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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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15. Heft
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Brandenfels, Hanna: Erste und letzte Liebe: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0379

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236

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vste and letzte Jeiebe.

Ol

Skizze von Hanna Brandenfels.

[Nackdruck verboten.]

1

Ward untreu Dir Dein erstes Lieb, kind — das hielt er hoch, als habe es in einer fürstlichen Wiege gelegen und

Lass fahren, Knab, lass fahren! .-..,._,.„ ... .

Was schadet ein geknickter Trieb a's ihm nach langem hartem Kampfe die Eriullung seines Herzenswunsches

Dem Baum in jungen Jahren? winkte, da kam der Tod und nahm ihm sein junges Liebesglück--von einer

Wisch ab die Thränen, Milchgesicht, Reise heimkehrend, voll innerlichem Jubel und heimlich zärtlichem Schelten

Die Deine Wange netzten! . . , 111 . .

Die erste Liebe tötet nicht — über sein „schreibfaules Lieb blickte ihm zwischen dunklen Lüben ein weisser

Man stirbt nur an der letzten. Grabstein entgegen — darunter schlief sein süsses Försterkind den Schlaf, aus

Robert Hammerling.

dem es kein Lrwachen gab.---

er Nordwind braust um die Türme des Schlosses. Er wirbelt in tollem Regungslos starrt er in die Flammen. Werden sie doch noch einmal lebendig,

Kreise welke Blätter zur Erde und jagt den Regen prasselnd gegen die die alten Zeiten? — — wie er sich in wahnsinnigem Schmerze immer wieder

hohen Glasscheiben. auf den Hügel warf und wie ein Irrer mit blossen Händen die Erde aufwühlte,

Ein nasskalter Spätherbsttag ... In einem Erkerzimmer der Südseite als könne er es herausgraben zum Leben sein totes Lieb — — monatelang ging

glüht die Lohe mächtiger Eichenklötze im Kamin. Behagliche Wärme durch- das so — dann fasste ihn eines Tages sein Vater in der Kirchhofsthür beim

strömt den hohen Raum und doch ziehen die schmalen bleichen Hände fröstelnd Arm und zog ihm die geladene Waffe aus der Rocktasche — ihm ist's als höre

die warme Decke höher hinauf über die mageren Kniee — — dann ein Griff er sie wie damals, die ernste Mahnung: „Sei nicht feige! Sei ein Mann! An

nach dem Glockenzug — einer ersten Liebe stirbt man nicht — eher an einer letzten — und bis dahin

Lautlose Schritte hasten näher — hast Du lange Zeit mein Sohn!" Dann kam das Nervenfieber. Das stie'ss ihn

„Es ist kalt hier Jean! mich friert!" widerholt hart an den Grabesrand, aber Gevatter Tod winkte leise ab und holte

Jean stochert in der Glut herum und legt zwei neue Klötze hinein. Dann sich statt des Kranken den kräftigen Vater. Der alte Graf starb unvermutet

macht er ein paar gemessene Schritte nach einem Seitentischchen, auf dem ein am Herzschlag und er hinterliess dem Sohne eine Aufgabe, die den jungen

Araber aus Pariser Bronce einen Thermometer hoch hält und der Blick des Gutsherrn wohlthätig von seinem Grame ablenkte.

undurchdringlichen Kammerdienergesichts wird kritisch. Der einsame Träumer fasst nach dem Schürhaken und stochert mechanisch

„Es sind 18 Grad! Herr Graf haben gewünscht, dass die Zimmertemperatur in den glimmenden Holzscheiten herum. Wieder lächelt er. Wie komisch das

— vorläufig — nicht höher hinauf soll" — bei dem Worte vorläufig gestattet im Grunde ist. Da hat er damals sterben wollen vor Leid und heute begreift
Jean sich eine Betonung, der ein Anflug von Mitleid und eine ganz kleine er es nicht! Dass wahre Liebe nur einmal blühe, ist Blödsinn! Ihm hat die
Dosis Spott anhaftet — wenn man dreissig Jahre durch bei derselben Herrschaft Liebe im Laufe der Jahre noch zahllose Male geblüht — freilich nicht immer
dient, kann man sich dergleichen erlauben. so rein und poesievoll wie die erste, aber auch nie wie diese so in gram-

„Schon gut, schon gut Jean! aber heute ist's schaurig! kälter wie im zerrissener Verzweiflung geendet wie damals unter den Eiben — — merk-

Dezember und dann — ich glaube ich habe — ich glaube — es liegt in mir — würdig, dass die Zeit das alles heilt — dass man jetzt lächelt über alberne

ich bin blutarm — wenn ich mich niederlege, habe ich immer das Gefühl als Selbstmordideen damaliger Extase — —

drehe sich alles mit mir — das ist Blutleere — ja Blutleere! Du kannst mir Dass die Dichter immer faseln davon, dass man nur einmal wahrhaft liebt!

etwas alten Portwein bringen!" — Thorheit! Jedesmal denkt man bei einer neuen Liebe: dies ist die wahre,

Jean schlurrt gravitätisch hinaus, entkorkt umständlich eine Flasche und einzige und — immer' folgt eine neue darauf — aber freilich, einen Unterschied

legt sein bartloses Gesicht in tausend Falten — giebt's dabei — —

„Kein Blut" brummt er „und das will heiraten: Blutarm — Nonsens!! so Er hat nie, niemals im Leben so schrankenlos, so heiss geliebt wie jetzt —

was passiert doch nur bei jungen Mädchen! Na und wenn — dagegen giebt's was war sein erster Jugendtraum gegen das Feuer, das jetzt in ihm tobt! —

doch Eisenpillen!" Wäre das Förster-Kätchen nicht gestorben, dann hätte er jetzt eine alte, welke

Der Schlossherr greift fröstelnd nach dem gefüllten Glase — er leert es Frau und nun? —

auf einen Zug und dann noch ein zweites — so! das giesst Feuer in das kalte Er erhebt sich, dehnt die langen hageren Glieder und tritt vor den hohen

Blut und macht die steifen Finger, die man am liebsten nicht unter der warmen Pfeilerspiegel — jeder Zug in dem blassen zerknitterten Antlitz mit dem streng

Decke hervorziehen möchte, gelenkig. Die welken Finger, die noch so viel aristokratischen Gepräge predigt Erwartung eines unermesslichen Glückes — der

„schaffen" sollen bis übermorgen — übermorgen reist er nach der Residenz, schmale Rassekopf mit dem gefärbten schwarzen Scheitel, der kunstvoll ver-

seine Hochzeit zu feiern — bis dahin muss alles in Ordnung sein — bezüglich deckten kleinen Glatze am Hinterhaupt wendet sich prüfend hin und her.

vergangener Zeiten — damit sein jugendschönes Weib kein einziges Papier- Pah, er kann es vertragen, eine Zwanzigjährige neben sich zu sehen. Ein

schnitzelchen, kein weibliches Bildnis oder gar eine vergessene Locke findet alberner Narr wäre er, wenn er sich auf sein Alter besinnen sollte und — ach

— nichts, nichts soll da sein um den Wonnetaumel dieser Liebesheirat zu stören. sie liebt ihn ja trotz ihrer Jugend und Schönheit, die kleine reizende Nina —

Die künstlich erwärmten Finger „arbeiten" emsig weiter vor dem riesigen sie hat's ihm ja tausendmal erklärt, dass er in ihren Augen der jüngste, schönste

geschnitzten Schreibtisch, dessen Inhalt schier unerschöpflich zu sein scheint — und vornehmste ist, dass sie seinetwegen Bühnenglanz und Lorbeer verlassen

Photographien, duftende Briefchen, fein säuberlich in Päckchen und nach will. Gottlob, dass ihr das so leicht wird. Freilich ein grosses Talent ist sie
der Jahreszahl geordnet, fliegen nacheinander in die Glut — schöne Frauen- nicht, sie siegt eigentlich nur durch ihre Schönheit nnd ihr sprühendes Tempera-
köpfe und heisse Liebesschwüre sinken in ein Häuflein Asche zusammen und ment — wo sie auftritt, fliegt alles ihr entgegen, weil ihr Erscheinen wie eine
der da tabula rasa macht, empfindet keinerlei Reue bei der Vernichtung von strahlende Sonne wirkt — ihm ist's gerade recht, dass sie eine sc"_i::htc
so viel Reiz und Poesie — er lächelt sogar — dass die tintenschwarz gefärbten, Schauspielerin ist — eine um so bessere Gattin wird sie werden, seine junge
lang ausgestrichenen Schnurrbartspitzen leise zittern — — wie ein längst zer- reizumflossene Braut. Ihr Zauber wird ihm seine gestorbene Jugend wiecor-
stobener, längst vergessener Traum einer versunkenen Welt weht ihn da die geben und Leben und Frohsinn in c' i toten;'allen Schlossräume bringen — nur
Vergangenheit aus den gierig fressenden Flammen an — was da knistert und wenige Tage noch und die Sonne ihrer entzückenden Gegenwart scheucht alles
zerfällt ist tot —■ nur die Gegenwart lebt und in ihr sein Glück — sein uner- Dunkel eines einsamen Alters fort — —

messliches Glück . . . Alter — ein scheussliches Wort! — besser man denkt garnicht daran —

Im Nebenzimmer hebt eine uralte Pendüle an mit heiserem Schlag Mitter- im nächsten Monat ist seil. Geburtstag! Wenn der alberne Jean nur nicht gar

nacht anzukündigen. Der Schlossherr fährt nervös zusammen — „schon wieder noch in Ninas Gegenwart wieder mit der üblichen Torte und der Jahreszahl in

so spät" — und blickt dann mit einem Gemisch von Rührung und Selbstver- Form von Lichten angeschlurrt kommt. Das muss man dem Alten entschieden

spottung auf den kleinen gelbbraunen Eibenzweig in seiner Hand — ein Zucken verbieten. Nächsten Monat ist sein Geburtstag — wird er wirklich schon — —

der blassen Finger — ein leises Knistern in der flimmernden Glut — das ver- nun Gott sei Dank noch immer nicht sechzig! Neunundfünfzig hört sich zehn

dorrte Eibenreis krümmt sich zusammen in tausend glühende Fünkchen — dann Jahre jünger an wie sechzig — merkwürdig! aber es ist so! —

ein schwarzes Gekräusel und dann nichts mehr. — — :j. ...

Sinnend starrt der Einsame in die Glut —■ seine zerbrochene Jugend steigt

vor ihm auf und mit ihr die Erinnerung an das erste, herbste Leid seines „Und dass Du mir nichts vergisst Jean! also um sämtliche Thüren Guirlanden

jungen Lebens. aus frischen Blumen und vor dem Portal Ehrenpforten."

Er hatte schon als frühreifer Knabe stets mit einer für seine Umgebung „Befehl, Herr Graf!"

lächerlichen männlichen Festigkeit betont, dass er „nur eine Liebesheirat" oder „Ich verlasse mich unbedingt auf Dich, deshalb lasse ich Dich hier. Es

sonst keine machen werde — — und dann später, als ihm der erste Bart über kommt mir schwer genug an, statt Deiner den dummen Fritz mitzunehmen, also —"

den schmalen feinen Lippen leise zu sprossen begann, da wollte er halten, was „Herr Graf können ohne Sorge sein. Es wird alles besorgt'"

er als Knabe versprochen. Da verliebte er sich in ein junges holdseliges Förster- Jean hilft seinem Gebieter in den Landauer und schüttelt verwundert das
 
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