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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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19. Heft
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Kraus, Annie: Fan: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0468

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306

an.

Novelle von Sandor Barinkay.

[Machdruck verboten.]

,chon immer hatte sie ihn Onkel genannt, selbst in den ersten Die Tage waren schön, echte Sommertage voll Sonnenschein, Himmeis-
Kinderjahren. Als damals der schmucke Gymnasiast Robert bis- bläue und Rosenduft. Wie ein Schmetterling gaukelte Fan durch die Natur;
vD weilen dem blonden, niedlichen Baby des Nachbarn in angehender neben ihr, mit einer gewissen künstlichen Besonnenheit, Robert. Seit sie
Galanterie Leckereien, Bilder oder Blumen verehrte, waren ihre Sprech- ihn Onkel nannte, hatte er eine Art Würde angenommen, die ihn ver-
werkzeuge nur mangelhaft entwickelt. Da wurde er stets als „Ongi Obe" nünftiger erscheinen Hess, als er war. Sein Blut floss um vieles wilder
begrüsst und dieser empfing den Dank in Form eines Küsschens von den und stürmischer vom Herzen aus und wieder zurück, als bei Fan; er
blumenblattzarten Lippen. wusste es nur zu bändigen und besass eine angeborene Scheu, die es nie

Von „Ongi Obe" nahm sie auch mit dem hinreissenden Glückslächeln zuliess, dass er sich so zeigte, wie ihm war.
der Kinder Abschied, als er der Studien halber fortging und bat ihn Zufrieden war er in der That mit dem Arrangement des kleinen,
eindringlichst, wenn er wiederkomme, recht, recht viel „Obe" mitzubringen. blonden Fräuleins. Dem Onkel gegenüber waren der Stolz, der so sicht-
Sie meinte Trauben, wie sie ihr Robert oft hinüberbrachte. Sein Vater lieh in ihren Augen glühte, sowie das Bewusstsein ihrer Reize zurück-
zog sie am Spalier und sie gediehen in zahlreichen Exemplaren mit gewichen. In der Harmonie reiner Genüsse, in Frieden und Freuden ging
winzigen, zuckersüssen Beeren. die Zeit hin. Es kam der Tag immer näher, an dem Robert scheiden sollte.

Jahrelang sah er sie nicht wieder. Entweder er kam in den Ferien Und dieser Tag warf bereits Schatten voraus, welche die bisher un-

nicht nach Hause oder wenn doch, war sie abwesend. Als er dann mit getrübte Lust der beiden Menschenkinder mehr und mehr verschleierten,

dem Doktordiplom in der Tasche der blonden Fan wieder gegenüber- Der junge Mann erschien seltener im Hause Lamothes; er hatte

trat, erkannte er in der schlanken, biegsamen, chiken Mädchengestalt allerlei Vorbereitungen zu treffen. War er doch anwesend, blieb er ernst

das harmlose, tolpatschige Baby kaum wieder. und still. Und Fan hörte auf, ihn zu necken und auszulachen.

Doch ihre Vorliebe für „Obe" war noch vorhanden. Mit derselben Zum letzten Mal machten sie einen Spaziergang. Schweigend schritten

kindlichen Freude nahm sie das Körbchen mit den Früchten in Empfang, sie nebeneinander.

das ihr Robert, getreu seinem Versprechen, überreichte. Und mit der- Sie blickten stumm zum Himmel empor, über dessen Bläue sich die

selben Genäschigkeit und Ungeniertheit begann sie, sofort unter den herbstlichen Dünste spannten, zur Erde nieder, welche mit buntem Laub

schwarzblauen Beeren aufzuräumen. bestreut war, das im Morgenwinde abgefallen und sich nun in der Nach-

Da war er einige Tage lang für sie der „Herr Doktor". Dann bat mittagsglut zu hässlichen, braunen, raschelnden Röllchen formte. -

er sie, sie möge ihn doch einfach und vertraut Robert nennen, so wie er „O, wie schön war der Sommer!" sagte Fan mit Empfindung, die

sie ohne allen Zwang Fan rief. Arme weit ausstreckend. „Und wie glücklich war ich! Ohne Missklang,

„Nein!" antwortete sie lachend. „Das wäre mir zu gefährlich!" ohne Unterbrechung glücklich! Wie schade, dass die Zeit schon vorüber

„Warum?" fragte er erstaunt. . ist! —■ — Aber es wird wieder der Sommer kommen, der leuchtende,

„Ich — ich — könnte mich verlieben in Sie!" glühende Sommer voll Herrlichkeit und Freude! Onkelchen, ist das

„Aber, Fan! Was fällt Ihnen da Thörichtes ein! Ich sage doch auch Leben nicht über alles schön und süss!?" Sie sah Robert an, er sie.

nie Fräulein Lamothe oder gnädiges Fräulein, sondern einfach und Aber was ihr da aus seinen Augen entgegenflammte, erschreckte sie.

nachbarlich Ihren....." „Fan, jeden Tropfen meines Herzblutes gäb' ich für Sie! Sagen Sie

„Ah, Sie! Sie dürfen sich meinetwegen wohl verlieben in mich!" mir, dass Sie mein werden wollen, und der nächste Sommer soll sich

unterbrach sie ihn übermütig. „Ihnen schadet das nicht! Bei Männern noch tausendmal prächtiger und berauschender gestalten für Sie und mich!

geht das erstens nicht so tief und zweitens ist es bald wieder vorbei!" Bin ich Ihnen nichts, Fan? Können Sie kalt bleiben, wenn ich Ihnen

Robert zog die sommerliche, weisse Schildmütze und verbeugte sich. gestehe, dass ich Sie maasslos lieb habe? Für Sie sterben würde, wenn

„Sehr verbunden, meine Gnädige! Sollten Sie selbst diese Erfahrungen es Ihr Wohl erforderte, und leben, leben für Sie ganz allein!"

bereits gesammelt haben?" Fan wurde sehr bleich. „Aber Onkelchen!" stotterte sie entsetzt.

„Ach, man liest davon ja zur Genüge!" sprach sie, die Schultern zuckend, Er fasste nach ihren Händen. „Liebst Du mich, Fan?" — „Ich weiss

die durch den Spitzenstoff des Kleides wie rosige Blüten schimmerten. es nicht!" antwortete sie verwirrt.

„Und fänden Sie es so schrecklich, Fan, wenn Sie sich in mich ver- „Willst Du mein Weib werden?" — „Nein, nein! Um Gotteswillen nein!"

lieben würden? Denken Sie, ich wäre Ihrer Liebe nicht würdig?" „Warum nicht?" — „Ich mag keinen Arzt zum Manne! Ich hasse

„Würdig oder nicht! Es wäre mir überaus schrecklich! Ich will über- den Karbolgeruch!"

haupt mit der Liebe gar nichts zu thun haben! Sie verwirrt den Kopf „Das ist doch kein Grund, liebes Kind!"

und ich will ihn frei! Denn ich möchte eine gute Partie machen, eine „Sie gehen in ein Landstädtchen; dort will ich nicht hin! Ich bin

glänzende Heirat!" keine Frau für Sie, denn ich kann keine Armen und Kranken besuchen!

„Ei! Dürsten Sie so sehr nach des Lebens flimmerndem Trug?" Ihre Kleider müsst' ich flicken und Ihr Essen kochen — o, nein, nein!

„Trug!" murrte sie. „Trug! Das ist Anschauung! — Doch was meinen Ich will das Leben gemessen! Will eine gute Partie machen, eine

Sie: ich werde Sie wieder Onkel nennen?! Kurzweg Onkel! Wie früher! glänzende Partie! Ich will glücklich werden, recht, recht glücklich!"

Da ist keine Gefahr dabei und es klingt ganz gemütlich! Nicht wahr?" Zu Anfang klangen ihre Worte angstvoll, schier weinerlich. Am

„Onkel?!" stotterte Robert, ziemlich perplex. „Aber ich zähle ja Schlüsse wurde ihre Stimme fest und sicher, und das kalte Licht des

kaum neun Jahre mehr als Sie?" Stolzes glomm mächtig in ihren Augen auf. — „Aber ich liebe Sie, Fan!"

„Neun Jahre! Ein halbes Mcnschenalter! Denken Sie, wie viele „Daran sind Sie selbst schuld! Warum waren Sie nicht vorsichtiger!

erreichen nicht das achtzehnte Jahr! Freut es Sie denn nicht, wenn ich Doch Sie sind ein Mann und wie ich Ihnen schon sagte, da geht es

zu Ihnen so voll Vertrauen und Gehorsam aufblicke? O, Onkelchen, Sie nicht tief und ist bald vorüber! Bei mir wäre es schlimmer gewesen!"

werden sicher ganz zufrieden sein mit dem Arrangement!" Er sprach kein Wort mehr. Er war niedergeschmettert von der Er-

Dabei tätschelte sie ihm lachend die. Wange und schaute ihn kokett kenntnis, dass so viel kalte Berechnung, Grausamkeit und Gier nach des

an. Robert sah mit grossen Augen auf sie, lächelte schier blöde, nickte Lebens Glanz in einer Mädchenseele ruhen konnten, in der Seele dieses

stumm und von da ab war er der Onkel der zierlichen Fan. zarten, holden Wesens, das er mit treuer Empfindung liebte.

Wochenlang blieben sie nebeneinander. Sie durchstreiften Wälder Kühl und höflich nahmen sie Abschied von einander,

und Felder, fuhren in Kahn und Wagen, lasen, spielten, sangen zusammen. * * *
 
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