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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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9. Heft
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Georgy, Ernst: Ilses Ball-Erlebnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0214

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lscs

Von

Ernst Georgy. v—^-

Mit

Illustrationen
voii

F. Müller-Münster.

rlebnisse.

F. Müller-Münster: Was sich auf dem gestrigen Balle ereignete.

[Nachdruck verboten.]

'of einer der grössten Konditoreien im schönen Berlin ging eine Stimme wieder auf; wenn nicht: musst Du meine Gesangstunde übermorgen be-
junge Dame auf und ab. Unter dem linken Arm hielt sie zahlen. Ich kann mir garnicht vorstellen, dass ich noch einen freien Ton in der
eine Notenrolle, in der rechten Hand trug sie den Regenschirm. Kehle behalten habe!"

Wer sie genauer beobachtete, konnte auf dem reizenden Ge- „Darauf lass ich es ankommen, Du Lerche Du!" —: lachte Olga Rüdnitz. —

sichtchen der Wandelnden ganz deutlich eine gewisse Unruhe „Aber nun sage mir, erstens: wie war es auf dem Balle bei Stettens, und

erkennen. Bald reckte sie ihre schlanke Gestalt und suchte zweitens: wie kommst Du auf die Kateridee, mich hier in diese Konditorei

über die weissen Vorhänge fortzuspähen, welche die grossen Geschäftsfenster bis zu bestellen?"

zur halben Höhe verschleierten. Bald schaute sie die Strasse entlang, nach Arm in Arm waren die beiden Freundinnen eingetreten. Jetzt Hessen sie

rechts oder links. Man merkte gleich---sie wartete auf eine zweite einander los und bahnten sich mühsam einen Weg durch die stark besetzten Räume

Person, um mit dieser vereint in die warmen Räume einzutreten. Verlockende des Cafes, bis sie am Buffett anlangten. Dort wurde die Bestellung gemacht.
Düfte, ein gemütlicher Hauch drangen aus der Eingangsthür in die rauhe Januar- Alsdann eilten sie in das Damenzimmer und fanden in einer versteckten Ecke
luft, wenn irgend ein Fremder die schwere Glaspforte öffnete oder schloss. — ein behagliches, freies Plätzchen. Kein Lauscher war da. Nur eine einzige Dame
Und das Warten war nicht etwa angenehm! Der kalte Wind zauste die trank eine Tasse Kaffee, und vor dieser stand bereits der Kellner, um seine Be-
kühne Federpose auf dem kecken Jägerhütchen ganz gewaltig und malte die Zahlung in Empfang zu nehmen. Auch sie war im Begriff aufzubrechen, so dass
Wangen der Harrenden mit einem bläulichen Rot. Immer froststarrer wurden unsere Beiden - ungestörte Herrinnen der Situation waren,
die Finger unter den dünnen Lederhandschuhen; immer eisiger die Füsschen, Sie öffneten ihre Jacken und setzten sich auf das rote Sammetsofa. Der
welche verzweifelt die kalten Trottoirsteine stampften. Das Schlimmste war weissgekleidete Bursche brachte ihnen die gewünschte Schokolade und den
aber für unsere Freundin, dass die Vorübergehenden sich mit ihrer hübschen Kuchen, darauf lautlos verschwindend. Olga löffelte ihre Sahne. Dann sah sie
Persönlichkeit zu beschäftigen begannen. Manch kecker, manch erstaunter Blick auf ihre Gefährtin, deren Hunger auf einmal vergangen zu sein schien. Ihr
traf sie. Hoch aufgerichtet, mit stolz abweisender Miene musste sie eine leise Teller stand unberührt. Sie hatte den Kopf in die starre Hand gestützt. Ihre
geflüsterte, kurze Ansprache vornehm überhören. Und um das Uebel vollzu- Wangen glühten, man wusste nicht, ob von dem schroffen Temperaturwechsel
machen, wandelte jetzt schon ein mutiger Jüngling zum vierten Male an ihr vor- oder irgend einer geheimen Erregung. Olly blickte fragend in die ihr zu-
bei, sie fixierend, während er mit den Fingern sein Bärtchen noch unter- gewandten, schimmernden Augen.

nehmender emporwirbelte. — „Jetzt beichte aber flink, was Dir ist, Ilse? Du siehst ja ganz verklärt aus.

Sie war vor Kälte, Schüchternheit und Enttäuschung fast dem Weinen nahe! Auf dem Balle muss irgend etwas geschehen sein! Spanne mich nicht auf die

Da! — — — Da tauchte in der Ferne ein bekannter heller Hut auf, der sich Folter, sondern bekenne." — Ilse Auer Hess den Arm sinken und seufzte: „Das

rasch näherte. Eine Pelzboa wurde sichtbar, ein Jacket; kurz die ganze.liebe ist durchaus nicht so einfach, Du! Wenn man garnicht weiss, wo man anfangen

Gestalt der so lange Erwarteten! Hastig eilte sie der hinzustürzenden Freundin soll vor der Fülle der Ereignisse?!" — Sie dachte nach, ehe sie weitersprach. —_

entgegen: „Guten Abend, Ilse!" rief diese bereits in einiger Entfernung. „Du weisst doch, dass auf demBalle die ganze frühere Tanzstunde versammelt war?"

„Guten Abend, Oliv! Ach Du,- grade wollte ich gehen" — zürnte Fräulein „Natürlich, Stettens halten sich doch all die Herrenbekanntschaften warm,

Ilse. — „Ich bin halb tot vor Kälte und Hunger. Glaubst Du, es ist ein Ver- damit ihre Meta und Anna Auswahl unter den vorhandenen Jünglingen haben!—

gnügen, hier, in dieser belebten Gegend, eine halbe Stunde hin- und herzurennen? Schade nur, dass diese noch zu jung sind und sich zu Heiratskandidaten wenig

Wo warst Du nur?" eignen!" — entgegnete Olga kühl und trank ein Schlückchen. Ilse war erblasst:

„Sei nicht böse, Ilse," — bat die andere und fasste die Scheltende mit zart- „Erlaube gefälligst" — sagte sie heftig— „wir sind doch keine Kinder mehr wie
lieh besänftigendem Druck unter — „unser Professor hat heute die Vorlesung damals, als wir noch bei Herrn Wrage Stunde hatten! Die Damen sind alle
etwas ausgedehnt; er musste uns noch einige Quellenwerke diktieren. Und dann siebzehn bis sogar zwanzig Jahre, und die Herren - wir hatten damals
ist es ein ganzes Stück von der Universität bis hierher. Ich raste wie ein toll- entschieden Glück — — — schwanken zwischen zweiundzwanzig und fünf-
gewordenes Pferd und weiss selbst nicht, wie viele Menschen ich gestossen undzwanzig. Nur zwei haben keinen Bart, und bei denen ist es wirklich per-
oder umgerannt habe!" — — „Nun, da muss ich Dir schon nolens volens ver- sönliches Pech!"

zeihen, Du gelehrtes Huhn!" — meinte Ilse. — „Jetzt allons hinein und das grösste Olga lachte. Sie studierte seit einem Jahre. Mit ihrem ernsten Ziel vor

Stück Apfeltorte mit Sahne ausgesucht! Vielleicht taut dann meine eingerostete Augen konnte sie sich garnicht mehr recht in den Interessenkreis der Freundin
 
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