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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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14. Heft
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Bethusy-Huc, Valeska: Wanderndes Volk, [1]: Roman
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Georgy, Ernst: In der Markthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0354

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MODERNE KUNST. . 221

„Ich habe Hardy lange nicht gesehen," sagte Liska. Während der Weihnachts-
ferien war Herr von Doltau krank gewesen und Liska infolgedessen nicht nach
Tannwald gekommen, und während der langen Sommerferien hatten verschiedene
Badereisen der Tannwalder und der Rochtitzer die Familien auseinander geführt.

„Ich glaube, er ist im letzten Jahre noch gewachsen, Du wirst sehen, wie
gross und breit er ist," sagte Jutta. „Komme nur morgen ein bischen vor den
anderen Gästen, Liska, da können wir noch plaudern, denn jetzt muss ich
zurück!" — Die Mädchen verabschiedeten sich.

„Hardy ist da, endlich werde ich ihn wiedersehen!" klang es in Liskas
Seele nach, während sie einsam zwischen den Feldern dem Hofe von Rochtitz
zuschritt. Und es war ihr, als läge ein goldiger Schein über der Landschaft um
sie her und als jubelten die Lerchen alle um die Wette: er ist da, er ist da!

Freilich — die Lerchen meinten den Frühling, aber Liska meinte Hardy.

In ihrer ländlichen Einsamkeit hatte sein Bild sich, trotz der langen Trennung
nicht verwischt, für Liska hatte es sogar durch die Entfernung noch gewonnen.
Als Liska und Hardy Kinder waren, hatte man sie das Brautpaar genannt. Dann,
als Hardy die Universität bezog, hatten beide es für nötig gehalten, den „anderen"
recht ostentativ zu zeigen, dass es aus sei mit den Kindereien. Sie nannten sich
nun „Sie" und suchten sich gegenseitig mit ihrem Erwachsensein zu imponieren.
Aber gerade als diese äussere Metamorphose sich vollzog, begann Hardys Bild
einen besonderen Platz in Liskas Herzen einzunehmen. Sie machte ein so tiefes
Geheimnis daraus, dass selbst Jutta es nicht ahnte, denn je mehr sie sich in
Gedanken mit Hardy beschäftigte, um so mehr fürchtete sie die alten Neckereien
wieder auftauchen zu sehen. Sie dachte jetzt an das letzte Zusammensein mit
Hardy, gerade vor einem Jahre. Damals hatte er mit Hugo über sozialpolitische
Fragen debattiert und Liska war alles, was er sagte, wie ein Evangelium er-
schienen; aber als sie dann dasselbe Thema mit ihm weiterspinnen wollte, hatte
er sie geneckt und es war kein ernstes Wort mehr aus ihm herauszubringen ge-
wesen. „Einmal sprechen wir aber doch noch über all diese Sachen" dachte Liska.

Sie las ihrem Vater jeden Abend die Zeitungen vor, sie las auch viel für
sich in Büchern, auf die sie durch die Zeitungen aufmerksam gemacht worden
war und die sie sich schicken liess. Da wollte es ihr oft scheinen, als stünde
sie mitten in einer seltsamen, nach neuem ringenden und das Alte abstreifenden
Zeit und als könne man das alles auch anders beurteilen wie ihr Vater, der
sich streng ablehnend gegen alles Neue verhielt, oder auch wie ihr Schwager
Hasso Settier, der das „Neue" immer gleich in das Nutzbringende übersetzte.
So sehnte sie sich oft nach einem Menschen, der jünger war als jene beiden
und doch erfahrener, als sie und Jutta war, mit dem sie all das hätte besprechen
können, was ihr manchmal durch den Kopf ging. Und sie glaubte, Hardy müsse
dieser Mensch sein.

In der Nähe des Hofes begegnete Liska einem Trupp junger Burschen, die
Sensen über den Schultern trugen. Sie grüssten in einer besonders unter-
würfigen Art, indem sie mit den Knieen einknickten, als wollten sie einen Fuss-
fall thun, und ihre Mützen tief zur Erde herabsenkten.

Liska dankte ihnen freundlich und dabei flog es ihr durch den Sinn, dass sie in
Tannwald, wo die Galizier schon seit einigen Jahren jeden Sommer arbeiteten, die
Leute nicht mehr in dieser Weise, sondern nur einfach höflich hatte grüssen sehen.

„Ich will doch Hardy fragen, ob er nicht auch meint, dass diese Leute sich
vielleicht hier mehr als Menschen fühlen lernen wie in ihrer Heimat, gerade so
wie unsere Leute finden, dass es in Sachsen besser ist als hier," dachte Liska.
Vielleicht war dieser Wandertrieb der Massen doch nicht bloss eine „Magen-
frage", wie ihr Schwager Hasso Settier meinte, sondern es lag ihm auch ein
gewisser Bildungstrieb zu Grunde. Und Liskas Phantasie malte sich ein langes,
ernsthaftes Gespräch mit Hardy aus und dazwischen sah sie seine Augen vor
sich und hörte den Klang seiner Stimme, bis sie mit hochroten Wangen das
Vaterhaus erreichte und ihrem Vater, der unter der Hausthür nach ihr Ausschau
hielt, zurief: „Die Braut ist in Tannwald angekommen, Jutta war bei mir, um es zu
erzählen, und — und Hardy ist auch wieder zu Hause, Papa! [Fortsetzung folgt.]

arkthalle.*) 4P

Ernst Georgy.

—•——- [Nachdruck verboten.]

^ ritze, fahren Se mal 'n Topp Kaffe uff; aberscht recht heess! — Karle, Ohne sich bei dieser Thätigkeit stören zu lassen, hob er plötzlich den Kopf und

willste 'ne Stulle zufuttern? — Nee? — Woll'n wa üppig sind, un' uns brüllte mit seiner tiefen, heiseren Stimme: „Maier!"--„Wat willste?" erscholl

mal 'n Stickskcn jeriebenen spendieren oder Musschnecken?— Du, Oller, es dumpf aus einiger Entfernung. — „Haste ville Jroschens?" - - „Massen-
der Vormittag war jut, jaunre nich um die paar lumpichten Sechslinge, herste? bach!" — - „Na, bong, dann schick mich mal für drei Märker welche riber!"

--Na, also, wo dadrum sagste et denn nich in richtjen Momang! — Haste — — „Fällt mich nich in Traum in, brauch selber welche! Zwanzig werdens

vastanden, Fritze?"--„Jewiss doch, Frau Huppke, ick bin doch nich schwach och thun!"--„Du Lump, infamigter!" —

uffs Trommelfell!" lautete die Antwort des Schlingels. — „Na, denn loof und 'n Auf dieses freundliche Kosewort erfolgte nur ein dumpfes Grunzen. Gleich

bisken allong, um finfen wird uffjemacht un 's is bald so weit. Man nur noch darauf erschien aber Maiers Jüngster und tauschte sein Kleingeld gegen ein

zehn Minuteken!" Zweimarkstück ein. Mit frechem Ausdruck blieb der hoffnungsvolle Knabe

Der jugendliche Kellner der Markthalle, Nummer 50, sprang davon und stehen: „Na, Herr Huppke, darf ick mir mal 'ne Vertrauensfrage jenehmigen?"

nahm unterwegs noch eine ganze Reihe anderer Aufträge in Empfang. Iii---„Wenns durchaus sein muss, los?" antwortete der Schlächter zerstreut,

zwischen ordnete die dicke Huppke noch einmal ihre Fleischwaren in dem denn er zählte wieder.--„Sagen Se mal, Se haben woll Ihre eijene Zunge

sauberen Verkaufsstand, über dem ihr Namen prangte. Sie band die schmutz- in Pöckel liegen?" — — „Nanu?"--„Ick dachte nemlich, det man hier zu

starrende blaue Schürze ab und liess sie unter dem Ladentisch verschwinden. Lande ,Danke' sagt, wenn einer enen 'ne Jefälligkeit erweist. Det is wollst

Darauf nahm sie eine steifgestärkte weisse vor und knotete sie mit festen aber bei Ihnen in Reinickendorf nich mehr Mode?"--

Griffen um ihre behäbige Taille. Ein riesiges dreieckiges, selbstgestricktes Tuch »Hör mal, Justav, wenn De meinen Mann noch eenmal mit Deine un-

wurde um die Schultern gelegt, im Rücken zusammengeknöpft und über der jewaschene Redensarten sterst, denn mach ick Dir Beene!" meinte Frau Huppke

üppigen Brust mit einer Sicherheitsnadel befestigt. — Als dies geschehen, blickte mit verheissungsvollem Gesicht. Und siehe: Gustav trollte sich sofort. Die

sie in den winzigen Spiegel an der Hinterwand der Zelle, spie in beide Hände rührige Madame liess nicht mit sich spassen! —

und polierte mit ihnen noch einmal die glänzenden Scheitel vor dem mit brennend Der kochendheisse Kaffee und zwei köstliche, schmalzduftende Kuchen-
roten Rosen besetzten Kapottehütchen. Die Toilette war beendigt — die Kunden stücke wurden gebracht. Bei diesen verlockenden Düften liess Huppke Kasse —
konnten erscheinen. — Die Huppken und ihre Waren sahen patent aus! — Dies Kasse sein und kam herbei. Die Bestellung wurde sogleich bezahlt. (Für An-
war nämlich ihr höchster Ehrgeiz. schreiben waren Huppkes nicht; denn er meinte selbst: er sei kein Dallesmajor,
Während sie das saftige Rindfleisch mit sondern hätte Moos in die Pinke.) — Mutter füllte die beiden Blechtöpfe und
kosendem Streicheln in das rechte Licht rückte, that Zucker und Milch hinzu. Dann liess auch sie sich nieder und verschränkte
machte Herr Huppke die Wechselkasse. Seine in behaglicher Erwartung des kommenden Genusses die beiden Hände um das
dicken, stark verfrorenen Hände ordneten die heisse Gefäss. Darauf pustete sie fest und trank einige Schlucke. Ihr Blick
Münzen in die verschiedenen Abteilungen des wanderte und blieb auf dem Gemüsestand der Witwe Müller haften. Auch diese
geflochtenen Drahtkorbes. Dabei zählte er widmete sich gerade ihrem Vesper. „Sagen Se mal, Müllern, was haben Se jetzt
halblaut und schrieb die gewonnenen Zahlen immer für'n famostes Plüschcape um oder is det richtiger Pelz? — Wirklich
mit einem Bleistift in das fettige Notizbuch. ein schönes Stücke!" bewunderte sie neidlos. Die Witwe lächelte geschmeichelt.
•) Beifolgende Skizze ist dem demnächst erscheinenden — „Na," entgegnete sie, „es jeht! Echt is es woll nich! Das heisst, sie haben's

satvrischen Humoreskenband: „Die Berliner Range über ■ . tt- • i • i i , i ■ i i t> «

,. .. ... ,, . ., ,,. . n , mir vor geschontes Kaninchen anjedreht; aber warm is et, und des lutter,"

die Berliner Dienstboten" von tirnst Georgy ent- D J ' I I

nommen. Die Dienstbotentrage ist jetzt in der ganzen Welt sie lüftete den Kragen, „jesteppter Wollatlas auf Watte. Nach wat aussehen

zu einer brennenden geworden. Anstatt bestehende Mängel tJjUt es!"--„Ob lüch! Kost' woll auch 'n Batzen?"--„Och, nee, läSSt

von Seiten der Herrschaften und der Dienenden langsam und . , .

praktisch zu heben, hetzt eine übelangebrachte und falsch ver- slch halten> bloss neun Marker und ne gehäkelte Wollweste mit Aermeln muss

standene Humanität die Dienstboten auf das Unerhörteste auf. ich drunter ziehen, sonst is et doch zu kalt in de Halle!" — — „Was Se sagen!"

Georgy ndgt uns in realistischer, lustiger Weise die sogenannten wunderte sich die Huppke. „Is woll von Wertheim oder Jandorf?"--„Nee,

weissen Sklaven in ihrem Ihun und treiben. Das im Verlage ... * " '

von Rieh. Bong, Berlin w.57, Preis 1 Mark, erscheinende seit die ihre Paläste bauen, habe ich keene rechte Traute mehr for die Leute.

Buch wird in allen Kreisen viel Anklang finden. Mit photo- lch red' mir immer ein, dass ich dann zwee Bausteine und 'nen halben Maurer

graphischer Treue werden „Herrschaften" und Dienstnehmer _. , ru ,. ,.,.,.,„ . _ , , .

in den einzelnen Skizzen gezeichnet. Die derbe Komik und die mit draufberappen musste, hihihi!" Der Witz amüsierte alle Zuhörer mächtig

parteilose Wahrheit haben noch nie ihren Eindruck verfehlt! und wurde mit grossem Gelächter belohnt. „Ich hab' des Ding von der Cousine

XIV. 14. III.
 
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