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MODERNE KUNST. 129
H. Herkomcr. Silbcr-Prunkschild.
runßscfiifä von wrof. ISußerf ©erßomer.
[Nacndruck verboten.]
"%jlL\ n rastl°ser Bethätigung seiner universalen Fähigkeiten hat Professor Hubert die Träger der Krone in barmherziger Liebe Gefallene und Gebrechliche empor.
rvJJB Herkomer neuerdings in dem Silber-Prunkschild ein Meisterwerk vollendet, Der Prunkschild ist trotz seiner scheinbar widerspruchsvollen Scenen dennoch
0^ das Seinesgleichen im Bereich künstlerischen Schaffens nicht findet. Nur als Bekenntnis einer einheitlichen Lebensphilosophie des Künstlers aufzufassen.
1 die seltene Vereinigung eines eminenten malerischen Könnens mit dem Er will unter dem leitenden Gedanken der Vergänglichkeit des Daseins den
höchsten Grad kunstgewerblichen Geschicks vermochte ein Werk auszusinnen unschätzbaren Wert der flüchtigen Stunde betonen. „Hütet euch vor Blindheit und
und durchzuführen, das heut das Staunen von Kennern und Laien hervorruft. Thorheit, seid hilfreich und gut", scheint er uns zuzurufen. Herkomer, der Real-
Eine wochenlange Defilierkur des Publikums in Schuhes Kunstsalon bewies die pessiminist, ist von der Nichtigkeit alles Irdischen durchdrungen, aber Herkomer,
Anziehungskraft, die dieses Unikum ausübte. Man stand bei dieser Neuschöpfung der Idealist, glaubt an den Triumph des Göttlichen in der Menschenbrust,
einer so ungewohnten Leistung gegenüber, dass ein Urteil vorerst schwierig Ebenso überraschend wie die völlig neue Form solcher künstlerischen Ver-
schien. Je augenfälliger sich jedoch die ungewöhnlichen Schönheiten des Werkes kündigung ist die Idee der Verwendung der Emaillemalerei. Wir besitzen in
schon nach oberflächlichem Studium offenbarten, um so schneller war die all- Dürers und Holbeins Holzschnittfolgen, in Klingers tiefsinnigen Radirungs-
gemeine Bewunderung gesichert. Cyklen bedeutsame Künstlergedanken, die in einzelnen Bruchstücken mit-
Die mächtige, sieben Fuss lange Silberplakette stellt in dem wallenden Fluss geteilt wurden und erst vereint eine Ganzheit ergeben. Niemals sind
ihrer dahingleitenden und sich kräuselnden Linien gleichsam das Wogenspiel jedoch bisher in so eigenartiger und übersichtlicher Zusammenfassung
des Oceans dar, das grosse Meer der Zeit, in dem die einzelne Stunde ihre Bekenntnisse aus dem Innenleben eines grossen Meisters geboten worden. Die
pathetischen Momentbilder des Erhabenen und Niedrigen vorübergleiten lässt. leidenschaftliche Liebe des Koloristen zu intensiver Farbe, der Wunsch, ein
„Göttliches Gesetz" schreibt der Künstler als Motto über sein Gedankenpanorama. überdauerndes Lebenswerk zu schaffen, hat Herkomer eine Aussprache in dem
Er zeigt Mann und Weib ihm in Fesseln unterworfen, zeigt die flüchtige Stunde soliden Material der Emaillefarben wählen lassen. Erst seit zwei Jahren hatte
von ihm gelenkt, denn über allem Wechsel herrscht umwandelbar die Einheit. der Kunstler das Studium dieser Technik aufgenommen. Er hat dank seines
Oben am Schild deutet die Sanduhr auf die Vergänglichkeit, unten läutet der Temperaments, seiner Beobachtungsschärfe und Unermüdlichkeit, dank der An-
Glöckner das alte Jahr aus; aber neben ihm das Kindlein weist auf die Wieder- Wendung aller Vorteile der modernen Chemie in dieser kurzen Zeit bereits die
geburt alles Lebens. Schon prangt auch die gegenwärtige Stunde in sieghafter höchsten Leistungen der Emaillierkunst zu überflügeln vermocht. Ihm ist eine
Jungfrauenschönheit auf dem bezaubernden Mittelbilde. Sie allein hat der Glutkraft der Farben, eine Wahrheit des Fleisches gelungen, die wir selbst in
Künstler im dem Silbergrau des Schildes in goldene Schwingen eingerahmt. den Meisterschöpfungen der Limoger Schule vergebens suchen. Jedes einzelne
Köstlich schimmert der Fruchtbaum hinter ihr, neben ihr rieselt der Quell des Emaillebild des Prunkschildes verrät die zeichnerische Feinheit und den hoch-
Lebens, aber auch sie triumphiert nur, bis die unerbittliche Hand mit der Sense entwickelten Farbensinn des grossen Malers.. Aus dem Enthusiasmus für ein
neben ihr der kurzen Herrscherwonne ein jähes Ende bereitet. blühendes Kolorit setzt er zuweilen Beleuchtungseffekte auf einzelne Teile seines
In zehn anderen Emaillebildern werden um diese Mitteltafel bedeutungsvolle Werkes, die ihrem innigen Gefühlsinhalt zu widersprechen scheinen. So hüllt
Schicksalsaugenblicke dargestellt. Linksund rechts wechseln dramatische Scenen er den Sensenmann, der kommt um der Mutter das Kind zu rauben, in
vom Sieg des Heiligen und Brutalen, von der Tragik der blinden Verzweiflung purpurnes Gewand; er lässt den Himmel, zu dem der gläubige Hirt in Andacht
und des nutzlosen Strebens, von grausamem Hingeopfertwerden und rührender betet, wie in Feuerlohe erglühen.
Menschenliebe. So tief oft schwermütige Töne aus des Künstlers Seele zu Man hat Herkomer häufig besonders unter dem Gesichtspunkt des Praktikers
dringen scheinen, weiss er uns andrerseits mit versöhnenden Perspektiven zu zu charakterisieren versucht, und thatsächlich ist gerade diese Eigenschaft in hervor-
trösten und unser Gefühl durch edle Züge zu erheben. ragendem Maasse ein typischer Zug seiner Natur. Er selbst ist stolz auf den Stamm-
Wir sehen links auf dem äussersten Bild die rohe Kraft, im Ingrimm über bäum einer grundtüchtigen Handwerkerfamilie, seinen Weltruhm dankt er jedoch
Klassenvorrechte, den Herrscher bezwingen. Auf zwei anderen Tafeln richten vor allem einem seltenen künstlerischen Ingenium. Was Herkomer als Kunst-
XIV. 8. IV
MODERNE KUNST. 129
H. Herkomcr. Silbcr-Prunkschild.
runßscfiifä von wrof. ISußerf ©erßomer.
[Nacndruck verboten.]
"%jlL\ n rastl°ser Bethätigung seiner universalen Fähigkeiten hat Professor Hubert die Träger der Krone in barmherziger Liebe Gefallene und Gebrechliche empor.
rvJJB Herkomer neuerdings in dem Silber-Prunkschild ein Meisterwerk vollendet, Der Prunkschild ist trotz seiner scheinbar widerspruchsvollen Scenen dennoch
0^ das Seinesgleichen im Bereich künstlerischen Schaffens nicht findet. Nur als Bekenntnis einer einheitlichen Lebensphilosophie des Künstlers aufzufassen.
1 die seltene Vereinigung eines eminenten malerischen Könnens mit dem Er will unter dem leitenden Gedanken der Vergänglichkeit des Daseins den
höchsten Grad kunstgewerblichen Geschicks vermochte ein Werk auszusinnen unschätzbaren Wert der flüchtigen Stunde betonen. „Hütet euch vor Blindheit und
und durchzuführen, das heut das Staunen von Kennern und Laien hervorruft. Thorheit, seid hilfreich und gut", scheint er uns zuzurufen. Herkomer, der Real-
Eine wochenlange Defilierkur des Publikums in Schuhes Kunstsalon bewies die pessiminist, ist von der Nichtigkeit alles Irdischen durchdrungen, aber Herkomer,
Anziehungskraft, die dieses Unikum ausübte. Man stand bei dieser Neuschöpfung der Idealist, glaubt an den Triumph des Göttlichen in der Menschenbrust,
einer so ungewohnten Leistung gegenüber, dass ein Urteil vorerst schwierig Ebenso überraschend wie die völlig neue Form solcher künstlerischen Ver-
schien. Je augenfälliger sich jedoch die ungewöhnlichen Schönheiten des Werkes kündigung ist die Idee der Verwendung der Emaillemalerei. Wir besitzen in
schon nach oberflächlichem Studium offenbarten, um so schneller war die all- Dürers und Holbeins Holzschnittfolgen, in Klingers tiefsinnigen Radirungs-
gemeine Bewunderung gesichert. Cyklen bedeutsame Künstlergedanken, die in einzelnen Bruchstücken mit-
Die mächtige, sieben Fuss lange Silberplakette stellt in dem wallenden Fluss geteilt wurden und erst vereint eine Ganzheit ergeben. Niemals sind
ihrer dahingleitenden und sich kräuselnden Linien gleichsam das Wogenspiel jedoch bisher in so eigenartiger und übersichtlicher Zusammenfassung
des Oceans dar, das grosse Meer der Zeit, in dem die einzelne Stunde ihre Bekenntnisse aus dem Innenleben eines grossen Meisters geboten worden. Die
pathetischen Momentbilder des Erhabenen und Niedrigen vorübergleiten lässt. leidenschaftliche Liebe des Koloristen zu intensiver Farbe, der Wunsch, ein
„Göttliches Gesetz" schreibt der Künstler als Motto über sein Gedankenpanorama. überdauerndes Lebenswerk zu schaffen, hat Herkomer eine Aussprache in dem
Er zeigt Mann und Weib ihm in Fesseln unterworfen, zeigt die flüchtige Stunde soliden Material der Emaillefarben wählen lassen. Erst seit zwei Jahren hatte
von ihm gelenkt, denn über allem Wechsel herrscht umwandelbar die Einheit. der Kunstler das Studium dieser Technik aufgenommen. Er hat dank seines
Oben am Schild deutet die Sanduhr auf die Vergänglichkeit, unten läutet der Temperaments, seiner Beobachtungsschärfe und Unermüdlichkeit, dank der An-
Glöckner das alte Jahr aus; aber neben ihm das Kindlein weist auf die Wieder- Wendung aller Vorteile der modernen Chemie in dieser kurzen Zeit bereits die
geburt alles Lebens. Schon prangt auch die gegenwärtige Stunde in sieghafter höchsten Leistungen der Emaillierkunst zu überflügeln vermocht. Ihm ist eine
Jungfrauenschönheit auf dem bezaubernden Mittelbilde. Sie allein hat der Glutkraft der Farben, eine Wahrheit des Fleisches gelungen, die wir selbst in
Künstler im dem Silbergrau des Schildes in goldene Schwingen eingerahmt. den Meisterschöpfungen der Limoger Schule vergebens suchen. Jedes einzelne
Köstlich schimmert der Fruchtbaum hinter ihr, neben ihr rieselt der Quell des Emaillebild des Prunkschildes verrät die zeichnerische Feinheit und den hoch-
Lebens, aber auch sie triumphiert nur, bis die unerbittliche Hand mit der Sense entwickelten Farbensinn des grossen Malers.. Aus dem Enthusiasmus für ein
neben ihr der kurzen Herrscherwonne ein jähes Ende bereitet. blühendes Kolorit setzt er zuweilen Beleuchtungseffekte auf einzelne Teile seines
In zehn anderen Emaillebildern werden um diese Mitteltafel bedeutungsvolle Werkes, die ihrem innigen Gefühlsinhalt zu widersprechen scheinen. So hüllt
Schicksalsaugenblicke dargestellt. Linksund rechts wechseln dramatische Scenen er den Sensenmann, der kommt um der Mutter das Kind zu rauben, in
vom Sieg des Heiligen und Brutalen, von der Tragik der blinden Verzweiflung purpurnes Gewand; er lässt den Himmel, zu dem der gläubige Hirt in Andacht
und des nutzlosen Strebens, von grausamem Hingeopfertwerden und rührender betet, wie in Feuerlohe erglühen.
Menschenliebe. So tief oft schwermütige Töne aus des Künstlers Seele zu Man hat Herkomer häufig besonders unter dem Gesichtspunkt des Praktikers
dringen scheinen, weiss er uns andrerseits mit versöhnenden Perspektiven zu zu charakterisieren versucht, und thatsächlich ist gerade diese Eigenschaft in hervor-
trösten und unser Gefühl durch edle Züge zu erheben. ragendem Maasse ein typischer Zug seiner Natur. Er selbst ist stolz auf den Stamm-
Wir sehen links auf dem äussersten Bild die rohe Kraft, im Ingrimm über bäum einer grundtüchtigen Handwerkerfamilie, seinen Weltruhm dankt er jedoch
Klassenvorrechte, den Herrscher bezwingen. Auf zwei anderen Tafeln richten vor allem einem seltenen künstlerischen Ingenium. Was Herkomer als Kunst-
XIV. 8. IV