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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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8. Heft
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Georgy, Ernst: Polonaise
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Misch, Robert: Der Adelsmensch, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0183

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IIS

MODERNE KUNST.

Blicke fliegen herüber und hinüber. Flüsternde Bemerkungen, Urteile werden aus- nichts! — Die vielen Touren bringen zu viele
getauscht! — Nach und nach legt sich das! Die Gegner nehmen sich Wechsel- Tänzer. Und zur richtigen Unterhaltung kommt
seitig aufs Korn. Von Stunde zu Stunde nähern sie sich einander mehr. Bald man auch nicht! — Die hat
ist man mit dem Kreise vertraut. Man weiss schon, dass „Herr Kurt" immer mit man eher beim Menuett oder
„Fräulein EUy" die Haupttänze tanzt. — Auch, dass sich zwischen „Herrn Fritz" bei der Quadrille! — Wie
und „Fräulein Dora" etwas entspinnt. — „Fräulein Alice" hat es erreicht, dass sich aber die Herzen nach
alle Herren ihr wie Trabanten folgen. Dagegen hat „Fräulein Minna" bei den
Herren kein Glück. Sie wird nur auf Befehl des Lehrers aufgefordert! — „Herr
Paul" hat zwar noch keinen Bart, "aber er trägt schon ein Pincenez und ist ent-
schieden der nettste. — Dagegen ist „Herr Franz" trotz seiner drei Schnurr-
härchen langweilig, während „Herr Max" am

besten Walzer tanzt. — '«ttjMfVHHi
So verrät sich denn schon in der Tanz- ,V" , ^HH

stunde, wer.einmal auf „wirklichen" Bällen zur ^IgVVHHKl' *\

— Löwin, und wer zum — Mauer- ' ^ijV *» 'W~ .. * • Ä

blümchen bestimmt ist. Auch bei den '.-■„ - " %,: 'i • -' Ww-* v /rCS?

Tänzern zeigt sich ihr späterer gesell-
schaftlicher „Schneid". Nur dass

'•^33B»t ' tj h der langen Tanzstundenzeit wirklich gefunden

°* " • haben, das verrät nur ein Tanz in seiner herr-
lichen Länge, seiner reizvollen Abwechselung.

... ■/ „Weibnachtsklänge." Originalzeichnung von Martin Ränicke. Und dies ist die Polonaise! Zur Polonaise, die

später oft viel zu blasiert jetzt an die Stelle des einstmaligen Cotillons getreten ist, engagiert der Tänzer nur

werden und lieber Skat die Dame, die ihn interessiert. Und die Tänzerin lässt sich auch nur von dem

spielen als tanzen. Herren zum Tanze führen, der ihr gefällt. — Ihm steckt sie die Orden an, ihm über-

Der Winter geht zu reicht sie die Verse aus dem Knallbonbon, ihm drückt sie die Hand und schaut sie

Ende. Der Tanzlehrer hat tief in die Augen, wenn sie bei der — Schlangentour sich von ihm trennt und

seine Pflicht gethan. — — Ehe der Zirkel auseinandergeht und als „ballreif" ihn wiederfindet. Mit ihm verstrickt sie ihre behandschuhten Fingerchen fest —

entlassen wird, kommt die Krone des Unterrichtes, der Gipfelpunkt der Saison, fest, wenn die andern Paare unter ihren hochgehaltenen, vereinigten Armen

der — „Tanzstundenball"!! durchziehen! — Dafür widmet er ihr — die Sträusse des Abends, die farbigen

Noch einmal spielt die Kleiderfrage eine Rolle! Noch einmal steigt die Schleifen, die schönsten Konfekte und Früchte vom Dessert und die niedlichsten

Erregung bis zum Siedegrad. Viel .Kopfzerbrechen erfolgt, wie man dem oder Geschenke vom Gabentisch. Er macht ihr feurig den Hof, holt sie bei allen Extra-

der Erwählten die Orden und Blumensträusse zuschanzen kann. Man will ja touren und plaudert mit ihr in den süss verstecktesten Anspielungen. Den andern

mit dieser Huldigung soviel sagen und sich doch nicht verraten! Das Benehmen sind sie ein Rätsel; aber ihr das Höchste und in ihrer Klarheit — das Liebste!

der ,Herren' und ,Damen' zu einander während des Balles ist: — - — die So ist denn die wechselvolle, die langausgesponnene Polonaise nicht nur der

zusammenfassende Ausrechnung unter dem Abschlussstrich des Rechenexempels. schönste aller Tänze, sondern ein sicherer Barometer der Tanzstunde und aller

— Also die Entscheidung! Alle Rundtänze sind entzückend. Aber sie beweisen späteren Bälle! Und wer sich auf Barometer versteht,----der passe gut auf 1

Der üdelsmenscl].

Roman von Robert Misch.

[Fortsetzung.] —■•■*- - [Nachdruck verboten.1

Aus Mctas Tagebuch. Ich: „Ja, aber die Streiks werden dann viel eher vermieden. Hat

ein erster praktischer Versuch ist leider missglückt. Ich ein Arbeiter ein Häuschen von seiner Fabrik, so lässst er es gewiss

habe mich vergeblich bemüht, bei unseren Arbeitern nicht im Stich."

eine Groschensparkasse zu gründen. Ich habe ihnen Er: „Man kann das unmöglich von seinem Bleiben oder Niehtbleiben

in einer Versammlung, und indem ich einzelne zu abhängig machen, sobald der Mann das Häuschen durch allmähliche Ab-

mir kommen liess, das Nützliche einer solchen Einrichtung auseinander- Zahlung als Eigentum erwirbt. Und wohnt er nur zur Miete, so hindert

gesetzt. Aber es war vergeblich. Die Männer widersprachen mir direkt. ihn das erst recht nicht, anderswohin zu gehen, sobald er dort mehr

Sie müssten so schon einen grossen Teil ihres Lohnes für die Kranken- Lohn erhält. Und nun gar hier in Berlin, wo die Konkurrenz so gross ist."

und Altersversicherung abgeben; und wenn sie sparen wollten, brauchten Ich: „Aber das Betspiel von Krupp in Essen und vielen anderen?"

sie mich nicht. Er: „Das sind doch ganz andere Verhältnisse. Aus Essen können

Ernst lächelte ironich über meinen Misserfolg. Er hatte es mir natür- die Leute nicht so schnell fort. Uebrigens ist mir Krupps Essen in diesem

lieh vorausgesagt. Augenblick viel weniger interessant als mein eigenes. Darauf muss ich

Ja, wenn Ernst eine Pensionskasse mit einer grösseren Summe gründen fast jeden Mittag warten. Ist's denn wieder nicht zur rechten Zeit fertig?"

wollte, dann würden sie natürlich dabei sein und aus eigenem zusteuern. Ich: „Ich habe Dir schon gesagt, dass die Köchin es wahrscheinlich

Dafür ist er aber absolut nicht zu gewinnen. In 15, 20 Jahren viel- absichtlich thut, aus Bosheit, weil ich ihr gekündigt."

leicht, wenn alles gut ginge; jetzt sei er noch nicht stark genug zu Er: „Nun, das war auch ganz überflüssig. Das beste wäre, Du be-

solchen Experimenten. Auch von Häuserbauten für die Arbeiter will er hieltest sie wieder."

nichts wissen. Ich: „Eine Person, die sich so benimmt? Wenn sie bleibt, gehe ich

Ich setzte ihm vergeblich auseinander, dass die Arbeiter ihrer Fabrik aus dem Hause. Gestern hat sie mir erwidert, dass sie — Aber lassen

ganz anders anhängen würden, wenn man ihnen kleine Häuschen baute, wir diese Lappalien! Ich gehöre Gott sei Dank nicht zu den Frauen, die

die sich übrigens ganz gut verzinsten. ihre Männer mit solch kleinlichen Dingen langweilen."

„Dies Volk ist nie zufrieden," erwiderte er geringschätzig. „Jetzt Er (höhnisch): „Du unterhältst mich lieber mit Deinen,Arbeiterhäuschen'

drohen sie mir wieder mit einem Streik — grade, wenn man sie am und ,Arbeiterküchen'. Das ist freilich amüsanter!"

nötigsten braucht. Das wissen sie natürlich immer genau von ihren Führern." Ich (gereizt): „Gewiss — wenigstens für Menschen, die ein Herz im
 
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