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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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8. Heft
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Brandenfels, Hanna: Im Konfektionsgeschäft: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0192

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I

[ODERNE KUNST. 127

Gerade als ob es an einem Pendant zu dem Ehepaar fehle,
tritt ein anderes hinzu — mit entgegengesetzt verteilten Rollen.
Er ein kleiner junger Mann mit sehr selbstbewusstem Ausdruck
in dem glattrasiertem Gesicht, fordert mit theatralischer Geste
ein „stylvolles" Cape. Nichts findet Gnade vor seinen Augen,
und so oft das kleine blonde Frauchen auch schüchtern bittet:
„o Benno, wie hübsch", stets wehrt Benno mit grosser Geste ab

— wahrscheinlich ist ihm alles nicht „stylvoll" genug. — Nach-
dem seine vernichtende Kritik den ganzen Vorrat getroffen und
der Chef und zwei Verkäuferinnen vor Aerger rote Köpfe
bekommen haben, steht Benno schon in stylvoller Pose am Aus-
gange, seiner hübschen Frau, die zögernd und sehnsüchtig rück-
wärts blickt, den Vortritt lassend.

„Det is eener mit Aermel", flüstert es schon wieder hinter mir.
Eine ältere und eine junge Dame drängeln sich vor.
„Bitte einen Abendmantel für junge Mädchen! Ganz einfach

— solide — nicht teuer!"

„Ich möchte zu gern einen hellen, Mama!"

„Wir werden sehen, Eischen — wenn er nicht zu teuer ist!"

Die junge Dame findet ein hellblaues Rad mit Pelzbesatz
„schrecklich hübsch", ein modefarbenes mit weisser Schwanen-
kante „einfach süss".

Preis 90 und 45 Mark.

„So hoch will ich nicht gehen, liebes Fräulein! Haben Sie
vielleicht etwas Zurückgesetztes?"

„Bedaure, meine gnädige Frau, jetzt bei Beginn der Saison

— aber es sind noch Sachen in geringerer Preislage da."

Während die Verkäuferin anderes herbeiholt, entdeckt Mama
in dem modefarbenen einen winzigen Riss.

„Den muss er uns bedeutend billiger rechnen —"

„Aber Mama! hier sind doch feste Preise! ich gehe fort
wenn Du —"

„Du hältst den Mund, Eischen!" —

„Fräulein, bitte, hier ist ein Loch! Der Mantel wird dadurch
wohl bedeutend billiger?"

„Ein Loch?! ich bitte Sie, das ist ja kaum gestreift! Ich
habe hier etwas sehr Preiswertes, nur 35 Mark."

„Nein, nein! danke! ich möchte wissen, wie Sie diesen fehler-
haften rechnen?"

Fräulein geht zum Chef und kommt mit dem Bescheid
zurück, dass der Mantel der kleinen schadhaften Stelle wegen
um 10 Mark zurückgesetzt werden soll.

„Wie, noch 35 Mark? Das Loch ist ja gerade an der
Schulter! Ein derartig beschädigtes Stück muss doch sehr
ermässigt werden!"

„Wird es ja auch, gnädige Frau! Ich lasse Ihnen das
Löchelchen so zustopfen, dass es kaum zu sehen ist. Der Mantel
kostet ja 45 Mark, Sie bekommen ihn für 35!"

„Er scheint mir auch schon ein wenig verfleckt, Fräulein, er ist sicher im Die Angekommene ist augenscheinlich zu erregt, um sich zu setzen. Sie

Schaufenster gewesen — hier ist der Besatz auch nicht mehr ganz sauber! Wer schreitet mit wogendem Busen auf und ab — auf und ab — und als drüben
wird sich so etwas kaufen? Das kann doch niemand verlangen!" endlich die sechs Muhmen und Basen mit Stimmenmehrheit über ein blaues

„Aber bitte! es verlangt doch auch niemand, gnädige Frau! Wir haben ja Rad mit Moufflonbesatz entschieden haben, wettert sie dem freigewordenen
so viel anderes auf Lager — hier dieser —" Chef entgegen, wie „ausser sich" sie sei.

„Nein, lassen Sie nur! der gefällt mir nicht! Wenn Sie mir den schadhaften Der öffnet das Paket, prüft Rock und Jacke und sagt dann sehr bestimmt

Mantel für 25 Mark geben v/ollen, nehme ich ihn!" und sehr höflich:

Für jedes andere Stück billiger oder teurer ist die Dame blind — sie „Es ist ein guter englischer Stoff, der Regen verträgt. Dies hier sind ein-

kapriziert sich ausschliesslich auf den „mit dem Loch" und — merkwürdiger fach Schmutzflecke, meine Gnädige! wahrscheinlich Spritzflecke von Wagenrädern
Widerspruch — entdeckt immer neue Fehler an ihm. — Der Geschäftsinhaber, und Pferdehufen — da! hier ist ja auch schon mit Benzin darum herumgearbeitet
der ganz so aussieht wie jemand, dessen Geduldsfaden just auseinanderplatzen worden!"

will, erklärt kategorisch, dass der Mantel nicht unter 35 Mark zu haben sei, „Ich bitte sehr", ruft die Dame empört, „bei mir ist überhaupt kein Benzin

„keinen Pfennig billiger", und wendet sich dann wieder einer Gruppe von Frauen im Hause! Vom Regen ist's! nur vom Regen! Das Kleid ist unbrauchbar! Was
zu, von denen eine gleichfalls Abendmäntel anpasst und bei den stets entgegen- soll ich damit?"

gesetzten Meinungen ihrer Schwestern und Basen, die sie sich augenscheinlich „Ja ich bin doch nicht verantwortlich für so etwas, meine Gnädige! Wenn

zur Beratung mitgebracht, zu keinem Entschluss kommen kann. ich meinen hellgrauen Cylinder von einer Dachtraufe beschmutzen lasse und

Der Mantel mit dem „Loch" wird nochmals von innen und aussen, oben damit zum Hutmacher laufe, wird der ihn schwerlich zurücknehmen, oder wenn
und unten einer gründlichen Kritik unterzogen — „wir könnten doch erst 'mal ich mir auf der Strasse den Staub vom Gesicht ins Taschentuch wische, soll
zu Manheimer gehen, Eischen" — und dann siegen doch die aufsteigenden ich die Waschfrau verantwortlich machen, wenn das Tuch nicht rein bleibt? Ich
Thränen des Töchterchens. werde das Kleid ausbürsten und vom Schneider abziehen lassen; etwas anderes

„Nun, dann schicken Sie mir den Mantel! aber dass das Loch tadellos ge- kann ich nicht thun!"
stopft wird! Und einen Karton giebt es doch auch dazu?" „Das Kleid ist absolut unbrauchbar für mich!"

Eine Droschke fährt vor Der Schlag wird mit Vehemenz zugeworfen. »Für mich auch, meine Gnädige, unter den Umständen! Wie gesagt,

Eine imposante dunkle Dame rauscht herein, wirft zornig ein Paket auf den ich will —"

Ladentisch und wendet sich energisch an den Chef, ohne Rücksicht auf dessen Ein zornbebendes „Adieu" schneidet ihm den Satz ab. Die Thür fliegt auf

Inanspruchnahme von sechs Damen wegen eines Mantels. — wieder klappt ein Droschkenschlag unverhältnismässig nachdrücklich zu und

In sich überstürzenden Worten erklärt sie, dass sie ihr Kostüm gestern zum der Chef wischt sich wieder und wieder Gesicht und Glatze. Der arme Mensch!
ersten Mal angehabt, dass es etwas Regen bekommen und davon ganz fleckig Da soll einem nicht heiss werden.

geworden sei. Im Laden ist es inzwischen leer geworden — endlich werde ich ins „Atelier"

„Einen Augenblick, gnädige Frau! ich stehe gleich zu Diensten! bitte Platz gebeten,
zu nehmen!" Auf dem Wege dahin höre ich den Chef stöhnen: „Herrgott! Herrgott! das

E. Hegenbarth: „Bacchantenzug". Plastische Gruppe am Grazer Stadttheater.
 
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