Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

DOI Heft:
20. Heft
DOI Artikel:
Unsere Bilder, [16]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0501

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
324

<YÄl?ie die neue Zeit überall alte abgebrauchte Verhältnisse über den Haufen Henri Vicomte de Bornier; der Publizist Jacques Victor Albert, Her-
C5nr^> wirft, wie sie immer mehr den Arbeitenden und Strebenden Raum zog von Broglie, der Lyriker und Dramatiker Francois Coppee; der Lust-
gewährt und Konzessionen macht, das kann man auch recht deutlich an der Ein- spieldichter Eduard Pailleron; der Dichter französischer Sittenstücke Henri
richtung des Berliner Kupferstich-Kabinetts im jetzigen Neuen Museum Meilhac; der Feuilletonist und Verfasser der Texte zu den Offenbachschen
übersehen, dessen grossen Studiensaal das vorliegende Heft in einer Ab- Burlesken Ludowic Halcvy; der Novellist Jules Claretie; der Satiriker,
bildung veranschaulicht. Wer vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren die Treppe zu Kritiker und Dramatiker Jules Lemaitre; der Politiker Comte d'Hausson-
diesem Kabinett emporstieg, fühlte sich je mehr er stieg umsomehr vereinsamt, ville; ferner der Romancier Albert Sorel; die Geschichtsschreiber Ernest
denn es waren ihrer nur wenige, die bis zum Kupferstich-Kabinett ihre Spaziergänge Lavisse und Alfred Nicolas Rambaud; der Politiker Gabriel Hanotaux,
durch die Kunstsammlungen ausdehnten. Und wer sich bis zu dieser Sammlung der Kunstkritiker und Romandichter Victor Cherbuliez und andere. Jedenfalls
bemühte, der zog meist verzagt wieder von dannen, denn die Thür, hinter der ist es ein merkwürdiger Augenblick, die französischen Vertreter einer freien Geistes-
die Kupferstiche in ihren Mappen und Schränken ruhten, war verschlossen richtung versammelt zu sehen um den Zaren, den Selbstherrscher des Russenreichs,
und sah schon so aus, als wäre sie nur zum Zuschliessen, aber nicht zum * M. *

Oeffnen da. Die Schwelle dieses Kabinetts wurde, wie schon der Augenschein Jßfc. della Corte: „Die Rose des Südens". Sie weiss es, dass sie schön

lehrte, wenig betreten. Natürlich gab es in dieser Zeit auch schon Einzelne, ist und sie versteht ihre Vorzüge an den Mann zu bringen. Sie hat ein weisses

welche die lagernden Kupferstich-Herrlichkeiten abzuschätzen und zu heben ver- Gewand angelegt, damit der Kontrast mit den frischen, roten Wangen besser

standen, aber die grosse Menge interessierte sich für die alten wertvollen Stiche herauskommt. Wie sie die zierliche Nase in die Höhe hebt! Wie sie die Augen

nicht. Die Hüter jener Schätze waren alte verdiente Beamte, die jedes Blatt zur Seite wendet, damit das Weisse darin hervortritt, was sie vor dem Spiegel

der Sammlung kannten, die ihre Mappen wohl auch einzelnen fleissigen Kopisten so oft probiert hat! Wie sie die krausen Haare leicht und lose um das

und Studenten ganz gern vorlegten, jeden Fremden aber, der an der Thürglocke Köpfchen geschlungen hat, damit der Wiederschein des Lichtes in ihrem Gelock

schellte, nicht allzu freundlich betrachteten. Anders jetzt. Seitdem die Direktion nicht verloren geht! Wie sie ein grosses Ohrgehänge angelegt hat, damit die

des Kupferstichs-Kabinetts vom Geheimen Regierungs-Rat Dr. Fr. Lippmann ge- Zierlichkeit ihres Ohres recht zur Geltung kommt! Ja, sie weiss es, dass sie

führt wird, weht frische Luft in die Säle, strömen die Besucher durch die Thür. schön ist! Und darum wollen wir ihr auch den Gefallen thüri und sie ein

F. Lippmann, der allen Kunstjüngern durch seine Veröffentlichung der Zeichnungen wenig länger anschauen! Was gilts, sie schlägt die Augen nicht nieder!

Botticellis zu Dantes göttlicher Komödie bekannt ist, hat das Interesse für die * :S :!:

ihm zur Hut anvertraute Sammlung in zweckentsprechender Weise zu heben s|pach langer im Krankenzimmer verbrachter banger Zeit nun wieder
verstanden. In einem besonderen Ausstellungsräume werden von Zeit zu Zeit draussen im Sonnenschein am Lieblingsplätzchen dort, wo die hochgewölbte
die wertvollsten oder die je nach der Zeitstimmung oder den Ereignissen be- Brücke über den stillen Fluss sich spannt — welch, ein erquickender Tag! All
merkenswertesten Blätter ausgelegt; die Sammlung wird fort und fort ergänzt, das wieder zu sehen und freudigst wieder geniessen zu können, all das Schöne,
gesichtet, geordnet und neu katalogisiert. Die frische Arbeitslust des Leiters und von dem man, umfangen vom Schleier des Fiebers, schon Abschied genommen
seiner Assistenten und Hilfsarbeiter hat reiche Früchte getragen. Das Kabinett hatte für immer — welch' selige Freude! Neues Hoffen füllt die Seele, neue
enthält jetzt: Kupferstiche, Holzschnitte und Lithographieen seit der Erfindung junge Kraft fliesst durch alle Adern; wie ein Hauch überirdischen Glückes liegt
der Druckkunst bis auf die Gegenwart, nach Meistern und Schülern geordnet; es auf dem Antlitz des jungen Weibes, das gehütet von der treuen Pflegerin, als
Sammlungen von Städteansichten; illustrierte Druckwerke des 15. bis 18. Jahr- „Rekonvalescentin" des erhaltenen Lebens sich erfreut. Yeend King hat
hunderts; höchst wertvolle Originalzeichnungen alter Meister; Miniaturen, meist all das sehr gut nachempfunden und in echt künstlerischer Weise zum Aus-
Handschriftenmalereien vom 10. bis 17. Jahrhundert, ferner die v. Dorschausche drucke gebracht. ...
Sammlung alter Holzstöcke und eine Unmenge von Photographieen seltener

Schnitte und Stiche, welche das Kabinett nicht oder nur in unzulänglichen fSenri-Royer: „Das Gelöbnis." An den felsigen Küsten der Bretagne

Exemplaren besitzt, endlich eine wohl eingerichtete Handbibliothek für Kupfer- und der Normandie findet man die so häufig nur rührend einfach geschmückten

stichkunde und verwandte Fächer. Ewald Thiel veranschaulicht mit seinem Kirchlein und Kapellen, in denen das Küstenvolk seine Sorgen und alles Herze-

Bilde das Leben und Treiben im Studiensaale auf das glücklichste. Im leid der gnadenreichen Gottesmutter darbringt, wie unser Bild es darstellt. In

Hintergrunde sieht man zum Teil auf erhöhtem Platze die Verwalter und der kleinen Dorfkirche ist der Gottesdienst vorüber; von Nah und Fern waren

Leiter des Instituts; an den Tischen sitzen kopierend oder betrachtend Männ- die Verwandten und Nachbarn zur heiligen Messe geeilt, um durch ihr Gebet

lein und Weiblein in bunter Reihe; ganz im Hintergrunde rechts kopiert das Gelöbnis des braven Jean-Pierre zu unterstützen. Und ein Gelöbnis wollte

eine Dame das Porträt der Gräfin Potacka; dieses Bild gehört zu den meist- er thun — das wusste das ganze Dorf, vielmehr die ganze Gegend — war doch

begehrtesten; es wird fast von jeder Malerin kopiert und ist deshalb immer vor einem Monat schon durch den Telegraphen von Quessant aus (dieser

„bestellt" oder wenn man später wieder darnach fragt — „immer noch bestellt." furchtbaren Felsnadel im äussersten Nordwesten Frankreichs, die mit ihrem

Links gehen die Augenblicksbesucher vorüber, das unvermeidliche junge Paar, Leuchtfeuer, Telegraphen und Rettungsgeräten eine Wohlthat für alle gefährdeten

das die Hochzeitsreise nach Berlin natürlich mit etwas Kunstgenuss verbrämen Schiffe ist) die Nachricht gekommen, dass „La belle Marie", die Bark, auf welcher

will; Beamte bringen neue Mappen und Kästen herbei. Im Vordergrunde rechts sein einziger Sohn als Schiffsjunge die erste Reise machte, den Leuchtturm von

sitzt ein schon etwas bejahrter Schönheitsliebhaber, der sich bei aller Neigung Quessant passiert habe. Ein ganzer Monat war derweil vergangen, Tag um Tag,

für alte Stiche und Drucke das Interesse für die jugendliche weibliche Wirk- Stunde um Stunde wartete Jean-Pierre auf die Ankunft der „Beile-Marie" — um-

lichkeit bewahrt hat. Die elegante Dame an seinem Tische scheint ihm doch sonst! Da entschliesst sich Jean, der das heimliche Weinen seines Weibes bei

noch betrachtenswerter vorzukommen als der Schongauer oder Dürer, den Nacht kaum mehr ertragen kann, am nächstem Marientage auch seinerseits der

er in der Hand hält, — und damit hat er Recht. Arthtir Stiehler. gnadenreichen Gottesmutter Das zu geloben, was ihm das wertvollste ist, die

* .;. * kunstreiche Nachbildung des Schiffes, auf dem er selber einst in jungen Jahren

ls der Zar und die Zarin im Jahre 1896 jene oft besprochene Reise um die Welt gesegelt ist. Jahrelang hat er in all seinen Freistunden daran ge-

nach Paris unternahmen, konnte es nicht Wunder nehmen, dass auch die be- basselt und geschnitzt; nun aber ist alles genau und exakt, vom Kiel bis zum

rühmte französische Akademie, der Kreis der vierzig Unsterblichen, dem Flaggenknopf — ein Kunstwerk, auf das Jean-Pierre stolz sein kann. Alle

hohen Herrscherpaare ihre Ergebenheit bewies. Die am 7. Oktober 1896 ab- Freunde und Nachbarn nehmen teil an seinem Gelöbnis und vereinen ihre

gehaltene Festsitzung der Academie francaise, welcher das russische Kaiser- Gebete mit dem seinen. Helene Pichler-Felsi?ig.

paar mit seinem Gefolge und der Präsident F. Faure beiwohnten, hat Andre

Brouillett in einem grossen Gemälde veranschaulicht, damit der wichtige JfI. Cooke: „Entlaufen". Es ist die alte Geschichte, die schon so oft

Moment auch im Bewusstsein der Nachwelt haften bleibe. Jetzt, da Frankreich sich ereignet hat, die immer wieder passiert und doch ewig neu bleibt. „Es

wieder illustre Gäste aus allen Teilen der Welt empfängt, mag die Veröffent- hatte ein Knab' ein Mägdlein lieb; sie flohen heimlich vom Hause fort; es

lichung dieses Bildes wohl gerechtfertigt erscheinen. Die vierzig Unsterblichen wussts weder Vater noch Mutter." Nun sind sie in fremder Gegend angekommen

waren an jenem Tage nicht vollzählig erschienen; aber der Kreis von Berühmt- und in einem unbekannten Wirtshause abgestiegen. Die Pferde stampfen

heiten der sich um den Zaren schlingt, weist doch eine grosse Zahl von her- ungeduldig vor dem Hause und es wird auch nicht lange Zeit zur Rast geben,

vorragenden Franzosen auf, dass sich ihre nähere Betrachtung lohnt. Da sitzen denn die Reise muss weiter gehen. Der junge Mann hebt sein Glas und trinkt

sie, dieCelebritätenFrankreichs,in bunterReihe: Maria Louis Gaston Boissier, offenbar auf den glücklichen Ausgang der gewagten Reise, aber die rechte

der Geschichtsschreiber des römischen Kaiserreichs; Victorien Sardou, der fröhliche Stimmung will sich nicht einstellen. Wohl schaut auch das junge

Bühnendichter; Ernest Legouve, der Dramatiker und Romanschriftsteller; Mädchen mit Augen der Liebe, mit innigster Zärtlichkeit auf den Auserwählten

Rene Francois Armand Sully - Prud'homme, der Epiker und Lyriker; ihres Herzens, aber es ist ihr doch traurig zu Mute. Man reisst sich nicht

so

Eugene Marie Melchior, Vicomte de Vogue, der Historiker und Kritiker; leicht los vom Mutterherzen und Vaterhause. — Und mehr als einmal hat jene
Julien Siaud, der unter dem Pseudonym Pierre Loti bekannte Roman- alte Geschichte geendet, wie Heinrich Heine sang: „Sie sind gewandert hin und
Schriftsteller; der Mathematiker Josef Bertrand; der dramatische Dichter her, sie haben gehabt weder Glück noch Stern, sie sind verdorben, gestorben."
 
Annotationen