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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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26. Heft
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Geißler, Max: Nymphen: zu den beiden Bildern von E. Veith
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Duncker, Dora: Helene Odilon
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0634

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424

elene ndilon.

[Nachdruck verboten.]

as Berliner Publikum, so viel man ihm auch sonst nachsagen mag, sieht, wird in der Künstlerin sowohl als in dem Menschen manche altvertraute
hat ein gutes, ja mehr als das, es hat ein dankbares Gedächtnis. Züge wiederfinden, nur dass sie bei der reifen, voll erblühten Frau andere Formen
Wer sich einmal hineingeschmeichelt hat in seine Gunst, der ist angenommen haben, als bei dem feschen Gamin von dazumal, dass ihre kleinen,
nicht so bald vergessen, vornehmlich dann nicht, wenn er nicht kecken Kapricen, ihre temperamentvollen Ausbrüche sozusagen civilisierter ge-
nach der Schablone geprägt war, sondern sein eigenes Gesicht worden sind. Glücklicherweise hat das Leben nicht allzuviel an ihr herumpoliert,
gehabt hat, im Guten und im Schlimmen seine ureigenste Individualität. Und die Der kurze Sonnenschein und die ihm nachfolgenden Stürme ihrer vierjährigen
hat Helene Odilon, der „Star" des Wiener Deutschen Volktheater von je besessen. Ehe mit Girardi haben das Weib und mit ihm die Künstlerin wohl reifen lassen,
In der Erinnerung der Berliner lebte sie frisch und fröhlich fort, als ein von ihrem Temperament haben sie ihr nichts zu rauben vermocht. Helene Odilon
überschlanker zierlicher Gamin mit allen Liebenswürdigkeiten und Ungezogen- ist bedeutender, aber nicht stiller oder gar resigniert geworden. Wer ihr gegen-
heiten eines solchen. Fascinierend in ^^^^^^^^^^^^^^_^^_^^^^^^^_'t über sitzt, mit ihr plaudert, ihr in die
seinem Uebermut, keck aber grundehr- i ' klugen, lustigen Augen sieht, sich an ihrer
lieh in dem was über die Grenzen des , urgesttnden Frische erfreut, der begreift,
Gewohnten und I Iergebraehten ging, Lc-t j dass ihre Ehe eine Episode gewesen ist,
not least, so oder so, immer klug und die ihren Lebensmut und ihren Lebens-
amüsant. So kannte man Helene Odilon Hb. durst nicht zu knicken, noch zu löschen
vor etwas Ober einem .Jahrzehnt auf ilcm imstande war. Nur eines hat sie ihr an-
lustigen Boden der alten Wallncr- Bühne, j » gethan, sie hat ihren Nerven einen Choc
auf dem weniger lustigen, dafür aber I gegeben, bei dem der Mensch nicht gut,
um so solideren, von Traditionen gc- ; die Künstlerin um so besser gefahren ist.
heiligten des Königlichen Schauspiel- Wer wollte heut auf der Bühne die mo-
hauses, am Berliner Theater unter dem (lerne Kunst meistern, der nicht an sich
Despotenscepter Barnays. Und nun end- i selbst pathologische Studien zu machen
lieli, nach langer Trennung sollte man | in der Lage wäre, wer die moderne, zit-
die „kleine Odilon" in diesem launisch- 0ffT | ternde, nervöse Leidenschaft darstellen,
sten aller Maimonde gelegentlich de- ^P^HJBr j dem nicht, das eigene aufgeregte Nervcn-
Gastspiels des Wiener „Deutschen Volks- j System alle Pulse vibrieren macht?!
theaters" in Herlin wiedersehen, während j Helene Odilon ist niemals eine Heilige
das Berliner „ Deutsche Theater" ander I gewesen, es war auch niemals ihr Ehrgeiz
schönen blauen Donau trotz der haar- H ■ eine solche zu sein oder zu scheinen. Im
sträubendsten politischen und Wirtschaft- i (h-genli-il, sie war immer der ehrliche
liehen Zustände Oesterreichs, Sieg aul I 3 I Kerl, der sich zu dem bekannte, was er
Sieg feierte, und dem satyrischen „Probe- I auf dem Kerbholz hatte, und dadurch,
kandidaten" das Jubiläum -einer hundert- | : ('jyt^jB^^S^^^ildäSf^^P • ' dass er weder über sich selbst noch über
sten Aufführung begehen half. andere mit der Wahrheit zurückhalten
War das wirklich die „kleine Odilon"? 1 , konnte, sich hunderte von Ahden um Kopf
Dies schöne, blühende Weib mit den und Kragen geredet hat. Ein bischen vor-
vollendet ausgereiften Formen, mit dem | sichtiger ist sie ja nun wohl geworden,
ehrlichen Ernst in der Stimme und der wttß*1' jjfi wenn auch nicht allzuviel. Ich muss es
echten Thräne im Auge, mit der herben | •" I hier noch einmal sagen: glücklicherweise
Verachtung in Tun und Geberde? Da, j j t: e'-.i iruekkeu Tut :-o gut. sie
plötzlich lugt ihr der Schalk aus den ! wirkt wie ein frischer reiner Waldquell,
Augen, da lacht sie ihr altes Buben- ,; i all den verfälschten und kün.-tlich zu-
lächelt und wir erkennen sie wieder, \ bereiteten Wässern gegenüber,
die „kleine Odilon", die in Arbeit und WBBj^^BS^^BIi^^^^^^HB^U^''" £ Ein wahres Vergnügen ist es zum
Mühen, ohne die es keine Kunst giebt, p I Beispiel, ihre belli Empörung
und nicht ohne des Lebens herbe Schule, j , ' ■ 'l herabgedrüekten geselh-cA Wicie-n nee
eineKünstlerin geworden ist. Trotz allem i 1 sittlichen Stand der Bühnenkünstlerinnen
was sie durchlebt, durchlitten, und leiden [ in Herrmann Bahrs „Star" mit anzuhören,
liess, eine glückliche frohmütige Kflnst- I ' j Nein, so stehen sie denn gottlob nicht
lerin, mit ernsten Zielen, zu denen sie auf Wm da in der allgemeinen Wertschätzung,
heiteren Wegen gelangt. Sie grübelt und ( m> jeder I )itmineujungenskritik preis-
wägt nicht viel, sie verbohrt sich nicht in | t.,.,f. [ gegeben, wie Bahr sie schildert, so halt-
Problcme und Thesen, sie ist frisch und 1 ' ! und siitcnIns. wie der Gi -ce • t:.-. .!.-< ■ nd

fleissig bei der Arbeit und vertraut am ! ich Lee..... er o> .o lel. Wenigstens

Ende aller Enden ilirem guten Stern. j geht es bei dem „Star" einer anständigen
Der grösste Moment für Helene Bühne so nicht zu. — Als Helene Odilon
Odilon ist der, wenn sie eine neue Rolle Helene Odilon. jy c]er Generalprobe am Schluss des
zum erstem Male in die Hand bekommt. Da obsiegt ihr lebhaftes Temperament dritten Aktes die Schmährede des kleinen Postbeamten hatte über sich ergehen
über alle Bedenken und Schwierigkeiten. Etwas Neues bedeutet im ersten lassen müssen, raffte sie sich zu einer energischen Extemporereplik auf, die für
Augenblick auch etwas Gutes, etwas Interessantes, etwas Eigenartiges für sie. die Aufführung bestehen bleiben sollte. Da der Dichter auf diese Aenderung nicht
Bei der Arbeit des Studierens lässt der Furor schon bedeutend nach. Das was gleich eingehen wollte, erklärte die Künstlerin ihm kategorisch, dass wenn sie
sie sich beim ersten Lesen unter dieser Aufgabe vorgestellt hat, wird sie nie sich und ihre Kolleginnen nicht also verteidigen dürfe, er ihr schon werde er-
erreichen, und nicht selten fliegt das anfangs so heiss begehrte Buch vor Un- lauben müssen, am Abend der Aufführung dem „stieren" Postbeamten als
behagen und Ungeduld in die erste beste Ecke. — Noch gesteigerter wird der Antwort auf seine Rede „eine Watschen" zu geben. Dieser Erklärung gegenüber
Missmut bei den Proben. Nichts gelingt, nichts kann gelingen. Nervös bis in zog der Dichter des „Star" es vor, dem Star nachzugeben und seitdem ist
die Fingerspitzen, gereizt, stets auf dem qui vive, nur mühsam die Ausbrüche Helene Odilons Verteidigungsrede dem Stücke einverleibt geblieben,
von Zorn und Ungeduld zurückhaltend, steht sie da, von fördernder Arbeit keine Ihre Kolleginnen werden ihr Dank dafür wissen, oder sollten es wenigstens.
Spur, nicht um einen Schritt will es vorwärts gehen. Dann endlich der erste In der That hat Herrmann Bahr seine geistreiche Arbeit durch zu stark aufge-
Abend, der zweite grosse Moment! Da ist alles vergessen, aller Kleinkram, tragene Farben beeinträchtigt. Hand aufs Herz. Sind gerade die Schauspielerinnen
aller Aerger, jede Verstimmung. Nur die künstlerische Aufgabe ist übrig ge- zum Abweichen vom Pfade der Tugend allein prädestiniert? Vielleicht lässt nur
blieben, das Glück, sie zu schaffen, die brennende Begier, sie zu lösen, das das grelle Licht der Oeffentlichkeit das unablässig auf die Bühnenleute fällt, so
Publikum festzuhalten und nicht wieder loszulassen. krass erscheinen, was anderswo von dem gefälligen Dunkel der Ruhmlosigkeit
Wer Helene Odilon aus ihrer Berliner Zeit gekannt hat und sie heut wieder- und Unbekanntheit verhüllt bleibt. Dora Duncker.
 
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