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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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23. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [8]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0543

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366 MODERNE KUNST.

gesagt, ein teuerer, tüchtiger Inspektor sei billiger,
als ein niedrig bezahlter, der nichts verstände. Da
wurde Herr von Doltau ärgerlich. Sein Grossvater
habe nur mit Vögten und sein Vater mit einem
Beamten, der nicht viel mehr als ein Vogt war, ge-
arbeitet, die grossen Inspektoren, das sei auch so
eine neumodische Einrichtung. Er wolle aber ein
Landwirt nach der guten alten Art bleiben, und je
schwieriger die Verhältnisse mit den Leuten würden,
um so mehr müsste er sich persönlich um alles
kümmern.

„Der Verkehr mit den Leuten, das ist die Haupt-
sache und kein Inspektor hat das ordentlich weg!"

„Aber unsere Knechte wechseln doch gerade
so häufig wie die der anderen, Papa!"

„Ja, um so schwerer ist es, sich immer wieder
einzuarbeiten."

„Die Leute wollen aber das patriarchalische Ver-
hältnis, wie es früher war, gar nicht mehr. Sie
wollen nicht mehr, dass der Herr für sie denkt
und bestimmt, sagt Hasso!"

„Lass mich doch mit dem, was Hasso sagt und
denkt, zufrieden. Hasso schwimmt eben mit dem
grossen Strom, und wohin der geht, das weiss
Gott. Ich will aber in Rochtitz meinen Teich für
mich haben, ich lasse mich nicht treiben. Was
sind denn das alles für Gutsherren hier um uns
her? Der Hugo Holkwitz treibt sich auf allen Ver-
gnügungsplätzen der Welt mit seiner Engländerin

Hubert von Herkomer: Ein goldener Bach. 1882. , j tt u , r i 'i i i->r i

fa herum, der Hasso baut Fabriken und unser Pferde-

händler sagte mir neulich von ihm: der Herr Graf hat ein paar Augen, die
wären wert, in einem Judenkopf zu sitzen. Und solche Leute wollen unsere
ehrwürdigen Traditionen aufrecht erhalten, wollen Konservative sein? Ich danke
schön! Was haben sie aus dem Hardy gemacht, der so ein netter Junge war?
^(a9 Erst haben sie ihn verbummeln lassen und jetzt, es ist eine Schande, daran

Roman von Moritz von Reichenbach. zu denken! Ein Graf Holkwitz als Schreiber bei Stena & Comp."

(Valeska Gräfin Bethusy-Huc) „Aber Papa, nachdem er soviel Geld verloren hatte, ist es doch hübsch,

Wanderndes VolH,

[Fortsetzung.]--- [Nachdruck verboten.]

dass ..er nun etwas zu verdienen sucht und den Seinen nicht zur Last fällt!

„Hübsch nennst Du das? Kind, Kind, lass Dir doch nicht den Kopf ver-
XIV. drehen. Wo bleibt das Prestige der Aristokratie, wenn sie sich zu solchen
^fKSlCeber Rochtitz lag warmer Sommersonnenschein. Herr von Doltau beauf- Hantierungen herbeilässt. Unter die Soldaten hätten [sie ihn stecken müssen,
sichtigte die Erntearbeiten und war fast den ganzen Tag auf dem Felde, und in ein billiges
♦ Liska waltete in ihrer stillen Weise in Haus und Garten, las Bücher, über Regiment mit
die sie mit niemand sprechen konnte und grübelte auf ihren langen, einsamen dreissig Mark
Spaziergängen darüber nach. Oft war der alte Birnbaum auf dem Felde ihr Zulage. Da
Ziel, und während sie von dort der Rauchsäule der Lokomotiven mit den Augen konnte er sei-
folgte, dachte sie an Jutta, die nun so fern war und die ihr sehr fehlte. Und nem König mit
so fest sie an der Scholle wurzelte, kam es doch auch über sie oft wie Sehn- demDegen die-
sucht, einmal hinauszufliegen und unterzutauchen in dem Strom von Bewegung nen als armer
und neuem Leben, von dem sie instinktiv fühlte, dass er die Welt durchrauschte, Leutnant, aber
und der sie anzog und doch zugleich so viel Erschreckendes für sie hatte. „Wunder- als echter Edel-
schöner, nichtsnutziger Schwindel", in dieser Sentenz hatte ihr Schwager Hasso mann. Ein Graf
seine Reiseeindrücke zusammengefasst. Im übrigen war er nach wie vor immer Holkwitz, wel-
verschiedener Ansicht mit seinem Schwiegervater, und zu allen übrigen Punkten, cherSchreiber-
über die sie nicht einig werden konnten, kam jetzt noch Liska hinzu. dienste thut,
„Du darfst das Mädchen hier nicht so vergraben und verbauern lassen," das ist nicht
hatte er gesagt, als er Liska nach seiner Reise wiedersah. „Sie fängt an, eigen- Fisch, nicht
tümlich zu werden und sich schlecht anzuziehen — sie muss einmal heraus!" Vogel." Liska
Herr von Doltau hatte zunächst, wie immer, seinem Schwiegersohn wieder- schwieg. Sie
sprochen; aber in der Stille beunruhigte ihn Hassos Bemerkung mehr als er hatte in letzter
zugeben wollte, und wenn Liska einmal etwas blasser aussah als gewöhnlich, Zeit so viel an
so gab ihm das einen Stich ins Herz. Hardy gedacht,
Eines Abends sagte er ihr, nachdem er seinen Rundgang durch die Ställe nachdem sie
gemacht hatte: durch ihre
„Ich habe es mir überlegt, Liska, ich schicke Dich im Herbst für sechs Schwester
Wochen zu Jutta nach Alveno." wusste, dass er
„Aber Papa, Du kannst doch hier nicht ganz allein bleiben!" den Posten bei
„O ja, ich kann schon!" HerrnStenaan-
„Nein, dann musst Du mit!" getreten hatte.
„Ich? Kein Gedanke, dass ich sechs Wochen fort könnte! Und dann Ihr gefiel es,
kostet das zuviel!" dass er sich
„Wenn es für Dich zuviel kostet, ist es auch für mich zu teuer." aufgerafft hatte
„Nein, ich habe es mir schon überlegt, ich kann es machen." und nun ver-
Liska sagte, dass es ihr lieber sei, wenn er sich jetzt vier Wochen los suchte, durch
machte und mit ihr in das heimische Gebirge ginge. Aber er wurde ärgerlich. eigne Kraft wie-
„Jetzt, in der Erntezeit? Was denkst Du Dir eigentlich!" der in die Höhe
Nun meinte Liska, Hasso habe gesagt, der Inspektor tauge nichts. Da zukommen.Sie
wollten sie lieber dieses Jahr beide zu Hause bleiben, im Herbst einen ordent- fand darin den
liehen Inspektor nehmen und nächstes Jahr einmal ausfliegen. Hasso habe Hardy ihres

Hubert von Herkomer: Dr. Baldwin,
 
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