wenn sie rasch für ein erkranktes
erstes Fach einspringen muss. Adele Sandrock, die
Nachfolgerin der WTolter am Burgtheater, trieb sich
jahrelang an kleinen Bühnen umher. Eines Tages kommt
sie zufällig nach Wien, als man grade den (damals neuen)
„Fall Clemenceäu" von Dumas fils an einer Wiener
Privatbühne einstudiert. Kurz vor der Premiere wird
die Vertreterin der' weiblichen Hauptrolle krank. Man
findet keine andere, im Moment disponible Darstellerin.
Da meldet sich die Sandrock, die die Rolle schon
irgendwo gemimt hatte. Man lässt sie in der Not

probieren, sie gefällt dem Direktor, sie spielt — und
wacht am andern Morgen als Bühnengrösse auf.

Es liessen sich noch andere Beispiele anführen;
aber es sind leider nur Ausnahmefälle. Gewöhnlich
kommt es anders; und mit Verzweiflung im Herzen
sieht der Provinzmime Jugend, Schönheit und Talent
langsam vergehen und zerbröckeln, ohne dass das
„Wunderbare", auf das er hofft und harrt, in seinem
mühevollen, armseligen Leben erscheint. Wohl ihm,
wenn er sich noch rechtzeitig — die Frauen durch
Heirat, die Männer durch Ergreifen eines anderen
Berufes — daraus erretten kann!

Dies strahlende Bühnenleben sieht in Wirklichkeit,
in künstlerischer wie in finanzieller Beziehung, so
ganz anders aus, dass der aus besseren Kreisen mit
seinen Idealen hineintretende Anfänger zuerst verblüfft,
dann entsetzt, zuletzt angeekelt ist. Welche Unbildung,
Ideallosigkeit und Stumpfheit findet er nicht bei den
meisten seiner sogenannten „Kollegen"! Wie ganz anders
hat sich der ehemalige Student oder Gymnasiast den
Kunstbetrieb selbst gedacht! Nirgends tritt das rein
Materielle, das Geschäftliche mehr in den Vordergrund
als bei den Provinzbühnen, die oft schwer um ihre
Existenz ringen müssen. Man bemüht sich auch durch-
aus nicht, dem „Geschäft" ein Kunstmäntelchen um-
zuhängen. Der Direktor will und muss Geld verdienen,
denn er soll seine Gagen und Lieferanten, seine Tantiemen
und Kostüme bezahlen. Da das Publikum an den kleinen
Theatern nur ein sehr engbegrenztes ist, so verdrängt
ein Stück das andere, Probe löst Probe ab, trotz-
dem man sich bei den Klassikern und den älteren
Stücken meist mit einer oder zweien begnügt. Vielleicht
habe ich Gelegenheit, mich über die Misere unseres
deutschen Saisonbühnen-Betriebes ein andermal ein-
gehender zu äussern. Es genüge hier, das Faktum zu
konstatieren, dass dabei von einer wirklich künstlerischen
Ausarbeitung keineRede sein kann. In diesem handwerks-
mässigen Betriebe muss das noch unreife, suchende
Talent auf ein tieferes Niveau sinken.

Und wer gar auf ein verhältnismässig bequemes
Leben, umrahmt von einer Kette glänzender Triumphe,
geträumt hat, der wird die allergrösste Enttäuschung
erleben. Arbeit und Anstrengung sind sehr gross
und erschöpfend. Ein Provinzmime ist ein geistiger
Tagelöhner. Früh um neun oder halb neun beginnt die
Probe — Nachtproben benennt sie der Witz des gern
lange schlafenden, da spät zu Bett gehenden Schau-
spielers — und dauert bis ein, zwei Uhr, oft noch
länger; denn was man an der Zahl der Proben sparen
muss, sucht man an ihrer Ausdehnung herauszuschlagen.

Nach der leiblichen Stärkung und Siesta muss sich
der Darsteller mit der Rolle beschäftigen, die er am
Abend spielt — und er spielt jeden Abend—, muss sich
um seine Garderobe kümmern, den Theaterkorb packen
und ihm bald folgen, denn eine Stunde vor Anfang
muss er bereits mit dem Schminken und Kostümieren
beginnen. Das Spielen einer grossen Rolle ist eine
leibliche und seelische Anstrengung (besonders für den
Anfänger, der es ernst meint), von der ein Laie keinen
rechten Begriff hat. Zwischen dem Auftreten, in den
Scenen, in denen er frei ist, memoriert der Provinzmime
ängstlich die halbgelernte Rolle. Wie wäre es auch
anders möglich? W^annhater, der jeden zweiten Abend
in einem anderen Stück auftritt, die Zeit dazu übrig?
Nur auf den Proben und in stiller Nachtstunde, wenn
er erschöpft nach Hause gekommen ist. [Schluss t'o.lgt.]
 
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