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Münchner kunsttechnische Blätter — 3.1906/​1907

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Nr. 16
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Linde, Hermann: Die Entwertung unserer Galerien durch das moderne Restaurationsverfahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.36595#0065
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KUNSnECBHISOK

München, 29. April 1907.

Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

IH.Jahrg. Nr. 16.

Inhait: Die Entwertung unserer Gaierien durch das moderne Restaurationsverfahren. Von Hermann Linde-
Etzenhausen bei Dachau. — Einige Versuche mit Temperafarben und Beobachtungen über soiche.
Von Maier G. Bakenhus-Kreyenbrück. (Schiuss.) — Neue Maierfarben. IV. Boyersche Tempera
(nach Handrischer Art). Von S. von Saitwürk-Haiie (Saale.)

Die Entwertung unserer Galerien durch das moderne Restaurationsverfahren.
Von Hermann Lin de-Etzenhausen bei Dachau.

Als im Jahre 1861 der Zustand der Biider
in der kgl. Pinakothek zu München und der
Schieissheimer Gaierie die deutsche Künstierschaft
in grosse Aufregung versetzte, wurde eine Kom-
mission zur Untersuchung des Sachverhalts ein-
gesetzt, weicher auch der Geheimrat Dr. M. von
Pettenkofer zugeordnet wurde. Diesem Gelehrten
gelang es, nach langjährigen Untersuchungen über
den Grund des Mattwerdens der alten Gemälde,
ein Verfahren zu erfinden, durch welches der
undurchsichtig und rissig gewordene alte Lack
wieder klar und durchsichtig gemacht werden
konnte. Man glaubte damals durch dieses soge-
nannte Regenerationsverfahren ein Mittel gefunden
zu haben, welches jede weitere Beschädigung
alter Meister durch das Restaurieren verhindern
würde, und Pettenkofer, der sich im Verkehr mit
den Restauratoren damals von deren grober Un-
kenntnis und ihren kühnen Eingriffen in die Ge-
mälde überzeugt hatte, schrieb in seiner Broschüre
„Ueber Oelfarbe und Konservierung der Gemälde-
galerien"-) in froher Hoffnung (Seite 12):
„Die Zukunft wird gern auf jede weitere
Täuschung gänzlich verzichten, lieber die ein-
mal vorhandenen Verputzungen und Firnisflecke
ertragen, als durch neue Uebermalungen und
*) Obwohl wir nicht in allen Punkten mit den
Ausführungen des Herrn Kollegen H. Linde überein-
stimmen, glaubten wir dennoch diesen Aufsatz zum
Abdruck bringen zu sollen, weil nur grösste Wert-
schätzung und Verehrung der alten Meisterwerke
den Autor zur Abfassung dieser Philippika veranlasst
haben mag. Die Red.
-) Zweite Auflage, Braunschweig 1902. Verlag
von F. R. Vieweg & Sohn.

Verputzungen die Fälschungen noch weiter
treiben, durch allerlei Getüpfel den Meister
vollends um alles Leben bringen. Man wird
sich damit begnügen, dem Originale, soweit es
noch vorhanden ist, seine volle Klarheit und
Tiefe der Farbe, sowie einen genügenden
Schutz gegen fernere üble Einflüsse wiederzu-
geben, und absolut nur das zu ergänzen, was
für den Genuss durchaus störend ist, z. B.
Löcher auszufüllen usw."
Diese Voraussetzung war leider ein Irrtum
des grossen Gelehrten; man kann sogar ohne
Uebertreibung behaupten, dass nie so viel an
alten Meistern gesündigt ist, wie in den letzten
IO bis 20 Jahren und es scheint fast, als wenn
sich nur wenige Bilder in eine bessere Zeit hin-
über retten werden. Was nur in Deutschland an
alten Bildern existiert, sei es in Schlössern, öffent-
lichen Museen oder in Privatbesitz, ist zum grössten
Teil in den letzten Jahrzehnten einer gründlichen
Auffrischung unterworfen gewesen, und kaum eine
Neuerwerbung für Museen wird, ehe sie nicht die
Hände des Restaurators passiert hat, anderen
Sterblichen vorgewiesen. Ganz unberührt ge-
bliebene alte Meister sind in unseren deutschen
Galerien eine Seltenheit geworden; wer sie stu-
dieren will, muss schon in andere Länder, wie
Spanien, gehen, wo man im Prado den reinen
Genuss an gänzlich unrestaurierten Gemälden hat.
In Deutschland ist meines Wissens nur die Dres-
dener Galerie von modernen Restaurierungen
nahezu verschont geblieben.
Bei Anwendung des Pettenkoferschen Rege-
nerationsverfahrens kann kaum Unheil angerichtet
 
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