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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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14. Heft
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Georgy, Ernst: In der Markthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0355

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MODERNE KUNST.

von meinem Seligen seinen Brudersohn, die hat 'n Resterfritzen jeheiratet.
Wohnen in meine Jejend! Jehen Se doch mal hin, Frau Huppke, Se kaufen da
sehr reell ! Warraftig!" ermunterte sie.

In das Gespräch über Pelz- oder Pelücheumhänge, gestrickte Tücher oder
richtige Jacken verwickelten sich jetzt mehrere Frauen. Eine jede pries die Vor-
teile ihres Kleidungsstückes und versuchte, die andere zu überzeugen. Der
Zeiger rückte auf fünf Uhr. — Der Wächter liess die verschiedenen Zugänge
öffnen; aber der Kundenbesuch war vorläufig noch recht schwach und verstärkte
sich wie gewöhnlich erst mit dem Abend. So hatten denn die Verkäuferinnen
noch Zeit genug, ihre Unterhaltungen fortzuführen und machten davon den er-
giebigsten Gebrauch.

Eine Dame in einem langen Pelzmantel kaufte erst bei der ,Müller', darauf bei
der ,Huppke' und ging dann die Reihe durch, in einem anderen Gange ver-
schwindend. — „Dunnerkiel, haben Se die Brillanten und den Pelz jesehen, das
nennt man nobel!" meinte die Fischhändlerin Grieseberg und liess die lebendigen
Hechte ins Wasser zurückklatschen. Sie hatte sie mit dem Netz herausgefischt
und auf ihren Blechplatten mit Abflusslöchern anlockend ausgebreitet.

„Kenn' Se die nich?" rief die Huppke, „das is ja de reiche Berg von
Kurfürstendamm? Die jiebt de jrössten Fetze und bestellt allens beim Koch; aber in
de Woche, wenn se mit ihren Ollen alleene sitzt, dann futtern se schlechter wie
unsereins, so'ne mierigen Knöppe!" - — „Wat Se nich' sagen, Huppke!" sagte

die Müller. „Woher wissen Sie denn det?"--„Na, die Emilje, wat der Berg

ihre sojenannte Kochköchin is', die kauft bei mir allens. Dat heesst, merschten-
deels Knochen zum Auskochen oder Kottletter, was uf'n Jas recht schnell jeht.
Vor Kottletter un' Kartoffel halten sich die Leute nu 'ne Kasinomaid mit neunzig
Thalers un' Kostjeld! — Die Emilje hat neulich fast jeweint. Se sagt, wenn det
ville Trinkjeld nich' wäre, blieb se keene Stunde ins Haus. Was nutzen sie
denn all' die nacklichen Kunstwerke in die Salönger bei ihr poplichtes Ge-

koche? Davor hätt'se nich'jelernt!" - - „Recht hat se!"----„Na, überhaupt!

durch die Mechens hört man doch noch was Jescheutes!" rief die Obstfrau Hele.
„Heute morgen hat mir Doktors Luise von nebenan erzählt, ihre Fräuleins —
kennen Se denn de beiden blonden Hopfenstangen nich? Sie jehen jleich je-
kleidet und koofen immer bei die Punkschen Blumen!" sie verstellte die Stimme
und piepste: „bitte, liebe Frau Punksch, recht viele Blumen und recht frische,
nein, die sind aber nicht schön und so teuer. Alte Kunden wie wir bekommens
doch billiger? — Und dann handeln sie 'ne halbe Stunde, bis die Gärtnersche
'nen Jroschen runterlässt"--

Eine Dame mit einem Kind ging vorbei und sah sich spähend die Auslagen an.

„Zehn Bund Radieser noch for ein' Groschen!"

„Frische Aeppel, Birnen! Na, wie is es mit die Nüsse, Madamchen?"
„Sehr gutes, schieres Fleisch, gnädche Frau, ich schneid' es Ihnen mitten
aus die Keule!"

„Flundern, Karpfen, Hechte, heute angekommen! Treten Sie doch näher!"

,,'n letzten juten Kohl, Frauchen! Denken Sie doch, 'ne saftche Jans und
Rotkohl! Das lieben selbst die Jötter uff'n Sonntag!"

Vergebens, die Fremde eilte weiter.--Frau Hele verbeugte sich tief:

„Na, denn nich', meine Liebe, denn haben wir eben jescherzt!" Und in die
Höhe schnellend, fuhr sie, nach einem kräftigen Nasenschneuz in ihre Schürze
fort: „Also, wat die Luise erzählt, wollte ich Ihn' doch sagen. Heren se man
bloss: Doktors Töchter kriegen nischt mit und sind furchtbar hinter die Männers
her. Luise hat neulich jesehen, dass die zweite sich mit einen Herrn, der sie
nach Haus brachte, in 'n Flur abjeknutscht hat. Un' am andern Tage hat se
sich mit ihren Vetter beleckt. Wie die Verrückten sind se auseinanderjefahren,
als Luise in't Zimmer rinkam. Und was die Aelteste is, die hat sich endlich
so'n langen Lulatsch anjeschafft! meint Luise. Mit dem hatte se sich mächtig
und er mit sie. Drei Wochen jing det Jefippsle hin und her. Doktors waren
selig. Gestern aber, kurz vors Oeffentliche, haben se bei Tisch jekracht. Er is'
wechjejangen und hat 'n Brief jeschrieben mit de Rohrpost. Nu liegt det Fräulein
1211a heute in ihr Zimmer injeschlossen und heult und hat Mijräne. Un' Luise
sagt, bei Doktors wäre Gewitterschwile. Der Alte wird sich aber nach seine
Sprechstunde donnernd loslassen!"

„Weil Se Doktor sagen, Hele, fällt mich die Anna von Doktor Ipschmidt an
de Ecke ein. Die is man jewöhnliches Mechen for allens; aber se lässt sich
Fräulein und Wirtschafterin nennen. Det klingt besser und sieht aus, als ob er
zu thun hätte. Ja, Kuchen, während seine Schweigestunde hihi — platzte die Müllern
'raus — liest er Romane oder schreibt Liebesbriefe an seine Donja. Die Meebels
sin' uff Abzahlung. Neulich hat een Unjlückswurm vor seinem Hause sich die
Pote verstaucht, er hat jeholfen und 'ne Mark vor gekriegt. Hat er sofort vor
Freude seine Freunde mit Hummern und Schampanjer traktiert! — Anna sagt,
seine Eltern müssen ja schliesslich doch berappen, die hätten's zwar och nich
dicke; aber warum lassen se ihren Sohn Arzt studieren. Es jiebt doch noch

anere Berufs, wo man eher zu was kommt!--Aber se jeht von ihm nich'

weg, die Stellung wäre sehr bequem, Essen jut, und das Lohn hat se och immer
richtig jekriegt!--Wisst Ihr, wat ick jlaube?"--

„Er wird ihr woll ihr Herze kurieren, die sieht mich janz danach aus, un
hibsch is se!" — unterbrach die Huppke lachend. Sie hatte sich grade mit ihrer
Hutnadel die Zähne ausgestochert und steckte jetzt das Instrument wieder in
ihre falschen Zöpfe. — „Scheisslich, wie sich det Mus festsetzt, der reine Leim!" —
schalt sie. Jedoch wurde ihr Gesicht auf einmal sehr liebenswürdig. — „Guten

Abend, Fräulein Justchen, Jott, haben Sie sich heute hübsche rote Bäckchens
geholt! Stehn Ihn' famos zu Ihr dunkles Haar und die braunen Augen; wenn
das der Schatz sähe, ei, ei!" —

Die Huppke drohte dem herangetretenen Mädchen mit dem Finger. Auguste
lachte geschmeichelt und öffnete den Korb. Sie nahm einen Zettel heraus und
las: „Also: vier Pfund Rindfleisch; aber recht saftig! Sechs Pfund Schweine-
fleisch, nicht zu fett! Ein paar Knochen, und forn Sonntag 'ne Kalbskeule, aber

'ne schöne! Die Frau kommt Sonnabend selbst her, sie sich abzuholen!--

Wenn die olle Zicke nich' immer allens aufschriebe, jinge es auch, was, Frau
Huppke; aber sie meint, wir Mädchen liessen uns allens in die Hand stechen?"
— — „Na, die is'n bisken Lititi!" — beteuerte die Schlächterin und begann die
Ware zu durchschneiden und abzuwiegen. — „Bei Bauerntrampels kann se das
woll denken; aber bei so'n kluges, jebüldetes Mechen wie Sie, lachhaft! Na,
was macht er denn?" — — „Sonntag gehn wir zu Schippanowsky, hat er
jeschrieben!" — „Das ist recht!" — lobte die Huppke und that schnell etwas Fett

auf die Wagschale — „Na, haben Se'n denn in de Woche nich' gesehen?"--

„Ne, ich kann ja nich' weg. Alle Abend is bei uns Besuch!"--„Da soll

doch der Deibel 'rinfahren!" — — „Soll er auch! — bestätigte Auguste und

beugte sich vertraulich zu der Verkäuferin — „hören Sie, Fluppkechen?"--

„Wat denn, mein Engel?" — Die Köpfe näherten sich, so dass die Magd das
Folgende flüstern konnte: „Unsere Frau ist ja ein grosser Dämlack und hat keine
Ahnung von die Fleischpreise. Schlagen Sie man ruhig einen Jroschen pro
Pfund auf, dann teilen wir ehrlich, nich' wahr?" — — „Aber, Justeken, selbst-
verständlich!" — sagte die Schlächterin und liess es ruhig geschehen, dass ihr
Gatte das Mädchen auf die drallen Wangen klopfte und unter dem Arme kitzelte.
Die beiden lachten und ulkten miteinander. Frau Huppke packte den Einkauf
in den Korb. Sie schmunzelte: „So, Herzeken, und den Jroschen mehr fürs
Pfündchen stechen Sie man ruhig ein. Ich verrate nix, und werde sehen, dass
ich bei meine andern Kunden auf meine Kosten komme!"

Nach einigen weiteren Fragen und Antworten, trollte sich Auguste. Sie
war sehr froh über ihren heutigen Verdienst. Mein Himmel, so ein paar kleine
Schmuhgroschen waren doch beileibe kein Diebstahl, sondern einfache Pflicht-
zinsen von der Herrschaft an die geplagten Dienstmädchen! —

„Die dumme Trine kommt wieder!" — sagte die Huppke leise zu ihrem
Manne, — „die muss man bei ihre Eitelkeit packen. Du verstehst et ausgezeichnet
mit die Mechens, mein oller Karle! (Das -r- dieses Namens schenkte sie sich
zwar stets.) — Eine March hat die nu' bei uns in alle Eile verdient! Na, -
wir kommen ja och nich' schlecht dabei wech! Et is wirklich fir uns am besten,
wenn die Hausfrauen ihre Mechens zum Einholen schicken! Dabei kann man
ihnen dann wenichsten immer die Preise uffschlagen und brauch och mit de Ware
nich' so ängstlich sind!" — —

„Na, Emma, des is nett, dass Sie mir mal wieder beehren!" — lobte Frau
Müller eine alte Kundin — „Suchen Se man raus oder soll'n 's Hülsenfrüchte
sind? Na, wie Sie wünschen? Sie sehen blassken aus, was is denn passiert?" —

Emma machte ein noch zornigeres Gesicht und biss sich auf die Lippen.
„Jeken, Jeken! Sprechen Se sich doch aus, armet Ding!" — — „Dieser alte
Satan!" — sprach sich Emma jetzt wütend aus — „den ganzen Tag schuften und
plagen! Und was ist der Dank davor? Nichts wie Jenörgle und Zanken! Bei
sone Frau bin ich aber noch nie jewesen! Mit allen macht se's so, selbst mit'n
Herrn. Nachher kommt er in die Küche, nimmt mich um die Taille und tröstet
und streichelt mich. — Ich soll man nich' böse sein. Seine Frau wäre Schrift-
stellerin, und die sein alle etwas nervös, meinten es aber gut. Na, und dann
macht er faule Witze" - - „Dann fällt wohl auch manches Küsschen vor Ihnen
ab, bei solchen Tröstungen?" — fragte die Müller mit glitzernden Augen. Emma
wurde sehr rot und augenscheinlich sehr verlegen; aber sie sagte brummig:
„Auch noch, dem stiege ich aufs Dach, wenn er frech wäre! Ne, dazu hat man

doch andere!--Aber ein Fünfgroschenstück schenkt er mir und--„Aber

Emmchen, dabei wär' doch nichts! Der lange, äx, wie heisst er doch gleich?

Der--—, na, hol'n der Deibel, er is och Schriftsteller! Der is in Sommer,

als seine Olle im Bade war immer mit sein Hausmädchen in'n Jrunewald gefahren!
Ueberhaupt, da könnte ich Ihnen wat zum Besten jeben."--

Die beiden plauderten noch über das interessante Thema weiter. Es war
ja ergiebig genug. Mittlerweile war die Fischfrau Grieseberg auch stark be-
schäftigt. Sie fischte wiederum verschiedene Prachtexemplare aus den Bassins
und zeigte sie mit übersprudelnden Lobeserhebun gen einer sehr anständig ge-
kleideten, älteren Dame: „Also soll ich sie erst totmachen, Frau Professor, oder

macht das Ihre Albertine?--Wie Sie wünschen, mich macht das ja weiter

nischt aus. Unsereins ist dran gewöhnt und leid' nich an Nerven!" — Sie
tötete die gekauften Tiere und blickte in das sorgenvolle Gesicht ihrer Kundin.
„Frau Professor sehen een bisken anjejriffen aus!" - - „Ach, liebe Grieseberg,
Sie kennen ja die Sache auch, Sie halten sich ja auch einen Dienstboten. Es
ist schrecklich mit den Personen! Dieser Widerspruchsgeist, diese Frechheit
und Faulheit! Es wird immer schlimmer mit ihnen! Heute hat mir Albertine
für vier Mark Geschirr zerbrochen, wirklich aus reiner Fahrlässigkeit. Und das
ist doch eine Summe!"--

„Na, aber, Frau Professor! Unerhört, so ein Trampel! Na, die würd' ick
aufn Drapp bringen! .Bezahlen liess ,ich' ihrs bestimmt! ,Ich' zöge es ihr von
Lohn ab!" versicherte die Händlerin wütend. — „Damit sie mich im ganzen
Hause 'rumbringt, nein, das geht wohl doch nicht! Obendrein ist es wirklich
 
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