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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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19. Heft
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Kraus, Annie: Fan: Novelle
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Unsere Bilder, [15]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0470

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3C8

MODERNE KUNST.

Zehn Jahre waren vergangen. Robert lebte noch immer in dem Land-
städtchen, in welches ihn damals sein Schicksal geführt. Er hatte keinen
Ehrgeiz, kein Streben nach vorwärts. Wozu auch? Er besass weder Weib
noch Kind. Von Fan hatte er nur wenig mehr vernommen. Das Wichtigste
darunter war ihre Vermählungsanzeige. Sie war die Gemahlin eines
Grossindustriellen geworden, der sich eines fabelhaften Reichtumes
rühmte. Das glänzende Leben hatte sie erreicht. Ob sie glücklich war?

Glücklich — unglücklich! Was für entgegengesetzte Lose! Und
doch liegt dazwischen ein drittes, das die meisten Menschen trifft:
glücklos! Ohne Leid, aber auch ohne Freude, ohne Kummer, doch auch ohne
Jubel! Eine gewisse Oede und Stumpfheit erfüllen Sinn und Seele. —

So war es auch um Robert bestellt. Der leidenschaftliche Schmerz
um Fan war ja wohl verrauscht, jedoch es gab kein lebensfrisches Fleck-
chen in seinem Herzen. Sein Beruf war der Inhalt seiner Tage und er
erfüllte ihn freudigst! Das ist viel und doch nicht genug — Fan konnte
er nicht vergessen —. Eines Tages erhielt er ein schmales, nach Ylang-
Ylang duftendes Briefchen. Es schloss nur wenige Zeilen ein.

„Ich bin krank, Onkelchen, und möchte Sie noch einmal sehen!
Werden Sie kommen?"

So schrieb Fan. Schmerz, Liebe und Hoffnung sprudelten in ihm
auf; Angst und Sorge hetzten ihn. Nach einer Stunde schon reiste er.

Gegen Abend war er am Ziel. Zu seiner Verwunderung war der
Aufenthalt der jungen Frau ein höchst abgelegenes Landgut, still und
einsam am Walde. Ein alter Diener empfing ihn und geleitete ihn ins Haus.

„Ist die gnädige Frau sehr krank?" fragte Robert.

„Madame ist dem Sterben nahe!" lautete die traurige Antwort.

„Ist ihr Gatte bei ihr?" — „Nein! Madame wollte ihn nicht! Aber gegen
ihren Willen gab ich ihm doch Nachricht — er kam nicht! Bis jetzt nicht!"
flüsterte der Mann.

Robert war bestürzt; er zitterte vor Schrecken. Er musste um Fassung
kämpfen, ehe er in das Krankenzimmer ging. Sein Herz hörte auf zu
schlagen, als er über die Schwelle trat. Da lag Fan vor ihm, die Geliebte

seiner Jugend und sah ihn mit weiten, flackernden Augen an. Bleich,
abgezehrt, mit hektischen Rosen auf den Wangen, völlig verändert lag sie
auf den Kissen. Selbst das reiche, blonde Haar war fahl und glanzlos.
Sein ärztlicher Blick erkannte sofort das tückische Leiden, welches die
Ursache dieser Zerstörung war.

Sie winkte dem Doktor, der an ihrem Lager stand, und dieser verliess
den Raum. Dann streckte sie Robert die weissen, durchscheinenden
Hände entgegen. „Onkelchen — Freund — Robert —"

Er vermochte kein Wort zu sagen. Sie schauten sich schweigend in
die Augen. „Sie hatten Recht, Robert! Des Lebens gleissender Schimmer
ist nur Trug und Schein und — und Schlimmeres noch! Ich habe schlecht
gerechnet. — Nicht einen einzigen solch' schönen Sommer wie damals —
zusammen mit Ihnen — hab' ich wieder erlebt! Nicht eine einzige so
schöne Stunde. — Meine Hoffnungen haben mich betrogen — all der
Glanz und Flitter hat mich enttäuscht. — Ich suchte das Glück auf einem
falschen Wege!"

„Sie waren nicht glücklich, Fan?" brachte er leise über die Lippen.

„Glücklich?" Wie sie ihn anblickte! So gross und mächtig und doch so
voll heisser Angst, denn die Zuckungen des nahen Todes schüttelten ihren
Körper. Er nahm sie sanft in seine Arme und trocknete ihre feuchte Stirn.

„Liebst Du mich noch, Robert?" flüsterte sie.

„Immer noch, Fan! Meine Liebe für Dich ging nicht vorüber!" Er
sprach es mit Thränen in den Augen. Sie lächelte, traumhaft, überirdisch.

Mit ihrer letzten Kraft schmiegte sie sich an seine Brust und stam-
melte: „Jahrelang litt ich — an bitterer Erkenntnis — an Reue — an
Sehnsucht. —. Nun bin ich wieder glücklich, vollkommen glücklich -
wie einst als Mädchen — im Sommer, als die Rosen blühten — und die
Welt voll Sonne war. — Glücklich — vollkommen glücklich-----"

Eine Stunde später lag Fan weiss und reglos auf dem Lager. Robert
hatte ihr die Augen zugedrückt. Nun lehnte er am Fenster und starrte
mit zuckenden Lippen über den Wald hin, der mit den bunten Flammen
des Herbstes gezeichnet war und melancholisch rauschte.

i enn an den hellen Tagen des Vorfrühlings die Sonne zum ersten Male in Schweifungen das „Reich der Wiedertäufer" errichtet. An äusserem Glänze

neuem Glänze über die Welt scheint, so wird sie freudiger begrüsst als wollte der Souverain keinem sonstigen Potentaten nachstehen. Alle Bürger und

im Sommer, da sie doch noch heller strahlt. Das ist kein Wunder. Das Auge Einwohner Münsters hatten sich zur neuen Lehre zu bekennen oder sofort aus-

des Menschen ist während der Winterszeit dem lichten Strahle der Sonne zuwandern. Die „neue" Lehre fand so schnell Anhänger, dass sich in wenigen

entwöhnt worden, es hat zu lange über das eintönige Graubraun der winter- Tagen kein „Ungläubiger" mehr in Münster befand. Es gab kein Privateigentum

liehen Natur geblickt, das ja höchstens von dem Weiss des Schnees unterbrochen mehr; Gütergemeinschaft wurde eingerichtet und das Prinzip der Vielweiberei

wurde, darum geniesst der Mensch die bunte Pracht der neuen Frühlingssonne wurde von Bockholds Priestern religiös geweiht. Im Reiche Zion, in dem

mit doppelter Freude und lässt den frischen Farbenglanz voll Wonne auf sich Reiche ungetrübter Freude und Glückseligkeit war die Frau ihrer sozialen Würde

wirken. F. G. Müller-Breslau hat in seinem Bilde „AmBache" diesen Eindruck und Weihe beraubt. Die zum Staatsgesetz erhobene Tendenz der Unmoral

mit Geschmack und Sicherheit festzuhalten verstanden und wer sein Auge länger suchte Johann von Leyden im Taumel wilder und lüsterner Leidenschaften voll

darauf ruhen lässt, wird spüren, dass diese künstlerische Absicht voll erreicht ist. auszunützen. Den blühenden, im Liebreize jungfräulicher Schönheit strahlenden

t* * * Töchtern Knipperdollings wandte er zuerst unter dem Beifall ihres unnatürlichen
r. Aug. Kaulbach, dessen anziehendes Bild „Der Erbe des Schwertes" Vaters die Gnade seiner sinnlichen Gunst zu, dann fesselte die schöne Witwe
die vorliegende Nummer schmückt, hat sich von jeher für das intimere Genre Johann Mathys, die mit physischer Anmut Grazie des Geistes verband, sein
interessiert; fast alle seine derartigen Gemälde sind im Stile der deutschen Auge und Herz und allmählig erhob er sechszehn Frauen aus den Bürgerkreisen
Renaissance gehalten; seine Burgfräuleins, Edeldamen und Patriziertöchter zu der entehrenden Stellung von Sultaninnen. Natürlich wirkte das Beispiel des
werden von allen Kunstfreunden hochgeschätzt. Aus dem vorliegenden Bilde Königs ansteckend auf die grosse Menge des Volkes. Das Knappsche Bild zeigt
weht uns eine rührende Empfindung entgegen. Die junge Mutter hat das Glück Johann von Leyden bei der Ausübung seiner eigenartigen Regententhätigkeit
ihres Lebens, ihren kampfesfreudigen Gemahl verloren; all ihre Hoffnung, das und in den Einzelfiguren wird die Anteilnahme des Volkes symbolisiert. Der
Glück ihrer Zukunft ruht nun auf ihrem Knaben. Der ist wohl jetzt noch kein Tag des Gerichts ist bekanntlich auch für Johann von Leyden gekommen. Der
Held. Das Schwert des Vaters hält er noch ohne Bewusstsein seiner Zweck- mit Heeresmacht heranziehende Bischof von Münster bereitete der ganzen Herr-
bestimmung im Arme, aber einst wird der Tag kommen, an dem der zarte lichkeit am 24. Juni 1535 durch eine erfolgreiche Belagerung ein Ende. Johann
Knabe zum kräftigen Jüngling erblühte; dann wird er das Schwert des Vaters von Leyden wurde, verlassen von den Seinigen, auf schmählicher Flucht gefangen
fester fassen und kühner schwingen und die Augen der Mutter werden selig genommen. Erst in eisernem Käfig als warnendes Beispiel den Volksmassen
aufleuchten im Mutterglück und Mutterfreude. vorgeführt, fand er, der sich nach eigener Wahl „der Gerechte" genannt hatte,

#* * * an dem Platze, an dem sein Thron einst gestanden, durch Henkershand Strafe

as grosse vielfigurige Bild: „Der König von Zion" von G. Knapp für Verbrechen, die er zur Schande der gesamten Menschheit verübt hatte,
veranschaulicht eine merkwürdige Episode aus der Geschichte der Wiedertäufer * * *

in Münster. Diese Sekte aus der Reformationszeit erwartete bekanntlich die W^ie hellenische Göttin Demeter, die mütterliche Erdgöttin, führt auch den

Wiederkunft Christi und die Aufrichtung des neuen Jerusalems. Den Grundsatz, Beinamen „Chloe", d. h. die Keimende, Grünende, als Schützerin der keimenden

dass ein im Sinne ihrer Lehre Wiedergeborener nicht mehr sündigen könnte, Saat. Ihr zu Ehren wurde das Frühlingsfest Chloeia begangen, das in unseren

missbrauchten sie als Freibrief zu den grössten Ausschweifungen. An der Spitze Monat Mai fiel. A. Schräm hat das Knospende, Keimende, Liebliche, Anmutige,

der Wiedertäufer in Münster stand zunächst der Bäcker Joh. Mathys aus Haarlem, das wir mit einer Chloe unwillkürlich verknüpfen, ungemein zart zum Ausdrucke

später der ehemalige Schneidergeselle Bockold aus Leyden, der sich 1533 als gebracht. — Jos6 Mirallös-Darmanin hat mit seinem reizenden Bildchen

Johann von Leyden zum König von Zion krönen liess. In phantastischen Formen „Heda, Fährmann" eine Scene aus dem Wanderleben der reisenden Gaukler

wurde unter seinem Scepter unter den grössten Gewaltthätigkeiten und Aus- der fahrenden Leute mit leichtem Humor, künstlerisch dargestellt.
 
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